Textatelier
BLOG vom: 04.01.2006

Die zerstörten Olivenhaine in Palästina geben zu denken

Autor: Walter Hess
 
Die Zerstörung von Olivenhainen im palästinensischen Gebiet durch Israeli ist sicher nicht das Schlimmste, was der Krieg dort an Verlusten hervorgebracht hat. Aber wenn im Zusammenhang von militärischen Auseinandersetzungen auch Lebensräume mutwillig ausgelöscht werden, erachte ich das als besonders niederträchtig.
 
Die Vernichtung von Naturwerten geschieht im Rahmen von kriegerischen Auseinandersetzungen meistens unter dem Vorwand, dass dem Feind die Deckungsmöglichkeiten genommen werden müssten. Im grossen Stil haben das die Amerikaner in Vietnam so gehalten, wo sie riesige Gebiete des über 2000 km langen Landes mit dem Entlaubungsmittel Agent Orange überzogen haben und damit nicht nur Pflanzen vernichteten, sondern den Vietnamesen die Lebensgrundlagen entzogen und diesen sowie deren ihren Nachkommen schwerste körperliche Behinderungen beigefügt haben. Auch religiöse Stätten wurden unter dem gleichen Vorwand niedergemacht. Und dies geschah, ohne dass für solche Strafaktionen irgendein Anlass bestand. Die Vietnamesen wehrten sich einfach für ihr Land, was ihr gutes Recht war.
 
Auf der Homepage von der Zeitschrift „Der Standard“ http://derstandard.at/ wurde am 30. Dezember 2005 eine Pressemeldung der Agenturen APA/dpa abgedruckt: „Siedler sollen palästinensische Olivenhaine zerstört haben.“ Das hat selbst den israelischen Verteidigungsminister Shaul Mofaz veranlasst, von einem „Skandal“ zu sprechen. Nach Medienberichten von Ende November 2005 hatten Siedler des „Aussenpostens“ Alon More etwa 200 Olivenbäume aus der Erde gerissen, die von den Bewohnern des Dorfes Salem im nördlichen Westjordanland angepflanzt worden waren. In den vorangegangenen 2 Monaten hatte es 6 ähnliche Aktionen gegeben, denen mehrere hundert Olivenbäume zum Opfer gefallen sein sollen.
 
In der erwähnten Agenturmeldung, die sonst praktisch nirgends publiziert worden ist, heisst es dann: „Während der vor 5 Jahren begonnenen Intifada hatte die israelische Armee im Westjordanland systematisch Olivenhaine in palästinensischem Besitz zerstört. Sie rechtfertigte das damit, dass militante Palästinenser diese als Unterschlupf und zu Anschlägen auf Soldaten und Siedler nutzten.“ Darüber schweigt man sich normalerweise aus.
 
Da ich Vietnam und Israel aus eigener Anschauung kenne und das Thema seit Jahren verfolge, hat mich diese aktuelle Meldung erschüttert, obschon sie für mich wenig Neues bot, ausser der Erkenntnis, dass in letzter Zeit kein Lernprozess stattgefunden hat.
 
„Symbolkräftige Oliven aus Palästina“
Ende 2002 hatte ich im Auftrag der damaligen „Natürlich“-Redaktorin Petra Horat einen Bericht über „Symbolkräftige Oliven aus Palästina“ verfasst. Ich bezog mich dabei auf Jeff Halper, der an der Ben-Gurion-Universität in Jerusalem tätig ist und als Koordinator des Israelischen Komitees gegen Häuserzerstörungen sowie Redaktor der kritischen israelisch-palästinensischen Zeitschrift „News from Within“, die vom Alternativen Informationszentrum herausgegeben wird, wirkt. Halpers Text wurde in der Jungen Welt vom 19. Mai 2001 erstmals auf Deutsch veröffentlicht und in eine Dokumentation (Friedenspolitischer Ratschlag) der AG Friedensforschung an der Universität GH Kassel in Kooperation mit dem Bundesausschuss Friedensratschlag aufgenommen.
 
In dem Bericht war zu lesen, auf palästinensischem Gebiet seien 280 000 Oliven- und Obstbäume von israelischen Panzern und Bulldozern niedergewalzt worden, weil diese als Deckung für Heckenschützen hätten dienen können. Eine solche Funktion konnten 108 Brunnen, die der Trinkwasserversorgung in Palästina dienten, zwar nicht wahrnehmen; doch nach demselben Bericht wurden auch diese vernichtet, zusammen mit 392 Teichen, vielen Kilometern kommunalen Wasserleitungen, Zäunen, Stützmauern und Vieh. Das geschah wohl als „Vergeltung“, genau wie die Zerstörung einer Seifenfabrik in Nablus, in der seit Jahrhunderten Seife aus Olivenöl hergestellt wurde.
 
Ich fügte dieser Meldung den Hinweis bei, dass das Olivenöl für die palästinensische Landwirtschaft ein tragender Pfeiler sei; für viele Familien ist es die einzige Einnahmequelle. Das Öl hatte vor der Baumzerstörung einen Anteil von etwa 40 % an der landwirtschaftlichen Produktion. Der Oliven-Überschuss, der bis 1991 aus Palästina in den arabischen Raum exportiert wurde, kam zum Erliegen, weil die arabischen Länder Palästina als Teil Israels betrachteten und Jordanien die Oliven-Produktion derart erhöhte, dass es den Eigenbedarf selber decken konnte. In Arabien gehören Oliven zu den wichtigsten Lebensmitteln: als Früchte, getrocknet, in Essig oder Salzlake eingelegt und als Öl. Aus dem Holz werden Möbel und verschiedene Geräte angefertigt. Die Bäume haben dort zudem eine starke symbolische Bedeutung.
 
In der „NZZ am Sonntag“ vom 27. Oktober 2002 wurde von einer „schwierigen Olivenernte“ berichtet, weil militante israelische Siedler auf palästinensische Bauern geschossen hätten; einer der Bauern wurde erschossen. Zahlreiche Bauern seien im Herbst daran gehindert worden, zu ihren Olivenhainen zu gelangen. Die israelische Armee habe das Einbringen der Ernte verboten, weil sie sich als ausserstande betrachte, vor den Übergriffen der israelischen Siedler zu schützen. Laut „Die Welt“ (31. 10. 2002) haben radikale Siedler die Oliven zum Teil gestohlen. Solche Strafaktionen und terroristische Unterdrückungen haben in Palästina ein grosses Elend heraufbeschworen, das alle trifft, nicht nur die in Sippenhaft genommenen Familien der Selbstmordattentäter; über 60 % der Palästinenser leben bereits unter der Armutsgrenze. Verwundeten, Schwangeren, Gebärenden wurde der Zugang zu medizinischer Hilfe häufig verwehrt.
 
Der grosse Zusammenhang
Man musste die Sache in einem grösseren Zusammenhang stellen, was ich damals auch tat, obschon das Thema heikel ist: Der israelische Siedlungsbau in den palästinensischen Gebieten ist ein zentraler Anlass des (selbst-)mörderischen, bis zum heutigen Tage ständig eskalierenden Konflikts. Seit dem Sechstagekrieg (1967) hatte Israel in den damals besetzten Gebieten (dem inzwischen geräumten Gazastreifen, Westjordanland einschliesslich Ostjerusalems und auf den Golanhöhen) bis 2003 mehr als 200 Siedlungen für rund 350 000 Siedler gebaut. Zum Teil sind es Wohncontainer, zum Teil Blöcke, die zu Kleinstädten wurden. An weiteren Finanzspritzen für die illegalen jüdischen Siedler im Umfang von 151 Mio. Euro für 2003 ist Ende Oktober die damalige Regierung Israels zerbrochen (die Arbeitspartei hatte die Streichung der Unterstützung verlangt). Die Siedlungen werden offiziell auch als strategische Aussenposten betrachtet.
 
Die Uno hatte bereits am 22. 11. 1967 die berühmte Resolution 242 verabschiedet, welche Israel zu einem umfassenden Rückzug aus den besetzten Gebieten aufforderte. Bis heute hat Israel dieser Forderung der Internationalen Gemeinschaft nicht beziehungsweise zu einem kleinen Teil Rechnung getragen, sondern im Gegenteil den Siedlungsbau ständig tatkräftig gefördert. Die Palästinenser empfanden dies verständlicherweise als Provokation, was durch den Umstand verstärkt wird, dass ein beträchtlicher Teil der Siedler dem tiefreligiösen, orthodoxen Judentum zuzuordnen ist.
 
Den Palästinensern blieben einige zerstreute Flecken Erde, die ihr soziales und wirtschaftliches Leben beinahe verunmöglichen und die Staatsexistenz erschweren. Neuerdings kamen noch eine Mauer und ein Todesstreifen dazu. Damit setzte sich Israel über das Völkerrecht hinweg. In der „NZZ“ vom 18. Juli 2001 schrieb der Völkerrechtswissenschaftler Michael Cottier mit Bezug auf Israel: „Besetzungsmächten ist es nach Völkerrecht verboten, ihre eigene Bevölkerung in besetzte Gebiete zu transferieren. Dem fundamentalen völkerrechtlichen Gewaltverbot entsprechend ist die Annexion von fremdem Territorium durch Gewalt verboten.“
 
Die israelische Rechtsanwältin Felicia Langer ihrerseits warf ihrem eigenen Land vor, durch Landraub und Siedlungsbau die Palästinenser ständig zu provozieren: „Anstatt die klare Botschaft der Intifada wahrzunehmen und die besetzten Gebiete zu räumen, völkerrechts- und UNO-Resolutionen entsprechend, hat Israel mit aller Macht und mit exzessiver Gewalt reagiert, hat Hunderte Palästinenser, darunter Hunderte Kinder, vorsätzlich getötet und viele Tausende verletzt, Städte und Ortschaften mit ihrer zivilen Bevölkerung mit Raketen beschossen und tut das alles auch weiterhin“ (Rede in Stuttgart, Ostern 2001). Damit werden Attentate, denen Unschuldige zum Opfer fallen, provoziert. Der Terror sei eine „Waffe der Verzweiflung“, sagte der Arabienkenner Peter Scholl-Latour.
 
Mir liegt es fern, hier wertend einzugreifen; auch von palästinensischer Seite gibt es immer wieder brutale Anschläge, die Gegenreaktionen provozieren: Zahn um Zahn ... Es kam auch zu Brandstiftungen durch Palästinenser, wie ich aus Israel erfahren habe: Ganze Wälder sind in Israel abgebrannt, ebenfalls willkürliche, dumme Schandtaten.
 
Das jüdische Volk hat viel Unrecht erfahren und selber erlebt, was es bedeutet, Opfer zu sein. Und da es unablässig mit erhobenem Warnfinger nach ethischen Prinzipien, Einsicht in begangene Fehler und Menschlichkeit ruft, wäre zu erwarten, dass es genau jene Eigenschaften vorlebt, die es von anderen verlangt und eigene Fehler aufarbeitet. Der Gaza-Rückzug hätte ein verheissungsvoller Neubeginn sein können.
 
Reaktion auf meinen damaligen Bericht
Es konnte nicht ausbleiben, dass auf meinen damaligen Bericht im „Natürlich“ scharfe Reaktionen folgen würden. Ich wäre falschen Informationen aufgesessen, und überhaupt sei ein Jeff Halper nicht bekannt, wurde mir mitgeteilt. Der Bericht über Olivenbaumzerstörungen wurde gar in die Märchenwelt von „1001 Nacht“ verwiesen. Und die verantwortliche Redaktorin wurde durch eine Intervention auf Verlagsebene in Bedrängnis gebracht.
 
Eine Israel nahestehende, in einer jüdischen Organisation tätige Leserin schrieb mir: „Nun, ohne jeden Zweifel sind Oliven- und Obstbäume zerstört worden. Die Zahl von 280 000 ist aber reine Propaganda von palästinensischer Seite. Genaue Zahlen sind nicht zu erhalten. Betr. Jeff Halper hatte ich schon bald den Eindruck, dass da etwas nicht stimmt. Vor ca. 10 Tagen habe ich nun folgenden Bescheid erhalten: ,Gemäss der Ben Gurion Universität hat NIE ein Jeff Halper bei ihnen gearbeitet, so die Aussage eines Dozenten, welcher bereits über 30 Jahre dort arbeitet!!! Damit wäre der Ball jetzt wieder bei Hr. Hess, der sich auf diese Quelle beruft ...“ (...)
 
Nicht wahr, Herr Hess, falls Herr Halper nicht an der Ben Gurion gelehrt hat, werden Sie dies in der nächsten oder übernächsten Ausgabe von Natürlich berichtigen. Zu viele Menschen haben heute einen enormen Hass auf die Israeli und damit auch auf alle Juden. Schuld daran sind die zum Teil haarsträubenden Medienberichte. Berechtigte Kritik an Israel ja, es darf aber nicht sein, dass Menschen ihren Hass auf alles was jüdisch ist, wieder unkontrolliert abreagieren dürfen.“
 
Allerdings hatte ich nichts zu berichtigen. Denn es gibt eine Internetseite der Organisation „Jewish Peace Fellowship“ http://www.jewishpeacefellowship.org/Halper.html, auf der zu lesen steht: „Jeff Halper (53) is the Coordinator of the Israeli Committee Against House demolitions (ICAHD) and a Professor of Anthropology at Ben Gurion University. He has lived in Israel since 1973. Jeff has researched and written extensively on Israeli society and is the author of the book Between Redemption and Revival: the Jewish Yishuv in Jerusalem in the nineteenth century, Westview, 1991. Jeff founded and directed IsraelÍs Committee to Save the Ethiopian Jews. He has been active in the Israeli peace movement for many years. As the Coordinator of ICAHD, he has forged a new mode of Israeli peace activity based on non-violent direct action and civil disobedience to the Israeli Occupation authorities and in close cooperation with Palestinian organizations.“
 
Statt dass die Israeli stolz auf jene ihrer Mitbürger sind, die sich um den Frieden bemühen, werden diese offenbar ignoriert, nicht zur Kenntnis genommen. Immerhin unterschob mir die freundliche Leserbriefschreiberin, die meine Arbeitsweise kennt, keine antijüdischen Motive, weil sie wusste, dass es mir bei meiner publizistischen Arbeit schon immer ausschliesslich um die Wahrheitsfindung ging, wenigstens um eine Annäherung daran. Und das ist schwierig genug.
 
Ich war selber mehrmals in Israel und habe mit dem jüdischen Volk keine schlechte Erfahrung gemacht, im Gegenteil. Ich bin also nicht vorurteilsbehaftet und mit keiner Spur von Antisemitismus belastet. Nur gibt es aus meiner Sicht keine auserwählten Völker, die einen Freipass haben, international anerkannte Grundsätze mit Füssen zu treten, die ungestraft tun und lassen können, was ihnen gefällt. Das ist auch eine Anspielung auf die selbstherrlichen USA, die sich über alle Gesetze hinwegsetzen oder diese umschreiben. Es darf auch kein Volk geben, das sich jeder Kritik aus der Weltöffentlichkeit zu entziehen vermag, indem auch sachlich argumentierende Kritiker kriminalisiert und bestraft werden. Auch die Zuflucht zur Zwecklüge wird allmählich unerträglich.
 
Es liegt eine unbeschreibliche Tragik auf dem Judentum, die vielleicht gemildert werden könnte, wenn es endlich möglich werden sollte, Verstösse gegen das Menschen- und Völkerrecht auf allen Seiten im Klartext zu benennen und die Humanität von allen gleichermassen zur Maxime des Handelns würde.
 
Ich wusste schon damals nicht, ob man so etwas schreiben und publizieren darf. Ich wusste und weiss nur, dass es gesagt werden muss. Nicht allein der palästinensischen Oliven wegen. Es geht um Grundsätzliches.
 
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