Textatelier
BLOG vom: 21.11.2005

Gespräche suchen: Strategien gegen das „Happy slapping“

Autor: Heinz Scholz
 
Das Blog „,Happing slapping’ und ,Bitch slapping’ breiten sich aus“ von Emil Baschnonga vom 18. 11. 2005 hat mich sehr nachdenklich gemacht. Der Tagebuchschreiber in London zeigt in brisanter Weise den Kulturzerfall und die Verrohung der Menschheit auf. Es wäre schön, wenn das alte deutsche Sprichwort „Was Du nicht willst, das man Dir tu’, das füge keinem andern zu“ heute noch Bestand hätte.
 
Viele Ursachen können dazu führen, dass Jugendliche in England und anderswo ihre Aggressionen ausleben, indem sie Unschuldige zu Boden schlagen und erheblich verletzen (auch in Winterthur und Basel fanden bereits solche Anschläge statt). Sind es die brutalen Videospiele, die menschenverachtenden Musiktitel, aktionsreichen Fernsehfilme, dümmliche Werbeclips, „brutalen“ Fernsehshows und die wüsten Schlägereien nach Fussballspielen? Alle Welt sah die Hetzjagd und die Schlägerei nach dem Spiel Türkei gegen die Schweiz. Die Beteiligten waren denkbar schlechte Vorbilder für die Jugendlichen; die Fairplay-Idee wurde mit Füssen getreten.
 
Als Beispiel für eine Ursache wurde in diversen Publikationen der Werbeclip für die britische Orangenlimonade Tango genannt. In diesem Clip wird ein Tango-Trinker von einem dicken, glatzköpfigen und ganz orange bemalten Kerl plötzlich von links und rechts auf die Backe geschlagen. Der Glatzköpfige verschwindet dann. Der Werbeclip stammt allerdings schon aus dem Jahre 1993 und er dürfte wohl als Ursache nicht in Frage kommen. Aber man kann ja nie wissen. Auch in so manchen deutschen Werbefilmchen geht es nicht zimperlich zu. So wird ein Käufer mit einem Backenschlag zum Kauf eines Produktes animiert. Eine zweifelhafte Werbebotschaft.
 
Es ist möglich, dass die brutalen Schläger in England auch von der Amateur-Stant-Show „Jackass“ animiert wurden. Die Jugendlichen waren wohl der Meinung, sie könnten die „Szenen des Schmerzes und der Demütigung“ selbst produzieren. Einen Teil der Schuld tragen auch die Macher der unsäglichen Talk-Shows in den USA. Bei diesen Shows sind seelische Grausamkeiten und sogar Schlägereien unter den Teilnehmern nicht ungewöhnlich.
 
Oder ein anderes Beispiel: In fast jedem amerikanischen Action-Film wird geprügelt und geschossen, dass sich die Balken biegen und die Scheiben klirren. Sogar in harmlosen Filmen kommen solche Gewalttaten vor. Erst kürzlich sah ich Auszüge aus dem Film „Ausser Kontrolle“ mit Morgan Freeman und Keanu Reeves. Der Inhalt interessierte mich deshalb, weil er eine mögliche Lösung zukünftiger Energieprobleme versprach. Kurz zum Inhalt: Wissenschaftler haben eine Formel entdeckt, um aus Wasser Energie zu gewinnen. Das Labor wird gesprengt, und ein Student wird der Spionage verdächtigt. Nach wilden Schiessereien und brutalen Faustschlägen, die über den ganzen Film verteilt waren, entschloss ich mich, abzuschalten. Ich frage mich, warum dieser Film für Jugendliche ab 12 Jahren freigegeben wurde. Des Weiteren frage ich mich: Warum können die Filmemacher keine geistreichen Filme ohne Brutalität drehen? Aus dem Thema hätte man einen hervorragenden Film machen können.
 
„Abu Ghraib lite“
Zurück zum „Happing slapping“: Florian Rötzer übersetzt in www.heise.de übrigens das „Happing slapping“ mit „Fröhliche Watsche“, wiederum andere bezeichnen diese Zeiterscheinung als „Lustiges Dreinschlagen“ oder einfach als „Fröhliches Schlagen“ (Blogatelier). Er meinte, dass das „Happy Slapping“ eine „Art Happening oder Abu Ghraib lite“ sei.
 
Bisher ist nicht bekannt, ob in den USA auch das „Happy-slapping-Fieber“ grassiert. Ich vermute nicht, da viele orientierungslose und aggressionsbeladene junge Leute als Soldaten in den Krieg geschickt werden. In diesen Kriegen ist ein ganz anderes „Backenschlagen“ üblich. Da wird gefoltert, dass einem Hören und Sehen vergeht. Nach Aussagen einiger US-Soldaten im Irak gingen sie in Kampfpausen in die Gefangenenlager, um ihre Aggressionen auszuleben.
 
Ein Weg zur Gewaltverhinderung
Wie können wir die Gewalt verhindern? Einen Weg zeigte das Schopfheimer JUZ. Im Schopfheimer Regionalteil der „Badischen Zeitung“ vom 19. 11. 2005 wird ein Bericht von André Hönig unter der Schlagzeile „Das ist, wie wenn eine Bombe platzt“ (damit war eine Aussage eines Jugendlichen gemeint, der, wenn er provoziert wird, gleich zuschlägt) von Aktionen zur Verhinderung der Gewalt berichtet. Das erwähnte Jugendzentrum hat eine Veranstaltungsreihe gestartet, um mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Am ersten Abend wurde der Film „American History X“ gezeigt. Es ist ein Film, der Rassismus und Gewalt in den USA zum Thema hat, ein Film, der nachdenklich macht, und genau das will JUZ-Leiter Dietmar Herrman bezwecken. Er weiss zu berichten, dass die Schläger immer jünger werden und auch die Hemmschwelle sinkt. Es gab auch früher Schlägereien, die gingen in der Regel glimpflich ab, heute wird nicht nur geschlagen, sondern auch getreten.
 
Der 1. Film wurde von 40 Jugendlichen gesehen, danach, bei der Diskussion, war nur noch die Hälfte da. Der Leiter stellt in solchen Diskussionsrunden auch unbequeme Fragen, wie z. B.: „Was bringt es Dir, dass Du jemanden aufs Maul haust“, „Fühlst Du Dich wirklich besser?“ „Wird Dein Leben dadurch besser?“. Etliche Jugendliche kamen dabei ins Grübeln. Auch die Aussicht, in den Knast zu kommen, machte so manchen Heranwachsenden nachdenklich.
 
Einige Jugendliche erklärten, dass sie den Slogan „Gewalt ist keine Lösung“ in ihre Cliquen und Klassen weitertragen wollen. Die Veranstalter waren von der positiven Resonanz der Jugendlichen überrascht. In anderen Gemeinden gibt es so genannte Streetworker, die auch Erfolge zu verzeichnen haben. Es gibt also Möglichkeiten, mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und die Gewaltbereitschaft zu minimieren.
 
Noch eine gute Nachricht: Die Koalition aus CDU und SPD in Deutschland will brutale Computerspiele verbieten. Es gibt derzeit eine Menge „Killerspiele“ (Ego-Shooter), die zwar erst ab 18 Jahren freigegeben werden, aber zu 50 % der 13- bis 14-Jährigen kennen die Spiele aus eigener Erfahrung. Die Spiele sind leicht über das Internet zu bekommen. Wichtig ist, dass sich die Eltern mit ihrem Kind und seinen Spielen auseinandersetzen.
 
Laut einer Untersuchung der amerikanischen Michigan State University – die Studie ist noch nicht veröffentlicht – werden bei einer tatsächlich ausgeübten Gewaltanwendung dieselben Gehirnareale aktiviert wie bei einem aggressiven Computerspiel. Dr Martin Schubert, Neurologe in der Freiburger Uniklinik, meint jedoch dazu: „Aus einer Darstellung aktivierter Hirnareale ist noch kein direkter Zusammenhang mit Aggressionsbereitschaft herzustellen.“
 
Dass doch etwas dran ist, beweist die Tat des jugendlichen Amokläufers Robert Steinhäuser, der in Erfurt 16 Menschen tötete. Unter seiner Hinterlassenschaft fanden sich „Counterstrike“. Diese stellen eine Modifikation des Ergo-Shooter Half-Life dar.
 
Zitate zur Gewalt
Einige Sprüche zur Gewalt zum Schluss: Leonardo da Vinci sagte einmal: „Keine Gewalt hat Dauer.“ Und der Stoiker Seneca stellte fest: „Jede Rohheit hat ihren Ursprung in einer Schwäche.“ Robert Wilhelm Bunsen: „Ich habe immer gefunden, dass die Türen, durch welche ich gehen soll, sich mir von selbst öffnen. Gewaltsam durchzudringen, ist mir nie gut bekommen.“ Auch der französische Moralist Joseph Joubert hatte einen guten Spruch auf Lager. Er lautete: „Durchschneide nicht, was du lösen kannst.“ Und Friedrich Freiherr von Logau sagte: „Wenn sich der Unverstand mit Gewalt verfreit, entsteht aus dieser Eh´ die tollste Grausamkeit.“
 
Hinweise auf Informationsquellen
www.usk.de (Jugendschutz-Info; usk = Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle)
 
Hinweise auf Blogs zu Verrohung und Kulturzerfall
18. 11. 2005: „,Happy slapping’ und ‚Bitch slapping’ breiten sich aus“
11. 11. 2005: „IQ und EI: Die Intelligenz vom Herzen aufwärts“
07. 11. 2005: „Die Integration ist gescheitert: Elendsleben in Gettos“
27. 09. 2005: „Tierschänder unterwegs: Kastrierer und Enthorner inklusive“
21. 09. 2005: „Das ,Kehrspiel der Liebe’: Stalker oder Pirschjäger“
25. 07. 2005: „,Shoot to kill’ – oder: Auf dem langen Weg zur Einsicht“
21. 07. 2007: „Übel aus dem Osten, aus dem Westen nichts Neues
19. 07. 2005: „Reaktionen auf Blogs (13): Happy Slapping im Elektrosmog“
12. 07. 2005: „Die Stierhatz von Pamplona: Mitleid nur mit den Tieren“
11. 07. 2005: „Wie man Kindern das Schlagen und Töten beibringt“
07. 07. 2005: „Bomben in London City: Die Olympiade der Gewalt“
15. 06. 2005: „Alles in Unordnung: Littering auf Strassen und Plätzen“
20. 03. 2005: „Graffiti-Sprache: ‚Das ist Mist’ – ,Why? I’m rubbish“
31. 01. 2005: „Alkohol und Engländer: Saufen bis zum Umfallen“
29. 01. 2005: „Völkermorde und Ehrfurcht vor dem Leben“
Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
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