Textatelier
BLOG vom: 07.10.2005

Über Aachen-Eupen in den Naturpark Hohes Venn

Autorin: Rita Lorenzetti

Unsere Freunde wollen uns auch das Naturschutzgebiet „Hohes Venn“ zeigen. Auf dem Weg dorthin lerne ich Eupen kennen, eine Stadt, vergleichbar mit Fribourg in der Schweiz: Ebenfalls am Berg und im Tal angesiedelt, ebenfalls mit historischer Ober- und Unterstadt. Quirlig die Atmosphäre auf der Strasse, einladend die Kaffeehäuser mit den leckeren Kuchen. Hier wird deutsch gesprochen, obwohl wir uns in Belgien befinden.

In der Unterstadt zieht uns der Friedensbrunnen zu sich. Hier fliesst Wasser spiralförmig um eine Brunnensäule, von Schale zu Schale. Diese Gefässe sind aus der abstrahierten Form einer Taube gestaltet. Obenauf sitzt die Friedenstaube.

Das Grenzgebiet um Eupen wurde im 1. und im 2. Weltkrieg wiederholt hin und her gerissen, gehörte abwechselnd zu Deutschland und zu Belgien. Den hier ansässigen Menschen muss wohl niemand ein solches Friedenssymbol erklären.

Unsere Reise geht weiter. Wir verlassen das Gebiet der deutsch sprechenden Belgier. Mont Rigi ist unser Ausgangsort für eine Wanderung im Hohen Venn. Ein Naturschutzgebiet von imponierender, nicht überschaubarer Grösse.

Hier gurgelt das Wasser dann unter uns. Auf Holzstegen gehen wir im grossen Kreis herum. Wir fühlen uns sicher, obwohl der Weg nicht nur am Rand, sondern eben durchs Moor hindurch führt. Im Hinterkopf melden sich Geschichten aus Skandinavien, die ich in jungen Jahren gelesen habe. Das Moor als unsicherer Boden, der uns verschlingen kann. Ort des Todes. Das Moor, das in jenen Erzählungen nur im Winter und bei tiefsten Temperaturen auf der Eisschicht überschritten werden kann. Das Moor als Ort von Angst und Schrecken. Und wir sind hier getragen von stabilen Stegen und können uns allen Eindrücken angstfrei hingeben.

Moore entstehen dort, wo die Niederschlagsmenge extrem hoch ist und das Wasser nicht sofort abfliesst. An diesem Samstagmorgen erleben wir den Himmel in Aufruhr und den Wind damit beschäftigt, weisse Wolkenfrachten zu transportieren. Licht und Farben wandeln sich oft. Manchmal sind wir von totalem Grau umgeben. Bäume im Moor erscheinen dann wie schwarze Scherenschnitte. Der Wind pfeift, spielt und schafft die Wolkentürme vorwärts. Es ist spannend, einerseits zum Himmel zu schauen, dann durch das rostbraune Pfeifengras auf den Grund zum schwarzen Torf. Die Ansichten wechseln ständig. Es scheint, als sei die Erde wirklich eine runde Scheibe, an ihren Rändern von schützendem Fichtenwald begrenzt. So präsentiert sich der Rundgang. Im Laufe unseres Ausfluges entdecke ich dann auf einmal einen Ausgang und eine dahinter liegende Landschaft. Aus ist die Vorstellung von der Erdenscheibe.

Die allein stehenden Bäume imponieren mir immer. Sie geben einer Landschaft das Gepräge. Sie sind auch Symbole von eigenständigem Leben, von Standhalten, Festigkeit und Persönlichkeit. Hier sind es Fichten, Espen, Birken und Buschgruppen, die die Moorlandschaft bilderreich gestalten. Unzugänglich ist eine Gruppe – vermutlich Birken –, die um eine Fichte herum wie schützende Feen stehen. Gerne wäre ich zu ihnen hingekommen, doch der vorgeschriebene Weg lässt es nicht zu.

Auf dem Weg für die Kinder finden wir blühende Erikastauden. Und Grasflächen, die den Sonnenstrahlen Tautropfen hinhalten. Farn ist dabei und Espen (in der Schweiz nennen wir sie Aspen). Mein Lieblingsbaum. Wenn das Espenlaub zittert, sehe ich ein Bild von meiner Innenwelt. So bewegt sie sich, wenn ich berührt werde. Wir hatten gerade über Lieblingsbäume gesprochen, und Primo sagte von der Aspe, sie könne singen. Und dann, als wir in die Nähe von noch jungen, niederen Aspen kommen, zittern sie gleich für uns. Sie sirren und tönen, weil der Wind ihre Blätter aneinander reibt. Es ist, wie wenn sie uns das vorher Gesagte bestätigen wollten.

Als sich der Kreis unserer Wanderung schliesst, haben wir viel erlebt und doch nur ein Bruchteil dessen gesehen, was dieses Hochmoor zu bieten hat. Es soll noch viele Wege geben, auch solche, die nur in Stiefeln zu begehen sind.

Wenn ich je hierher zurückkomme, will ich die 3 eigenwilligen Fichten besuchen, die aus einem liegenden Stamm entsprungen sind. Ihr „Grossvater“ wurde gefällt. Die Schnittstelle und der Strunk sind noch zu sehen. Aus ihm entsprang ein Trieb, der sich zum liegenden Stamm entwickeln konnte. Ja, er liegt wirklich auf dem Waldboden. Diesem wiederum entsprossen dann 3 Triebe, die sich zu 3 aufrechten Stämmen entfalten konnten. Und in ihrer Umgebung stehen zwei weitere Fichten, die ihre untersten Äste harfenförmig nach oben heben. Wirkt hier ein „Ort der Kraft“ oder spielt da die Natur einmal zum eigenen Spass ein bisschen verrückt?

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