Textatelier
BLOG vom: 25.01.2006

Tut der Sonnenhut (Echinacea) gut oder scheint's nur so?

Autor: Heinz Scholz
„Sonnenhut tut gar nicht gut." Unter dieser Schlagzeile wurde in der Zeitschrift Öko-Test (2006-01) ein Testbericht über Echinacea-Präparate publiziert. Darin wurde von den Testern ein vernichtendes Urteil gefällt: 16 der 30 auf dem deutschen Markt erhältlichen Präparate erhielten die Note „ausreichend bis ungenügend“, und 14 Produkte bekamen die Note „befriedigend“ als Gesamturteil. Der Autor Jürgen Steinert schrieb: „Zubereitungen aus dem Sonnenhut sollen das Immunsystem stimulieren. Doch die versprochenen Wirkungen sind kaum haltbar. Uneingeschränkt empfehlenswert ist kein einziges Produkt.“
 
Seltsam ist der Umstand, dass die Zeitschrift Öko-Test 3 Jahre zuvor die Präparate ganz anders beurteilt hatte, nämlich positiv. Warum jetzt die Kehrtwendung? Handelten die Tester nach dem (Politiker-)Motto: „Was interessiert mich das Geschwätz (das Geschriebene) von gestern?“ Oder sollten, wie es vor kurzem den homöopathischen Medikamenten erging, einfach weitere altbewährte Naturprodukte als wirkungslos hingestellt werden?
 
Auch im sternTV wurde der Test am Mittwoch, 11. Januar 2006, vorgestellt. Dabei kamen der genannte Autor von Öko-Test und ein Apotheker zu Wort. Der Apotheker blies ins gleiche Horn wie der Tester; er bescheinigte den Echinacea-Präparaten nur eine Placebowirkung.
 
Wie kam es eigentlich zur Meinungsänderung der Tester? Anlass für den neuen Test war eine Studie von Ronald B. Turner, die in der Zeitschrift The New England Journal of Medicine im Jahr 2005 (Seiten 341–348) publiziert wurde. Turner kam zu dem Ergebnis, dass Echinacea keine Wirkung bei Infektionen und Erkältungen habe. Diese Studie wurde anderweitig jedoch stark kritisiert.
 
Dr. Ingo Waschulewski von der Bioforce AG in CH-4914 Roggwill TG nahm die Studie unter die Lupe und ermittelte gravierende Fehler. Hier seine Stellungnahme:
 
Die Studie wurde mit Echinacea angustifolia durchgeführt. Diese Art wird kaum noch für die Herstellung von Echinacea-Präparaten verwendet. Bei uns kommen Zubereitungen aus dem Kraut oder der Wurzel von Echinacea purpurea oder Echinacea pallida in den Handel.
Der verwendete Extrakt war in der Studie zu gering dosiert.
Die zur Auslösung der Infektion verwendete Dosis an Rhinoviren war 10- bis 100-mal höher als dies bei „normalen“ Infektionen der Fall ist.
Die Vergleichbarkeit mit anderen Studien bzw. Echinacea-Präparaten war nicht mehr gegeben.
Die Studie hatte weitere methodische Schwächen.“
 
Die Ergebnisse wurden von den Testern unkritisch übernommen. Auch wurde nicht berücksichtigt, dass bezüglich einiger Präparate randomisierte (mit zufällig ausgewählten Personen), placebo-kontrollierte und doppel-blinde klinische Studien vorliegen. Die Wirksamkeit ist also bei einigen Zubereitungen eindeutig dokumentiert. Aber das interessierte die Tester offensichtlich nicht. Sie bewerteten vielmehr das Aussehen der Verpackung, die Infos auf dem Beipackzettel und die Alkoholmenge in der Zubereitung („für Alkoholiker und Kinder problematisch“).
 
Das Urteil von Bioforce: „Eine seriöse Untersuchung von Echinacea-Produkten hätte der durchaus geschätzten Zeitschrift ‚Öko-Test’ besser angestanden. Für den Konsumenten ist der Test nicht sehr hilfreich, da er wissenschaftlich belegte Fakten beiseite lässt und dafür eher willkürlich zu nennende Massstäbe anlegt.“ (Eine ausführliche Stellungnahme finden Sie auf den Websiten www.avogel.de oder www.avogel.ch)
 
Wirkungen von Echinacea
Naturheilärzte und Heilpraktiker bestätigten mir in Gesprächen immer wieder die exzellente Wirkung von Sonnenhut. Auch von Privatpersonen sind mir Berichte über Wirkungen bekannt. So erzählte mir erst vor einigen Tagen eine mir gut bekannte Reformwarenverkäuferin, die schon 32 Jahre Erfahrung mit Echinacea hat, von der guten Wirkung bei Erkältungskrankheiten und innerlichen und äusserlichen Entzündungen. Wenn sie die ersten Anzeichen einer Erkältung verspürt, nimmt sie sofort Echinacea ein. Sie ist überzeugt, dass die Erkrankung dann milder verläuft und die Erkrankungszeit verkürzt wird.
 
Es ist schon merkwürdig, wenn Tester und andere Fachleute über eine angebliche Wirkungslosigkeit berichten, aber den Inhaltsstoffen im „Reagenzglas“ (in vitro) eine antivirale und Aktivitätssteigerung von Zellen des Immunsystems bescheinigen. Auf diese Wirkung weist Jürgen Steiner in seinem Bericht hin. Turner behauptet nun, dass solche Effekte nicht auf den Menschen übertragen werden könnten.
 
Es liegen inzwischen etliche Studien am Menschen (in vivo) vor, bei denen der oben geschilderte Effekt nachgewiesen wurde. Dazu ein Beispiel: Nach einer 4-wöchigen Einnahme eines Echinacea-Extrakts wurde eine Vermehrung der T-Lymphozyten und der „Killerzellen“ festgestellt. Die genannten Zellen beteiligen sich übrigens an der Vernichtung von Krankheitserregern.
 
Fazit: Nach meiner Ansicht haben die Tester gar nicht oder schlampig recherchiert. Offenbar waren ihnen die wissenschaftliche Datenlage über Echinacea-Präparate und die Mängel der Turner-Studie nicht bekannt. Sie legten wenig Verantwortungsbewusstsein an den Tag, wenn sie aufgrund einer einzigen Studie ein jahrzehntelang erfolgreich angewandtes Phytotherapeutikum verdammen. „Kein Medikament der Welt, welches angeblich nur über einen Placebo-Effekt verfügen soll, könnte sich so lange erfolgreich am Markt behaupten“, so Bioforce.
 
Zu den Tests noch eine Stellungnahme von Walter Hess. Er schrieb mir per E-Mail bei der Vorbereitung dieses Blogs: „Ich habe schon früher solche unverzeihlichen Patzer bei der Bewertung von Naturheilprodukten festgestellt, weil oft das schulwissenschaftliche Denken in Reinkultur vorherrscht. Es ist sehr reduktionistisch und gar nicht in der Lage, alle biologischen und biochemischen Zusammenhänge zu erfassen. Praktische Erfahrungen und Beobachtungen zählen hier nichts, sobald sie übers Messbare hinaus gehen. Diese überlässt man der Naturheilkunde (Erfahrungsheilkunde).“
 
Ja, der Verbraucher sollte sich durch unqualifizierte Tests nicht aus der Ruhe bringen lassen. Er wird letztlich selber feststellen, ob ihm ein Mittel ihm hilft oder nicht. Und dies ist das Entscheidende daran.
 
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