Textatelier
BLOG vom: 14.02.2007

Georg Eckle: Erinnerungen an einen Pionier der Fusspflege

Autor: Heinz Scholz, Schopfheim D
 
Der „Fusspflege-Papst“ Georg Eckle, der im Laufe seiner über 50-jährigen Tätigkeit als Medizinischer Fusspfleger unzählige Patienten von ihren Fussbeschwerden befreite, starb am 18.01.2007 im 87. Lebensjahr in seiner geliebten Wohnung der Senioren Residenz der KBF in Reutlingen D in den Armen seiner Tochter Monika.
 
Ich lernte den profunden Pionier seines Berufsstandes anlässlich eines Besuches 1999 in der Praxis in Göppingen, die er zusammen mit seinem Sohn Günter und dessen Frau Christa betrieb, kennen und schätzen. Ich verfasste zu jener Zeit für die Fachzeitschrift „Podologie“ (1999-09) ein Praxisporträt und später zum 80. Geburtstag eine Würdigung in derselben Zeitung (2001-01). Georg Eckle war ein grossartiger Mensch, der mich vom ersten Augenblick an begeisterte und faszinierte. Noch gerne erinnere ich mich an die amüsanten Anekdoten, die er mir erzählte. Davon später etwas mehr.
 
Georg und Günter Eckle entwickelten spezielle Techniken bei der Arbeit am Fuss, aber auch neue Instrumente, die heute zur Standardausrüstung jedes Podologen oder Fusspflegers gehören. Beide bildeten sich auch laufend weiter, um das Wissen in Theorie und Praxis an ihre Seminarteilnehmer weiterzugeben. Ihre Devise lautete: „Nie aufhören zu lernen!“ Kann man etwas besser machen? Und wie kann man Patienten noch besser zufrieden stellen? Das stets kritische Hinterfragen ist wohl das Erfolgsgeheimnis dieser Praxis (www.g-eckle.de).
 
Im Dienste der Fusspflege
Georg Eckle, der mit 80 Jahren in der Massage- und Fusspflegepraxis seines Sohnes Günter Eckle noch 2 Mal in der Woche seine langjährigen Patienten behandelte, hatte schon früh das Bedürfnis, anderen Menschen zu helfen und ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. So verwundert es nicht, dass er in jungen Jahren aktives Mitglied des Deutschen Roten Kreuzes wurde, und sich zum Krankenpfleger ausbilden liess. Während des Zweiten Weltkriegs pflegte er als Sanitäter Verwundete. Nach Ende des Krieges folgten eine Ausbildung zum Masseur am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart (Staatsexamen 1948) und ein kurzes Wirken an der Orthopädischen Klinik „Johanneum“ in Ulm.
 
Ein lang gehegter Wunsch, eine eigene Praxis zu eröffnen, ging 1949 in Erfüllung, als sich Eckle in Geislingen/Steige als Masseur und Fusspfleger niederliess. Dafür musste er einen gehörigen Batzen Geld aufbringen.
 
1950 ergab sich dann eine wichtige Begegnung mit Josef Greppmayr, dem „Nestor der Fusspflege in Deutschland“. Greppmayr wurde Lehrmeister und später Kollege in der Verbandsleitung. Georg Eckle gründete zusammen mit weiteren Kollegen den Verband der Fussspezialisten, Landesgruppe Baden-Württemberg, und blieb 7 Jahre lang Landesvorsitzender. 1956 übernahm er eine Fusspflegepraxis in Göppingen, 2 Jahre später baute er diese zur Massage- und erweiterten Fusspflegepraxis aus. 1970 stieg sein Sohn Günter und seine Schwiegertochter Christa als Verstärkung mit in die Praxis ein.
 
Höhepunkt in seinem Arbeitsleben war 1980 die Herausgabe des Buchs „Theorie und Praxis der medizinischen Fusspflege“. Dieses Fachbuch der Podologie für Studium und Berufsalltag, das mehrere Auflagen erlebte, wurde zu einem wichtigen Standardwerk. Die neueste Auflage hat 460 Seiten und sage und schreibe 480 Farbabbildungen. Eine Besprechung aus meiner Feder finden Sie auf der Hompage von Günter Eckle (www.g-eckle.de).
 
Wie Günter Eckle mir vor kurzem erzählte, besitzt er ein umfangreiches Archiv mit digitalen Bilddateien. Die Fotos hat er allesamt in seiner Praxis aufgenommen. Für diverse Fachpublikationen stellt er mir immer wieder seine Fotos zur Verfügung.
 
Ein weiterer Höhepunkt folgte 1982. Georg Eckle gründete zusammen mit seinem Sohn ein Fortbildungszentrum für medizinische Fusspflege in Göppingen. Blicken wir einmal zurück zu den Anfängen seiner Behandlungen.
 
Es kamen keine Frauen zur Behandlung
Nach der Eröffnung der Praxis in Geislingen/Steige wunderte sich der Fachmann, dass keine Frauen in die Praxis kamen. Es dauerte nicht lange, bis er mehr dazu in Erfahrung brachte. Zu jener Zeit liess sich in diesem Ort keine „anständige“ Frau von einem Mann behandeln. Ausziehen war unschicklich. Für Georg Eckle, der vorher im Städtischen Mineralbad am Kursaal in Bad Cannstatt selbstverständlich auch Frauen behandelt hatte, war diese Situation völlig neu. Später, als er eine Praxis in Göppingen übernahm, kam ganz selbstverständlich auch die Weiblichkeit zu ihm.
 
Plattgedrückte Einlagen und beissende Hunde
Aus jener Zeit wusste Georg Eckle einige amüsante Geschichten zu erzählen. So fuhr er zunächst mit dem Rad, später mit dem Motorrad, aufs Land und besuchte seine Patienten. Als er einmal bei einer Bäuerin mit seinem Köfferchen in der Hand auftauchte, um ihre Hühneraugen zu entfernen, meinte die Frau entsetzt: „So was Neumodisches kommt mir nicht ins Haus, lassen Sie Ihren Koffer zu, machen Sie mir nur die Hühneraugen raus.“
 
Anlässlich eines weiteren Besuches entdeckte Georg Eckle Einlagen, die platt gedrückt waren. Die Patientin hatte sie verkehrt herum im Schuh getragen. „Die müssen doch gehörig gedrückt haben“, meinte der Behandler. Die Frau entgegnete: „Das schon, aber ich dachte, das muss so sein!“
 
Als Georg Eckle bei einer alten Dame gelegentlich einen Hornhautlöser auftrug, meinte die mitgekommene Enkelin: „Das macht Herr Eckle, damit die Zehen nicht quietschen.“
 
Wenn der damals junge Eckle mit seinem Behandlungskoffer oder Lichtkasten (für Massagen) auf dem Gepäckträger unterwegs war, lieferte er sich nicht selten mit freilaufenden Hunden wahre Verfolgungsjagden. Oft war der Fusspfleger mit seinem Motorrad schneller und konnte sich so manchem Hundebiss entziehen. Manchmal war es auch umgekehrt.
 
Schon zu jener Zeit liess Georg Eckle an Litfasssäulen Plakate mit der Headline „Fusspflege ist kein Luxus“ aufhängen. Und damit war er der Zeit weit voraus. In Deggingen D, im Gasthaus „Zur Rose“, richtete er in einem Nebenzimmer eine provisorische Landpraxis ein. Alle 4 Wochen behandelte er dort Patienten. Jedesmal, wenn Eckle auftauchte, wurde das Ereignis vom Amtsboten, der schellend durchs Dorf zog, verkündet. Dann strömten nicht nur Frauen, sondern auch Männer ins Wirtshaus. Es wurde so manches Bier getrunken, und der neueste Dorfklatsch machte die Runde. Und es ging, wie Eckle betonte, immer sehr lustig zu.
 
Eine Frau war immer darauf bedacht, ihre Persönlichkeit durch ein angeblich bestandenes Abitur aufzuwerten. Um dies zu untersteichen, gebrauchte sie sehr gerne Fremdworte. Eines Tages erhielt Georg Eckle folgende telefonische Absage: „Herr Eckle, ich kann heute nicht kommen, wissen Sie, ich bin heute so indiskret.“
 
Bei einem Seminar mit dem Thema „Eingewachsener Nagel“ erläuterte Georg Eckle den Teilnehmern die Inhaltsstoffe von unserem Hornhautlöser. Der Hauptwirkstoff ist nämlich identisch mit dem in Dauerwellenpräparaten. Er macht das Haar weich, dass es geformt werden kann. Einwurf einer Kollegin: „Da wundern Sie sich noch, dass Sie in der Praxis so viele Probleme mit eingerollten Nägeln haben?“
 
Manchmal sind die Kursteilnehmer durch das Besprechen der vielen Präparate überfordert. Sie benützen dann zur keratolytischen (hornhauterweichenden) Behandlung eben „Pedigripal“ anstatt „Pedi-Parat“.
 
Menschen zeigten lieber Hintern als Füsse
Noch einige Bemerkungen zur Praxis in Göppingen. Hinter der Firmenbezeichnung Massage-Praxis Eckle verbergen sich heute 2 Fachbereiche, die Massage-Abteilung und die Praxis für Podologie. Als ich 1999 die Praxis in der Bleichstrasse 10/1 aufsuchte, sah ich ein hochqualifiziertes Team und geräumige, geschmackvoll eingerichtete Räume. An den Wänden hingen Reproduktionen von Vincent van Gogh („Les vignes rouges d`Arles), Marc Chagall („Der Hahn“) und Pablo Picasso („Kind mit Taube“, „Paolo als Harlekin“). Auffällig war ein Poster mit 36 Fusspaaren des Planegger Künstlers Uli Wegner und eine informative Lehrtafel über spezielle Behandlungstechniken von Günter Eckle. In einem Behandlungsraum fiel mir ein Bild besonders auf. Geschaffen wurde es von einem ägyptischen Papyrusmaler in Kairo. Es zeigt die Fussschau im alten Ägypten. Das Original stammt aus einem Ärztegrab bei Sakkara. Ich dachte mir, dass sich die Patienten hier wohlfühlen würden.
 
Zu dem Poster von Uli Wegner wusste Günter Eckle etwas zu erzählen. Der Künstler hatte auch ein Poster mit Gesässaufnahmen in Fülle angefertigt. Dafür hatten sich genügend Modelle gefunden; bei den Fussaufnahmen aber gab es Schwierigkeiten. Nur mit Mühe fand Uli Wegner 36 Leute, die ihre Füsse für Aufnahmen zur Verfügung stellten. Schämen sich die Leute wegen ihrer ungepflegten Füsse? Oder gibt es andere Gründe, weshalb das so ist? Georg Eckle meinte, es könnte damit zusammenhängen, weil die Menschen ihre Füsse immer verstecken und sie nicht für so wichtig erachten. „Schon nach dem Aufstehen verstecken wir sie in Socken, Strümpfen und Hausschuhen, später schlüpfen wir in Strassenschuhe und abends, wenn wir ins Bett gehen, werden sie unter der Decke verborgen.“
 
Auch Günter Eckle beobachtet immer wieder im Urlaub, in welch schlechtem Zustand die Füsse der Strand- oder Badegäste sind. Er sieht oft Füsse mit Schwielen, Hornhaut, Druckstellen und unbehandeltem Fuss- und Nagelpilz. Verwundert ist er jedes Mal, wenn kosmetisch aufgepeppte Frauen mit ungepflegten Füssen unangenehm auffallen.
 
Treffende Charakterisierung
Eine gute Bekannte von mir fand sehr schöne Worte, um den Menschen Georg Eckle treffend zu charakterisieren. Sie schrieb an die Hinterbliebenen folgende Zeilen:
 
„Man hatte es mit einem aussergewöhnlichen Menschen zu tun, der neben fachlicher Kompetenz in hohem Mass auch vom Geist der Humanitas geprägt war (…) Ein Mann von Handschlagqualität, dem man sich da gegenüber sah, ein Mann der alten Schule eben. Männer gibt es viele, Herren wenige (…). Leider sind Leute vom Format eines Georg Eckle in unserer rein materialistisch ausgerichteten Zeit selten geworden. Somit stellt sein Ableben einen gravierenden Verlust dar.“
 
Ein Mensch, der diese Welt verlässt, ist immer ein Verlust. Für mich ist Georg Eckle nicht gestorben, er lebt in meinen Gedanken weiter.
 
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