Textatelier
BLOG vom: 06.09.2007

Tessin-Impressionen (I): Das Paradies mit Dusche im Freien

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
„Das Tessin ist ein Kaleidoskop; bei jeder Drehung bietet es ein neues Bild.“
Will Keller
 
„Glücklich, wer die Wunder einer Reise eines nach dem anderen zu entdecken weiss, denn nur so wird er sie niemals vergessen können.“
Sandro Chierichetti
*
Der Allgäuer Schriftsteller Gerhard Köpf wusste über seine Tessinreisen auch etwas Treffendes zu berichten. Er schrieb über diese herrliche Landschaft: „Ist man erst einmal überm Berg, dann geht es geographisch bergab und innerlich bergauf.“
 
So erging es meinem Wanderfreund Toni und mir, als wir am 25. August 2007 bei schönem Wetter den St.-Gotthard-Pass überquerten und dann immer bergab Richtung Lago Maggiore fuhren. Es wurde zunehmend milder und die Vegetation üppiger. Mir wurde es richtig wohl ums Herz. Wir waren im Tessin, dem südlichsten Kanton der Schweiz. Dieser Kanton hat nicht nur ein mediterranes Ambiente mit Palmen, Kamelien, Oleandern, Mimosen und andere subtropische Pflanzen zu bieten, sondern auch ein reiches Kulturerbe. Überall sind zauberhafte Dörfer und Städte mit ihren prächtigen romanischen Kirchen und Glockentürmen, Villen, Palästen, üppigen Gärten und Parks zu sehen. Schon früher, wenn immer ich auf der Autobahn an diesen Orten in Richtung Italien vorbeiflitzte, war ich von diesem Landstrich mit seinem italienischen Flair fasziniert.
 
„Die italienische Schweiz ist ein Land voller Wärme und Sonnenschein. Die hohe Alpenkette hält die kalten Winde des Nordens fern, während warme Luftströmungen aus dem Süden die Landschaft der Täler und Seen verwöhnen“, schrieb Anita M. Back in ihrem ADAC-Reiseführer Tessin. In der Tat ist der Lago Maggiore (Langensee) die sonnenreichste Gegend der Schweiz (2300 Stunden Sonnenscheindauer pro Jahr) mit einer Durchschnittstemperatur von 12,5 °C.
 
Warum wählten wir dieses Tessin für Wanderungen aus? Nun, wir erhielten eine Einladung von Thomas und Renzi, einige Tage in ihrer Berghütte zu verbringen. Das Ehepaar aus Lörrach D begann vor 40 Jahren mit dem Ausbau einer Ziegenhütte im Verzascatal. Später errichteten sie in der Nähe ihres Ferienhauses noch ein Hüttli für Besucher. Die beiden waren während unseres 5-tägigen Besuches anwesend.
 
Wir verliessen die Autobahn in Bellinzona und fuhren Richtung Locarno. In Gordola ging es dann über Gordemo ins Verzasca-Tal (Val Verzasca). In diesem Tal befindet sich eine von Thomas gebaute kleine Seilbahn, die für den Gepäcktransport vorgesehen ist. Nachdem wir Thomas per Telefon von unserem Kommen benachrichtigt hatten, schickte er mit der Seilbahn eine Kiste ins Tal. Flugs luden wir unser Gepäck und den Lebensmittelvorrat für 5 Tage in das Vehikel, die dann nach oben transportiert wurden. Wir fuhren dann mit dem Auto an einen Parkplatz, und von dort wanderten wir in etwa 20 Minuten zu unserem Feriendomizil. Auf steinigen und steilen Wegen kamen wir zum ersten Mal gehörig ins Schwitzen. Erst später erfuhren wir, dass es auch einen bequemeren Weg nach oben gibt.
 
Im kleinen Paradies
Als wir am Gartentürchen ankamen und dieses öffneten, läutete Toni zur Begrüssung eine Schiffsglocke, welche die Aufschrift „Graf Spee 1939“ trägt. Wie ich später erfuhr, handelte es sich um kein Original, sondern um eine Nachbildung. Solche Nachbildungen kann man in Italien reichlich bekommen.
 
Wir wurden von Thomas und Renzi freudig begrüsst. Auf der herrlichen Terrasse erhielten wir einen Zwetschgenschnaps, der wohltuend durch unsere Kehlen rann.
 
Es ist schier unglaublich, was die beiden hier geschaffen haben. Aus einem tristen Ziegenstall – ich sah später einige Fotos vom ursprünglichen Zustand – schufen sie ein herrliches Anwesen mit allen Annehmlichkeiten. Die alten Ziegenställe sind meistens aus Granitsteinen trocken geschichtet. Sie haben etwa 70 cm dicke Mauern und Dächer, die mit gebrochenen Granitplatten belegt sind.
 
Im erneuerten Stall befinden sich im Erdgeschoss ein Wohnzimmer mit Küche, Einbauschränken, Gasherd, Spüle, Gaskühlschrank, ein Ofen und ein Fernsehgerät. An der Wand hängen einige von Thomas gemalte Bilder. In einer Mauernische ist Hochprozentiges (Grappa, Zwetschgenschnaps, Hefeschnaps) nicht nur für geschwächte Besucher untergebracht. In einem Nebenraum entdeckte ich die Dusche und ein Spülklosett. Sogar eine Telefonleitung wurde vom Tal in das kleine Paradies geleitet. Im Obergeschoss ist das Schlafzimmer untergebracht.
 
Der Strom wird von einer Solaranlage und einem Stromaggregat geliefert. Aber damit noch nicht genug: Ein offener Kamin unter einem Vordach und ein kleiner Swimmingpool im Garten sind Einrichtungen, die man hier in dieser Abgeschiedenheit nicht vermuten würde. Man findet rund ums Haus eine üppige Vegetation. So bringen Palmen, Kamelien, Azaleen, Rhododendron, Zedern und Esskastanienbäume und etliche andere Pflanzen ein südländisches Flair. Es kam mir so vor, als wäre ich in einem Ferienhäuschen in Südtirol.
 
Atemberaubend ist auch der Blick ins Verzasca-Tal und die gegenüber liegenden dicht bewaldeten Berge. Thomas zeigte uns später eine Fotografie, die im Winter gemacht wurde. Da sieht man eine grüne Oase inmitten der blätterlosen Bäume (hier an den Hängen wachsen hauptsächlich Laubbäume). Die Besitzer pflanzten nämlich neben den erwähnten Gewächsen auch einige Kiefern und Zedern auf dem Grundstück.
 
Im Jahr 2000 wurde das undichte, mit Granitplatten versehene uralte Dach durch ein Ziegeldach ersetzt. Es war, wie Thomas bemerkte, ein fürchterlich anstrengendes Werk, um die 35 Tonnen Steinplatten abzutragen und zu stapeln. Das Material für das neue Dach wurde mittels Helikopter nach oben transportiert. Beim Abtragen wurde eine schwarze Ringelnatter entdeckt, die sich dann davon schlich. Der Dachstuhl bestand aus Kastanienholz, in den eine Reihe Holznägel eingebohrt waren. Darauf lagen quer zahllose, armdicke, behauene Asthölzer.
 
Obwohl Thomas das alte Dach immer wieder mit allen möglichen Isoliermaterialien abdichtete und so manches Schlupfloch verschloss, kam es vor, dass Siebenschläfer, Mäuse und Marder den Weg ins Innere fanden. Nun ist das Dach dicht und er hat keine ungebetenen Gäste mehr. Ein installiertes Ultraschallgerät im Wohnzimmer sorgt für Fliegenfreiheit. Auf einem Vordach sorgt ein weiteres Gerät, das bei einer Bewegung aktiv wird, für das Fernbleiben unerwünschter Tierchen.
 
Kalte Dusche mit Frischluft
Nach dem Hallo und Begrüssungstrunk wurden wir von Thomas ins Hüttli geleitet. Dieses Holzhäuschen ist etwa 100 m vom Haupthaus entfernt und dient als Unterkunft für Feriengäste. Es ist ganz komfortabel eingerichtet. Es gibt hier 2 Etagenbetten für 4 Personen, einen kleinen Schrank, Gaskühlschrank, Gasherd, Spüle, einen Ofen zum Beheizen des Raumes, einen Tisch mit Stühlen. An der Wand oberhalb der Spüle sind eine ganze Reihe von Krügen und Tassen aufgehängt. Darüber ist ein Brett mit allen möglichen Grundnahrungsmitteln (Zucker, Salz, Öl, Mehl, Nudeln usw.).
Oberhalb des Hüttlis lädt eine Boulebahn zum Spielen ein. Aber dafür hatten wir in den nächsten Tagen keine Zeit.
 
Bevor ich unsere Unterkunft bezog, dachte ich mir, da wird doch irgendwo ein Plumpsklosett in der Landschaft stehen. Weit gefehlt. In einem Anbau der Hütte war sogar ein Spülklosett vorhanden. Das Klo konnte mit einer Halbtür verschlossen werden. Wer auf so einem Sitz sein Geschäft machte, konnte in die herrliche Landschaft blicken.
 
Das Wasser wird übrigens von einer Quelle geliefert. Über Behälter strömt das Wasser durch Schläuche in einen offenen Brunnen, in die Wasserleitungen des Haupthauses und der Hütte. Das kalkarme Wasser schmeckte übrigens hervorragend. Überall im Verzascatal tranken wir bei den späteren Wanderungen dieses herrlich kühle Wasser an Brunnen oder füllten unsere Wasserflaschen damit auf. Für ein kühles Bier brauchten wir keinen Kühlschrank. Wir kühlten den Hopfentrunk in einem Brunnentrog.
 
Unsere Dusche befand sich im Freien unter 2 Bäumen. Thomas hat hier eine raffinierte Konstruktion vollbracht. Immer nach den schweisstreibenden Wanderungen nutzten wir die Dusche zum Abkühlen. Zunächst kam etwas kühles Wasser, dann warmes, dann wieder kaltes. Ich kam mir vor, wie bei einer Kneippkur. In frischer Luft konnten wir im Adamskostüm duschen. Es war eine Erfrischung ohnegleichen. Nur musste alles schnell gehen, damit der nachfolgende Duscher auch noch etwas warmes Wasser abbekam. Das warme Wasser wurde übrigens durch die Sonnenbestrahlung von einem Teil der zuleitenden Schläuche geliefert. War dieses aufgebraucht, kam kaltes Wasser. Später durfte ich die 2. Dusche am Pool benutzen. Am frühen Morgen machten wir nur eine Katzenwäsche.
 
Thomas gab mir noch etwas zum Raten. Ich sollte einmal schätzen, der wievielte Besucher ich war. Nun, ich schätzte, dass innerhalb von 40 Jahren vielleicht 150 bis 200 Gäste ins Hüttli einzogen. Als ich die Zahl von Thomas hörte, verschlug es mir die Sprache. Ich war der 703. Besucher (Doppelbesuche wurden nicht gezählt!).
 
Bevor wir in die Betten stiegen, genossen wir auf Liegen in freier Natur vor dem Hüttli die himmlische Ruhe, die bei zunehmender Dämmerung immer mehr sichtbaren Sterne (die Venus war der hellste Stern an den Abenden) und den hinter einem Berg auftauchenden Vollmond. Es war so hell, dass ich problemlos die Uhrzeit an meiner Armbanduhr ablesen konnte. Auch viele Flugzeuge mit ihren blinkenden Positionslichtern, die von Norden nach Süden flogen, konnten wir beobachten. Wir philosophierten und staunten aber vor allem über die Wunder der Natur.
 
Kulinarische Verwöhnung
Renzi, die eine exzellente Köchin ist, bereitete für uns schon am 1. Abend eine köstlich schmeckende Minestrone ticinese. Renzi erzählte mir, dass sie jede Menge Gemüsesorten klein geschnitten hatte, um eine solche „dicke Suppe“ zu kochen. Dabei verriet sie mir, dass zuerst das Gemüse mit der längeren Garzeit in Olivenöl angedünstet wird, dann folgen die anderen Sorten. Am 2. Tag war ein Grillabend angesagt. Gegrillt wurden unsere mitgebrachten Hähnchenschenkel auf Alu-Schalen im Kaminfeuer (Renzi und Thomas schufen nämlich in einer Nische auf der Terrasse einen schönen Granitofen mit Kamin). Dazu gab es fantastisch schmeckende Tomatenscheiben mit Basilikum, Kartoffeln und gedünsteten Blumenkohl. Am 3. Abend schnippelte Toni fleissig die mitgebrachten Karotten für einen entsprechenden Salat. Dazu gab es Grillwürste, kleine Frikadellen und reichlich Brot. Wir wurden also kulinarisch von Renzi sehr verwöhnt. Am letzten Abend verzehrten wir die Reste der mitgebrachten Lebensmittel.
 
Rezept Minestrone ticinese
Hier das Rezept für eine Minestrone ticinese:
 
Zutaten: Karotten, Kartoffeln, Zucchini, Paprikaschoten, Tomaten, Sellerie und Kraut, glatte Petersilie, Porrée (Lauch), getrocknete Bohnen (oder aus der Dose), grüne Bohnen, Kohl, Mangold, etwas Fenchel, Kräuter (Salbei, Basilikum, Rosmarin).
Zubereitung: Alles getrennt in Würfelchen schneiden, reichlich Öl in den Topf geben, Zwiebel und Knoblauch anrösten. Der Reihe nach je nach der Garzeit alles hineingeben und andünsten. Mit Wasser auffüllen, mit Salz und Pfeffer abschmecken. Eine gute Handvoll Graupen ins kochende Wasser geben. Langsam garen (köcheln). Abschmecken nach Geschmack.
 
Herzlichen Dank an Renzi, die mir das Originalrezept für die Leserinnen und Leser des Textateliers.com mitgeteilt hat.
Guten Appetit!
 
Im 2. Teil werde ich über 3 bemerkenswerte Wanderungen und im 3. Teil über eine Exkursion nach Ascona und Locarno berichten. Internetadressen und Literatur werden am Ende des 3. Teils angegeben.
 
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