Textatelier
BLOG vom: 27.10.2007

Heimliche Verführer: Düfte wecken nicht allein die Kauflust

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Die allgegenwärtigen Düfte lenken in der Tat unbemerkt unser Denken, Fühlen und Handeln. So erwecken bestimmte Gerüche Kindheitserinnerungen, machen Appetit oder rufen Ekelgefühle hervor. Sie spielen aber auch bei der Partnersuche eine wichtige Rolle. Düfte wecken anscheinend die Kauf- und Putzlust und führen zu einem besseren Lerneffekt. Duftstrategen haben dies erkannt. Sie empfehlen das Aufstellen von Duftsäulen in Kaufhäusern, Büros, Zahnarztpraxen und Schulen. Werden wir hier an der Nase herumgeführt?
 
Millionen Zellen in der Riechschleimhaut
Jeder von uns hat im Bereich der oberen Nasenmuschel und an beiden Seiten der Nasenscheidewand 15 bis 20 Millionen Riechzellen. Hier befinden sich 350 Rezeptoren, die etwa 10 000 verschiedene Gerüche unterscheiden. Zum Vergleich: Hunde und Ratten haben 1000 Rezeptoren und wesentlich mehr Riechzellen als der Mensch. Ein Schäferhund hat beispielsweise eine um 1000-fach höhere Wahrnehmungsschwelle für Gerüche wie der Mensch.
 
Die Signale des Duftes gelangen über die Riechhärchen und Riechzellen in den Riechkolben. Von dort aus werden die Duftmoleküle über den Riechnerv in verschiedene Bereiche des Gehirns (Riechrinde, Hippocampus, Amygdala, Stammhirn) weitergeleitet. Im Gehirn werden sie mit bekannten Düften verglichen und bewertet. Da auch eine Verbindung zum limbischen System besteht, können wir auch bestimmte Düfte mit Emotionen in Verbindung bringen. Es werden aber auch Assoziationen mit dem Gedächtnis hergestellt. Gerüche entscheiden über Stimmungen, Sympathie, Antipathie oder Leistungsfähigkeit. Wir entscheiden unbewusst zwischen Ekel oder Lust und Genuss. Gegen die Verführungen der Gerüche können wir uns kaum wehren.
 
Wenn wir gute Erfahrungen mit einem Geruch und einer Speise gemacht haben, dann assoziieren wir diese mit „Was gut riecht, schmeckt auch gut“. Wer jedoch einmal mit einem nicht gut riechenden Menschen zusammen kam und dieser sich nicht von seiner besten Seite zeigte, wird dann bei einem anderen Menschen, der einen ähnlichen Geruch ausdünstet, denken: „Den kann ich nicht riechen!“ Oder wir empfinden Ekel, wenn wir einmal Gammelfleisch gegessen haben. Sehr angenehme Erinnerungen verbinden wir mit dem Duft einer Rose oder dem Duft nach frischem Brot oder nach herrlich duftendem Weihnachtsgebäck.
 
Ein Duft erweckt Kindheitserinnerungen; er kann aber auch den Appetit steigern. So mancher wird sich an einen herrlich duftenden Kaffee oder an einen Duft eines sehr schmackhaften Bratens oder an die nach Zimt und Vanille duftenden Plätzchen aus der Kindheit erinnern. Steigen dann bei dem Betreffenden mit den schönen Erinnerungen diese Düfte wieder in die Nase, dann fliessen mit Sicherheit seine Verdauungssäfte in Strömen.
 
Die Gerüche sind übrigens komplizierte Gemische. So setzen sich der Kaffeeduft aus rund 200 und der Rosenduft aus über 500 Einzelstoffen zusammen. Unser Riechsystem muss jedoch nicht alle Stoffe „analysieren“. Es genügen nur wenige Leitsubstanzen, um den Kaffee (15 Einzelstoffe) oder der Duft einer Rose (Geraniol) zu erkennen.
 
Wenn der Partner gut duftet
Auch bei der Partnerwahl kann der Körpergeruch entscheidend sein. In der Zeitschrift „focus“ (2006-37) meinte ein 42-Jähriger, dass für ihn der Körpergeruch einer Frau wichtig sei. Wenn dieser nicht stimme, dann laufe bei ihm nichts.
 
Oft erlebte ich in der Vergangenheit, dass sich nicht so gut duftende Menschen mit einer Parfümwolke umgaben. Während meiner Arbeit in einem Pharmabetrieb betrat ich einmal einen Aufzug, in der eine parfümierte Person zugegen war. Mir wurde beinahe schlecht. Es war nämlich ein ekliger „Duft“ aus Parfüm und Schweiss. Die Duftwolke war dann noch lange im Aufzug zu riechen.
 
Inzwischen wurden Untersuchungen über das Duften angestellt. 121 Probanden wurden mit 6 verschiedenen Körpergerüchen konfrontiert. Die Gerüche wurden als „sehr unangenehm“ bis „sehr angenehm“ eingestuft. Das Ergebnis war überraschend. Es gibt für jeden Duft einen dazu positiv für diesen Geruch eingestellten Menschen. Voraussetzung ist jedoch, dass dieser nicht zu intensiv ist.
 
Bei der Partnerwahl scheint die Verschiedenheit des Körpergeruchs entscheidend zu sein. Dies brachte Claus Wedekind, Biologe an der Universität Lausanne (Schweiz), in Schnüffelexperimenten an getragenen T-Shirts heraus. Die Probanden beurteilten einen Geruch umso positiver, je mehr er von dem eigenen abwich. Es wurden auch Untersuchungen mit Geschiedenen gemacht. Partner, die viele Jahre glücklich zusammenlebten, und sich dann scheiden liessen, unterschieden sich im Körpergeruch weitaus stärker als Geschiedene, die sich schon nach kurzer Zeit trennten.
 
Vernebeln Pheromone unsere Sinne?
Als vor Jahren behauptet wurde, dass die männlichen Sexuallockstoffe, die Pheromone Androstenon und Androstenol, den Mann unwiderstehlich machen, wurden Duft- und Rasierwässer mit Pheromonen auf den Markt geworfen. Die Produkte wurden durch eine raffinierte Werbung an den Mann gebracht. Jeder dachte sich, nun würde er erotische Signale aussenden und bei den Frauen Erfolg haben. Strenge wissenschaftliche Untersuchungen ergaben inzwischen, dass die Wirkung von Sexuallockstoffen eher gering ist. Die Drüsenabsonderungen vernebeln keineswegs unsere Sinne. Die mit Pheromonen versetzten Duft-Sprays hatten nicht die Wirkung auf Frauen. Vielmehr hängt die Zuneigung besonders mit dem hormonellen Zustand bzw. Monatszyklus der Frau zusammen.
 
Wecken Düfte die Kauflust?
Meine Frau Paula und ich gingen kürzlich in ein Kaufhaus in Lörrach D. Dort müffelte es im Erdgeschoss ganz gewaltig. Paula wurde es fast schlecht. Sie sagte, sie werde dort nicht mehr zum Einkaufen gehen. Mir machten die Gerüche nicht so zu schaffen; ich durchbrach die Duftwolken mit schnellen Schritten und fuhr mit der Rolltreppe in den 2. Stock, um mich nach Waren zu erkundigen. Als ich das Geschäft verliess, war ich froh, wieder frische Luft atmen zu können.
 
Wenn diese ekligen Gerüche die Kundschaft vertreibt, könnte auch das Umgekehrte passieren, wenn Düfte für eine wohlige Atmosphäre sorgen, dachten sich wohl die Duftforscher und Werbestrategen. Schon nach den ersten Untersuchungen wurde tatsächlich folgender positiver Effekt ermittelt: Wer Duftsäulen aufstellt, erhöht die Kaufbereitschaft um 15 % und die Kundenverweildauer um 16 %.
 
Für jeden speziellen Bereich der Kaufhäuser gibt es inzwischen rund 300 Duftmarken. Hier einige Beispiele: Ein Duft von frischem Brot oder Vanille macht Appetit auf Brot und Brötchen, obwohl diese schon nach einer kurzen Lagerzeit gar nicht mehr duften. In Fischabteilungen dürfte ein Zitronenduft optimal sein, da dieses Aroma mit Frische und Sauberkeit assoziiert wird. Aber wehe, wenn trotz Duft die Ware schon überlagert ist!
 
In Reisebüros kann ein Geruch nach Meer oder Sonnencreme ein Verlangen nach Sonne und Strand auslösen.
 
Autohändler greifen ebenfalls zu einem Trick: Um den Duft von Ausdünstungen in neuen Autos zu übertünchen, wird mit einem nach feinem Leder riechenden Spray nachgeholfen. In Kaufhäusern kann ein Blumenduft zum Kaufen anregen.
 
Auch die kauflustigen US-Amerikaner werden beduftet, sogar im Spielkasino. Dr. Alan Hirsch, Neurologe und Psychiater, kreierte beispielsweise die Duftkomposition „Honest Car Salesman“. Er hat den Schnüffelstoff zusammen mit einem Autokonzern in Detroit entwickelt. Die Essenz wird in den Ausstellungsräumen versprüht und soll den Absatz von Strassenkreuzern ankurbeln. Auch im Kasino des Las Vegas Hilton wurden bestimmte Sektoren – hier befanden sich 18 Spielautomaten – mit unterschiedlichen Duftkompositionen besprüht. Eine Mischung erwies sich als sehr erfolgreich: Es wurde ein Mehrumsatz von 45 % erzielt. Hirsch beliefert jetzt in mehreren Kasinosälen seinen Wunderduft. Er macht jetzt sicherlich mehr Umsatz als er mit Spielen jemals gewinnen könnte.
 
Oder ein anderes Beispiel: 35 Versuchspersonen mussten 2 identische Sportschuhe in 2 verschiedenen Räumen begutachten. Der eine Raum war unbeduftet, der andere mit einem zarten Blütenduft versehen. 84 % der Versuchspersonen gefielen die Sportschuhe im bedufteten Raum.
 
Eine Beduftung kann auch in die Hose gehen. So wurde einem Buchhändler empfohlen, er solle doch seinen Laden in der Vorweihnachtszeit mit Weihnachtsgeruch parfümieren. Die Kunden wollten nicht lange in diesem Laden bleiben, weil sie von dem ganzen Weihnachtsrummel und Düften in anderen Geschäften die Nase voll hatten. Das wäre mir ebenfalls so ergangen.
 
Besser lernen mit Duft?
Der Duftforscher Dietrich Wabner, Professor für Chemie an der TU München, hat herausgefunden, dass der Duft von bestimmten ätherischen Ölen im Klassenzimmer die Konzentration und Leistungsfähigkeit der Schüler steigert. Wie der Forscher in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“ (25.9.2006) betonte, waren Eltern und Lehrer zunächst sehr skeptisch. Dann hielt er den Ungläubigen einen Teststreifen mit Grapefruitöl unter die Nasen. Bald darauf fingen die Personen an zu reden und zu lachen.
 
Zurzeit nehmen 5 Schulen bundesweit an einem Pilotprojekt teil. Neben den jeweiligen Schultafeln steht eine Duftsäule. Einmal pro Stunde wird für wenige Minuten ein ätherisches Öl in den Raum geblasen. Es ist eine Mischung aus Lavendel, Zitrone, Orange, Grapefruit und eine Spur Zedernholz. Die Auswertung erfolgt erst nach einem Jahr. Lehrer berichteten schon jetzt von einem ungeahnten Erfolg: Die Schüler sind weniger aggressiv und viel aufmerksamer.
 
Prof. Wabner hat auch ein Öl bei seinen Studenten getestet. Er nahm für seine Versuche Neroliöl (Orangenblütenöl), das ja bekanntlich antidepressiv und stimulierend wirkt. Vor einer nachgestellten Prüfung wurden die Studenten mit diesem Duft konfrontiert. Sie bewältigten den Test mit überraschend guten Ergebnissen. Wie Studien in den USA zeigten, machten die Schüler beim Einatmen von Zitronenduft um die Hälfte weniger Rechtschreibfehler.
 
Die britische Kraftfahrervereinigung RAC Foundation empfiehlt Pfefferminz- und Zimtaroma für das Autocockpit. Es hat sich nämlich herumgesprochen, dass diese Aromen die Aufmerksamkeit des Fahrers ebenso steigern wie Kaffee- oder Zitronenaroma.
 
Verführte Putzmuffel
Stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Sie haben keine Lust zum Putzen. Ist dies der Fall, dann hilft nur ein Hauch von Zitrusduft. Sie werden dann den Putzlappen mit Freude schwingen.
 
Holländische Wissenschaftler untersuchten kürzlich, ob bestimmte Gerüche das Denken und Tun eines Menschen beeinflussen. Rochen die Teilnehmer einen Zitronenduft, dann gaben 36 % an, sie müssten heute noch putzen. Ohne Zitronenduft waren es nur 11 %.
 
Der Putzmittelduft hatte jedoch noch einen anderen Effekt. Die Keks essenden Teilnehmer wischten ihre Krümel sorgfältiger vom Tisch als die „unbedufteten“.
Die Autoren folgerten daraus, dass das Verhalten der Teilnehmer durch Gerüche genauso beeinflusst wird wie durch optische Reize.
 
Auch in Zahnarztpraxen wird inzwischen mit Düften experimentiert. So kann beispielsweise ein Aroma aus Lavendel, Vanille, Orange und Rosenholz ängstliche Patienten beruhigen. In Büros kommen Pfefferminzdüfte zur Anwendung. Diese erhöhen nachweislich die Konzentration von Mitarbeitern.
 
In den Abflugbereichen A und B des Frankfurter Flughafens wird über die Klimaanlage Pfefferminz- und Rosmarinduft hineingeblasen. Angeblich soll dieses Duftgemisch die Angst vor kalten Betonlandschaften nehmen. Auch in Parkhäusern und U-Bahnen kommen Düfte zur Anwendung. So enthält das Reinigungsmittel, das in der Münchner U-Bahn verwendet wird, einen beruhigenden Duftstoff.
 
So schön der Erfolg für die Verkäufer auch ist, die Beduftung hat auch ihre Schattenseiten, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden. Verbraucherschützer warnen deshalb vor einer „Zwangsmedikation“ in Praxen, Geschäften und öffentlichen Orten.
 
Stundenlange Niesanfälle einer Hausfrau
Die Duftstoffe sind heute allgegenwärtig. So finden wir die Aromastoffe nicht nur in Lebensmitteln, sondern auch in Körperpflege- und Reinigungsmitteln und in Raumparfüms. Kein Wunder, dass inzwischen ungefähr eine Million Menschen in Deutschland auf diese Stoffe allergisch reagieren.
 
Die Suche nach dem auslösenden Stoff erweist sich als nicht leicht. In den Produkten sind nämlich etwa 3000 Substanzen in unterschiedlichen Mischungen vorhanden. Wie Gudrun Köster-Sartorius vom Europäischen Verbraucherzentrum (EVZ) in Köln betont, stellen die Duftstoffe ein ernst zu nehmendes Problem dar. Auch die Europäische Kommission hat dies erkannt. Seit März 2005 müssen besonders kritische Duftstoffe deklariert werden.
 
Wie sich eine Allergie auswirken kann, soll das folgende Beispiel zeigen: Eine mir bekannte 50-jährige Hausfrau beginnt einige Zeit nach Gebrauch von parfümierten Waschmitteln, Waschlotionen oder Seifen mit einer Nieserei, die mit Unterbrechungen oft Stunden anhält. Sie benutzt jetzt nur noch unparfümierte Produkte. Kommt sie jedoch in einen Haushalt oder in eine Gastwirtschaft, wo „parfümierte“ Wäschestücke herumliegen oder eine „duftende“ Tischdecke aufliegt, stellt sich der Niesanfall bald darauf ein.
 
Duftstoffe können nicht nur Niesanfälle, sondern bei Körperkontakt auch ein Ekzem verursachen. Duftstoffe und Nickelsulfat sind inzwischen die häufigsten Auslöser für ein Kontaktekzem.
 
Das EVZ bietet jetzt eine Broschüre an, die Produkte ohne Duftstoffe aus den Bereichen Körperpflege, Waschen und Putzen auflistet. Zurzeit sind 300 verschiedene Produkte ohne Duftstoffe und 250 Artikel, bei denen 10 kritische Duftstoffe entfernt wurden, im Handel (www.evz.de).
 
Das Umweltbundesamt empfiehlt aus Gründen der Vorsorge Duftstoffe aus öffentlichen Gebäuden nicht einzusetzen, um die Gesundheit empfindlicher Personen nicht zu beeinträchtigen. Auch die Beduftung von Wohnungen sollte man auf ein Minimum begrenzen. Man kann einen schlechten Raumduft auch durch gutes Lüften vertreiben.
 
Internet
http://www.govital.de/oele.htm (Infos über ätherische Öle)
 
Literatur
Samel, Gerti; Krähmer, Barbara: „Düfte der Natur“ (Heilessenzen und Aromaöle), Ludwig Verlag, München 1997.
Scholz, Heinz: „Die heimlichen Verführer“ (Duftstrategen lenken unser Tun), Kneipp-Journal, 2006-12.
Vroon, Piet: „Psychologie der Düfte“, Kreuz Verlag, Zürich 1994.
 
Hinweis auf weitere Arbeiten über Aroma- und Duftstoffe im Textatelier.com
 
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