Textatelier
BLOG vom: 21.09.2005

Das „Kehrspiel der Liebe“: Stalker oder Pirschjäger

Autor: Emil Baschnonga

Eine Viertelstunde vor Ladenschluss am Freitagabend, 16. September 2005, betrat ein Mann das Kaufhaus Harvey Nichols in London und erschoss zuerst eine Verkäuferin in der Kosmetikabteilung und dann sich selbst. Der 30-jährige Täter heisst Michael Pech und ist ein gebürtiger Tscheche. Bis vor kurzem war er ein Sicherheitswächter im gleichen Kaufhaus, wo er sein Opfer, die 22-jährige Clare Bernal, kennen gelernt hatte. Ihre Bekanntschaft dauerte nur einen Monat. Solche Morde häufen sich. Rund 900 000 Menschen glauben sich in England von „stalkers“ verfolgt (stalk bedeutet anpirschen).

Sechsmal suchte sie bei der Polizei Hilfe. Das Gericht auferlegte ihm eine „Restraining Order“ unter dem „1997 Protection from Harassment Act“, wonach er sich ihr weder nähern, noch Harvey Nichols betreten durfte. Sie hat ihren Wohnort gewechselt und alle möglichen Massnahmen ergriffen, um sich von ihrem Verfolger zu befreien. Umsonst. Sie konnte ihn nicht abschütteln.

Was geht im Kopf eines solchen Menschen vor, der eine solche Wahnsinnstat begeht? Das fragt sich jedermann. Pech wurde als netter, gut aussehender und umgänglicher Mensch beschrieben. 2002 heiratete er seine Frau, die er 7 Jahre umworben hatte. Ist das ein 1. Fingerzeig?

Ein Parfüm, das auch im Harvey Nichols aufliegt, heisst „Obsession“ (Besessenheit). Ist das ein 2. Fingerzeig? Laut Feststellungen von Psychologen braucht es etwa ein halbes Jahr, bis der höchste Grad dieser Art von Besessenheit erreicht ist und sich so tief als Liebeswahn in die Psyche eingefressen hat, bis der Betroffene dem krankhaften Drang und Zwang zum Mord nachgibt. Anders ausgedrückt, ist der Täter sozusagen mordseifersüchtig. „Wenn ich sie nicht haben kann, soll sie auch kein anderer haben“, wird mit verbogener Logik der Schluss zum tödlichen Schuss im Extremfall gezogen.

Lässt sich die Antwort zur Frage „Wie kommt es dazu?“ ohne spitzfindige Psychologie finden? Der Novellist Ian McEwan ist dieser Frage in seiner Novelle „Enduring Love“ nachgegangen, diesem „Kehrspiegel der Liebe“. Ich selbst habe nur die Buchbesprechung darüber gelesen. Somit bin ich von seinem Gedankengang nicht beeinflusst.

„Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft“ ist ein bekanntes Sprichwort. Milde Anfälle von Eifersucht sind gang und gäbe. Mit dieser Prämisse beginne ich meine Parabel:

Ich sass einst mit einem guten Bekannten und seiner Frau in einem Strassencafé, als er bemerkte, „Schau dir dieses tolle Auto an“. Ein offenes Mercedes Coupé fuhr, von einer ansehnlichen Blondine gesteuert, eben über die Kreuzung. „Und erst noch der Inhalt!“, bemerkte seine Frau halb scherzend, halb giftig. Es kommt bei Männern wie auch bei Frauen vor, dass sie Stielaugen machen oder Augenkontakte suchen mit einem attraktiven Exemplar des anderen Geschlechts. Mein Bekannter verhehlte sein Gefallen am anderen Geschlecht schlecht. Seine Gewohnheit trieb auf die Dauer einen Keil in die Ehe, bis sie auseinander brach.

Dabei ableitend ist vorstellbar, dass mein Bekannter fortan unbehelligt auf der Pirsch nach einer viel jüngeren Ersatzfrau war, verbunden mit dem Nachteil, dass er weit über 40 Jahre alt ist und nicht als wohlhabend gelten konnte. Er musste eine Abfuhr um die andere einstecken. Aber eines Tages, nach Geschäftsschluss, wurde er fündig. Die junge Verkäuferin dachte sich nichts Weiteres dabei, als sie seine Einladung zum Nachtessen annahm. Dieses vom Alkohol begleitete Vorspiel endete, was ja auch vorkommen kann, im Bett.

In der Folge trafen sie sich wiederholt, bis sie genug von ihm hatte. Aber sie kriegte ihn nicht los. Er lauerte ihr auf, verfolgte sie immer hartnäckiger, bedrohte sie mehr und mehr. Sie war eine der 900 000 Menschen, die sich verfolgt glauben – aber hier stimmte es. War er wirklich in sie verliebt? Nein, er war in sie verblendet, aber er merkte dies in seinem Wahn nicht.

Nun erwarte ich, dass diese Skizze ein gutes Ende finde und zuletzt die rettende Einsicht vorherrsche. Sonst müsste man wieder in die eingangs geschilderte Tragik einsteigen.

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