Textatelier
BLOG vom: 01.03.2007

Ein gastrosophischer Notschrei aus dem Kunststoff-Zeitalter

Autor: Walter Hess, Biberstein CH
 
Können Sie sich einen Flachbildschirm aus Holz, Leder, Porzellan oder Jute vorstellen? Wahrscheinlich würde er nicht funktionieren. Da braucht es schon einen geeigneten Kunststoff, Plastik eben. Kunststoff, ein vollsynthetisch durch Umwandlung zum Beispiel von Erdölderivaten hergestellter Werkstoff, hat oft die besseren Eigenschaften. Es gibt nicht einen Kunststoff, sondern Kunststoffe in unendlich vielen Abwandlungen, genau angepasst an die jeweiligen Bedürfnisse. Vielleicht hat sogar eine Autostossstange aus Kunststoff, die aus einer Kunststoffschmelze im Spritzgussverfahren fabriziert worden ist, gegenüber einer solchen aus blankem Stahl ihre Vorteile, auch wenn sich darin immer noch ein Stahlträger verbirgt. Sie ist leichter (man führt weniger Gewicht herum und spart Treibstoff), ein wenig elastisch, verteilt die allfällig abzufangende Energie besser und kann nach kleineren Stössen wieder in die herkömmliche Form zurückkehren. Fussgänger und Velofahrer schätzen nach unerwünschten Kontaktnahmen die Vorteile einer Kunststoff-Stossstange ebenfalls.
 
Nichts gegen Kunststoff! Und doch geht mir der Kunststoff manchmal auf die Nerven: Wenn man mir Kaffee, Wein und Speisen aus Kunststoffgeschirr und mit Kunststoffbesteck serviert, was bei Massenanlässen immer wieder einmal der Fall sein kann, bedrückt das mich, auch wenn diese elegante Lösung durchaus ihre Vorteile hat. Wenn zum Beispiel ein technisches Unternehmen seine Kunden einlädt, kann es sich ja nicht 300 Teller und Tassen aus Meissener Porzellan und 600 Weingläser aus Kristallglas von Riedel zulegen. Mit Kunststoff geht alles eleganter. Das Abwaschen entfällt. Und das beste Genusserlebnis ebenfalls.
 
Ich möchte mich hier nicht in Diskussionen über Energiebilanzen einlassen, da sie ohnehin keine genauen Ergebnisse bringen würden, sondern mich einfach einmal gegen den Bequemlichkeitskunststoff (zur Aufnahme des Bequemlichkeitsfutters) im gastronomischen Bereich aussprechen. Schon wenn ich einen Plastikbecher mit einem guten Wein an die Lippen führe, leidet mein Vergnügen empfindlich, zumal es mir bisher noch nie eingefallen ist, eine Kunststoff-Tragtasche zu küssen; ich gebe offen zu, diesbezüglich andere Vorlieben zu haben, wenn schon.
 
Kürzlich durfte ich an einem Geschäftsanlass teilnehmen, an dem ein herrlicher Tessiner Risotto mit Safran und Pilzen in Kunststofftellern serviert wurde – dazu ein Plastikgäbelchen in unschuldigem Weiss. Der Teller bestand aus einer Art wasserabweisendem Schaumkunststoff, und die spitze Gabel schien sich immer wieder im weichen Tellerboden zu verfangen. Ich befürchtete, dass ich dabei etwas Plastik lösen und mitverzehren würde. Das Essvergnügen war schon etwas vermindert.
 
Normalerweise wird alles getan, um die Mahlzeiten zu zelebrieren – Tischtücher, schöne Gedecke, edles Porzellan, feinwandige Gläser mit der idealen Form, schönes Besteck. Meine Eltern hatten für besondere Gelegenheiten Silberbesteck in der Schublade; doch war mein kindlicher Gaumen so empfindsam ausgebildet, dass ich immer einen metallischen Beigeschmack spürte, und so habe ich noch heute gegen Silber auf dem Tisch gewisse Vorbehalte. Edler Stahl mag seine Vorteile haben – vor allem auch Holzstäbchen nach asiatischem Vorbild. Wir essen bei jeder Gelegenheit mit Hilfe dieser Geräte.
 
Meine Zuneigung zu Kunststoff geht jedenfalls nicht so weit, dass ich ihn auf dem Esstisch haben möchte. Und aus diesem Grund habe ich lange darüber nachgedacht, was denn zu tun sei, wenn jemand viele Gäste einlädt und nicht genügend Gläser, Teller und Besteck zur Verfügung hat. Diese Lösung scheint salomonisch zu sein: Man schreibt auf der Einladung, leider sei es nicht möglich, genügend Teller, Gläser, Messer und Gabeln aus edlen Materialien bereitzustellen. Wer darauf Wert lege, solle doch sein Gedeck bitte gleich selber mitbringen – und für alle anderen gebe es halt eben Plastikgeschirr und -besteck.
 
Ich habe schon oft gedacht, am liebsten würde ich mein eigenes Geschirr mitnehmen (früher gab es Weinliebhaber, die ihr eigenes Gläsersortiment ohne Spülmittelrückstände in einem passenden Köfferchen mitführten). Doch das Verschmähen des Kunststoffgeschirrs und der Einsatz selbst mitgebrachter edler Materialien würde als Unhöflichkeit empfunden, als ein Wink mit dem Zaunpfahl: Mehr Kultur bitte! Anders ist es, wenn überforderte Gastgeber, welche die Sache gleichwohl im Griff haben, ausdrücklich dazu auffordern.
 
Mit diesem einfachen Trick könnte manch ein Massentreffen an gastrosophischem Niveau gewinnen, das heisst, es wäre in diesem Plastikzeitalter ein Beitrag zur Wiederbelebung der Kunst, Tafelfreuden in vollen Zügen zu geniessen.
 
Und für den Hin- und Heimtransport des eigenen Geschirrs hat man ja Plastiktaschen, die man mit etwas Schaum(kunst)stoff auskleiden kann ... Damit nichts in Brüche geht.
 
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