Textatelier
BLOG vom: 30.09.2005

Beispielhaftes Florenz: Kultur und gediegene Lebensart

Autor: Emil Baschnonga

Hätte ich diesem Blog das Adjektiv „fabelhaft” vorangestellt, wäre daraus vielleicht eine Reisebroschüre geworden. Davon gibt es mehr als genug, denn die Schätze dieser Stadt Florenz – Architektur, Skulpturen und Gemälde – sind ausserordentlich dicht gesät und locken ganzjährig Touristen herbei.

Wie ordentlich es dort zu und her geht, davon sollten sich die englischen Raudaubrüder und Biersäufer ein Beispiel nehmen – und vor allem diese Stätte der Kultur und gediegener Lebensart weiterhin tunlichst meiden.

Meine Vignetten sollen einige persönliche Eindrücke und Gedanken in kunterbunter Folge – also wie Schnappschüsse – festhalten.

Auch ich, wie alle Touristen, habe viele Schnappschüsse gemacht, aber weniger vom Dom, von den vielen berühmten Piazzi, dem Ponte Vecchio und den vielen anderen Sehenswürdigkeiten. Das Treiben der Leute davor und darum herum fesselte mich ungleich stärker.

Gruppen von Touristen aus aller Welt, ganz besonders aus Japan, zotteln folgsam hinter ihrem zugewiesenen Reiseführer her, umscharen ihn immer wieder auf Geheiss, und lauschen andächtig seinem eingespielten Geleier. Damit ja keiner seine Gruppe verliere, tragen und schwenken Fähnriche bunt bewimpelte Chromstäbchen, die abgerissenen Autoantennen gleichen. Vom „Caffè Perseo“, einer Pasticceria/Gelateria im „Piazza della Signoria“, konnte ich über 7 solche beflissene Menschentrauben auf einmal knipsen.

Wer wie ich auf eigene Faust auf Entdeckungsfahrten geht, findet manchmal etwas, wovon die allerwenigsten Führer etwas wissen. Ich sass auf meiner erhöhten Warte beim Palazzo Vecchio und liess die Fluchtlinien des lang gezogenen Uffizi auf mich einwirken, als eine Florentinerin ihre Freundin auf das Relieffragment eines weiblichen Kopfs im Steinquader genau über meinem Kopf hinwies. Beim Bau gab es viele Steinbrocken, die aufeinander gefügt wurden. Vielleicht hat der Renaissance-Maurer selbst dieses Fragment nicht bemerkt.

Mitten auf der Ponte Vecchio, wo alle Goldschmiede ihre Läden haben, schaute ich hoch und entdeckte unverhofft oberhalb der von Schmuck beladenen Schaufenster eine mit Geranien beschickte Terrasse mit 2 fast lebensgrossen Tonfiguren auf den Sockeln links und rechts, die mir mehr imponierten als alles Gold ringsum.

Würden Sie geschlagene 3 Stunden lang Schlange stehen, um in die weltberühmte Gemäldegalerie eingelassen zu werden, nur um dort eingekapselt mehr Hinterköpfe als Bildausschnitte vor die Augen zu bekommen? Ich nicht. Ganz unbeachtet war in einem kleinen Seitentrakt des Uffizi die Sonderausstellung „Le Madonne del Chianti“ kostenlos zugänglich. Ein Japaner und ich waren die einzigen Besucher … Allerlei Fresken der Madonna, und sogar ein sehr ansehnliches und grossformatiges Gemälde von Sandro Botticelli waren dort ausgestellt. Diese Wanderausstellung wechselt die Madonnen wie Socken (damit will ich keine einzige Madonna beleidigen), und sie heissen dann je nach Ausstellungsort – „La Madonna di Casale“, „Mater Dulcissima“ usf. Ich war mit meiner Madonna im Herzland des Chianti ganz zufrieden und schicke ihr jetzt ein Prosit nach.

Am letzten Tag unseres viel zu kurzen Aufenthalts wartete uns spät am Sonntagmorgen ein Marionetten-Theater auf dem „Piazza Santa Croce“ auf – eine Wanderausstellung ganz anderer Art, diesmal von einem Zigeunerpaar inszeniert. Auf fadenscheinigem Tonband spulten neapolitanische Lieder und mehrere Salsa ab, die mit Jazz abwechseln, als die weibliche Marionette, bald vom Pianisten, bald vom Trompeter begleitet, keck und rhythmisch mittänzelte. Das lockte Kinder an und verlockte mich zu einem weiteren Schnappschuss. In der Basilika war gerade eine Messe, und Besucher wurden mit einem Absperrseil im Zaume gehalten. Das Marionettentheater macht schrankenlos glücklicher als eine abgesperrte Kirche.

Aber wenigstens eine Kirche wollte ich besichtigen: Sie heisst „Basilica della S.S. Annunziata“ bei der gleichnamigen Piazza. Bis auf wenige Gläubige war der diesmal absichtlich als fabelhaft bezeichnete Innenraum mit Marmorskulpturen und Heiligenbildern durchflutet, und auch der reich verzierte und der golden strahlende Plafond (Raumdecke) waren eine Augenweide.

Was mir abends auffiel, war der Exodus der Leute zwischen 11 Uhr und Mitternacht. Alt und Jung begaben sich nach Hause oder ins Hotel zurück – scherzend, lachend und mit sich und der Welt zufrieden. Kein Betrunkener war in Sicht, um die Zeit, wo in London schon so viele stockvoll herumtorkeln. Im florentinischen „Wohnzimmer“ − wie der „Piazza della Signoria“ auch genannt wird − bin ich zweimal Edward begegnet. Die kleine, weisse und arg überfütterte Bulldogge hielt mühsam auf ihren krummen Haxen Schritt mit ihrem Meister (übrigens ein älterer Engländer). Dieser hielt sie immer wieder mit dem Zuruf „Come on, Edward!“ in Gang.

Um Mitternacht kreuzen überall die wendigen, kleinen Vehikel des Reinigungsdiensts auf, und sie säubern die vielen guten Stuben von Florenz, selbst von dem, was Edward fallen gelassen hatte, mitsamt den Pferdeäpfeln der Kutschergäule. Noblesse oblige.

„Vietato fumare“ – das Rauchverbot bürgert sich in Italien mehr und mehr ein. Das hat meine Frau bemerkt, ausgerechnet als ich eine Zigarette dem Päckchen entnahm. Na ja, so schob ich sie halt wieder ins Päckchen zurück.

In Florenz hat es viele Märkte und Läden, die Lederwaren feilbieten. Auf Souvenirs bin ich wenig erpicht, und Leder brauchte ich nicht. Das Flanieren ist mir eine Lust und, wer weiss, vielleicht finde ich zufällig etwas, das ich brauchen kann.

In einem Seitengässchen, etwas abseits des Zentrums, entdeckte ich einen Schuster in seiner engen, altmodischen Werkstatt. Auf einem Gestell hatte er einige Paar Schuhe billig zum Verkauf aufliegen. Ausgerechnet ich, der Kleider- und Schuhgeschäfte meidet, betrat sein Geschäft, und der Handel gedieh auf Spanisch mit einigen Brocken Italienisch vermengt. Mit einem Blick hatte er das Mass meiner Füsse bestimmt und reichte mir das Paar, das genau passte. Wir schieden Hände schüttelnd. Er hatte seinen Spass an meinem Kauderwelsch gehabt. So bin ich doch noch zu meinem Schuhleder gekommen …

In Florenz, wo der Marmor vorherrscht, erinnerte ich mich einer an der Nase angeschlagenen Büste zu Hause, eben als ich an einem Geschäft vorbei ging, welches Artikel zur Marmor-Restaurierung anbot. Ja, er habe genau das, was ich brauche, sagte der Inhaber und brachte mir eine riesige Blechdose mit Marmorpaste. „Damit könnte ich sogar eine Marmorfigur machen“, meinte ich, „und sie hat leider keinen Platz in meiner Reisetasche.“ Mein Vorschlag, ob er mir etwas davon in einen kleinen Plastikbehälter abfüllen könnte (nur viel ungelenker in meiner Mischsprache gefragt), fand sein Gehör. „Wie viel kostet das?“ Er wollte nichts dafür. Nach einigem Hin und Her, gab er schliesslich nach und nahm meine Euros an. Obendrein gab er mir Winke, wie man am besten mit dieser Paste umgeht.

Es gäbe noch viele Vignetten, die ich anfügen möchte. Punkto Essen fanden wir im „Il Ghibellini“ unser bevorzugtes Restaurant. Dort konnte man auch abends draussen essen, denn die Herbstwärme hielt an – etwa Kutteln nach florentinischer Art.

Aber inzwischen ist Mitternacht überschritten. Also: „Finito la musica“ für heute im beispielhaften Florenz, wo es wenig braucht, um glücklich zu sein.

Hinweis auf ein anderes Blog über den Süden

24. 04. 2005: „Frühlingsfest im Tessin: Amore e Nostalgia“

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