Textatelier
BLOG vom: 16.12.2007

Wintermorgen in Einsiedeln: Besinnliche Dezember-Reise

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich
 
Weihnachten 2007 wird anders für uns. Wir sind wieder gefordert. Mena, unsere 5 1/2 Jahre alte Enkelin, will mit uns feiern. Sie wird alleine von Paris nach Zürich fliegen. Letzte Woche telefonierte sie mir und sagte: „Grosy! Ich habe es in der Schule erzählt, dass ich allein zu Euch komme. Aber sie glauben es mir nicht!“ (Sie besucht die 3. Stufe der „Ecole maternelle“.) Sie ist fest entschlossen, allein zu reisen, seitdem sie von einer Freundin erfahren hat, wie der Begleitservice der Fluggesellschaften funktioniert. Dieses Mädchen flog in den Herbstferien zur Grossmutter nach Berlin. Es konnte Mena ganz genau informieren.
 
Nun bin ich nach Einsiedeln gefahren, um dort Kerzen und Schokoladenschmuck für den Christbaum einzukaufen. Es soll diesmal ein besonders strahlender werden. Der offizielle Weihnachtsmarkt war bereits vorbei, doch fand ich in den hier ansässigen, traditionellen Geschäften genau das, was ich suchte. Bei „Lienert“ die Kerzen aus der eigenen Produktion, im Laden der Schafbock- und Lebkuchenbäckerei „Goldapfel“ verschiedenste Varianten von Schokolade, die sich für die Christbaum- und Tischdekoration eignen. Auch bei „Tulipan“ wurde ich fündig. Und dort trinke ich jeweils einen Kaffee und geniesse etwas aus der eigenen Bäckerei. Die Auswahl ist immer gross und die Wahl schwierig. Alles ist fein, von höchster Güte.
 
Auch zu Benziger gehe ich regelmässig. Diesmal schaute ich nach Kinderbüchern aus und fand solche, die einen Bezug zu Weihnachten herstellen. Benziger kenne ich seit Kindsbeinen. Meine Mutter war Präsidentin des Mütter- und Frauenvereins. 1945 fand in unserer Gemeinde, in der katholischen Kirche, eine Volksmission statt. Mutter organisierte den Verkauf von Andenken (Bücher, Andachtsbilder, Gebetsbildchen, Rosenkränze, Figuren von Heiligen, Kreuze usw.) Und diese wurden von Benziger, Einsiedeln, geliefert. Ich durfte, damals 6-jährig, helfen, die grosse Sendung auszupacken und miterleben, wie eine Ausstellung entsteht. Das hat mich geprägt. Wenn von Einsiedeln als einem „Kultur- und Wallfahrtsort“ gesprochen wird, entspricht das auch meiner Wahrnehmung, immer noch. Aber heute ist auch der Sport an diesem Ort ein wichtiger Tourismus-Faktor.
 
Der Mittelpunkt von Einsiedeln ist aber das Kloster mit seiner Gnadenkapelle innerhalb der barocken Kirche. Ein Anziehungspunkt für Millionen von Menschen. Die zeitlose Schönheit der schwarzen Madonna, die aus einer goldenen Wolke hervortritt, fasziniert nicht nur die Katholiken. Hier finden alle, die danach suchen, Einkehr und innere Ruhe. Es ist ein Ort, der uns für eine Weile aus der hektischen und materiell organisierten Alltagswelt heraustreten lässt. Hier können viele ihre Ängste zurücklassen.
 
Wer erstmals nach Einsiedeln kommt, sollte das „Salve Regina“, den Gruss der Mönche an die Gottesmutter, nicht verpassen. Dieses Loblied wird seit beinahe 500 Jahren täglich als Abschluss der Vesper gesungen. (Beginn der knapp halbstündigen Vesper: 16.30 Uhr.) Wer einmal dabei war, wird wiederkommen. Der Gesang ist eindrücklich schön.
 
Es erstaunt nicht, dass das Logo von „Einsiedeln Tourismus“ mit der Silhouette des Klosters für die gesamte Region wirbt.
 
Hier haben Primo und ich geheiratet. Nicht in der barocken Kirche selbst. Zu uns passte die schlichte Turmkapelle besser, die damals den Pfadfindern vorbehalten war.
 
Als Hochzeitsgeschenk durften wir am Tag zuvor die Röcke der Madonna in der Sakristei bewundern. Sie werden in einem alten, gepflegten Schrein aufbewahrt. Ein schmaler Bildband mit dem Titel „Das Kleid der Madonna“ (*) zeigt die offenen Schubladen, in denen die kostbaren Gewänder geschützt aufbewahrt werden. Jedes einzelne hat seine Geschichte. Es heisst da: „Um die Wette vergaben Frauen und Männer ihre kostbaren Stoffe und Röcke an ,Unsere liebe Frauw’. Pater Thaddäus Zingg listet in seiner Dokumentation viele Donatoren aus dem Kreis der Wohlgeborenen auf. Zwei Beispiele sollen das illustrieren: ,Es opferet Maximilian, erwählt König in Polen, Erzherzog in Oesterreich, Ornat mit ganz güldenen Blumen...’ oder ,Die Mutter Napoleons III. besuchte mehrmals Einsiedeln, schenkte ihr Brautkleid, das als Muttergotteskleid verwendet wurde’.
 
Am Tag meines Besuchs trug sie das Menzingerkleid.  Eine Arbeit von Menzinger Nonnen, die 1958 an der SAFFA (Ausstellung für Frauenarbeit) in Bern ausgestellt worden war. Die Stickerei auf diesem Kleid zeigt zwei Engel mit erhobener Krone. Es ist zusätzlich mit virtuosen Ornamenten bestickt.
 
Als ich nach meinem Besuch aus der Kirche heraustrat, war die Welt weiss geworden. In kurzer Zeit fielen so viele Flocken vom Himmel, dass ich eine veränderte, hellere Welt vorfand. Ich war sehr früh nach Einsiedeln gereist, weil ich hoffte, auf dem Weg dem Zürichsee entlang den Sonnenaufgang zu erleben. Den fand ich nicht, bemerkte nur bei der Ankunft, dass die Strassen- und Dekorationslichter gerade ausgeschaltet wurden. Dieser Augenblick markiert überall den eben eingetretenen Sonnenaufgang. Sonst war er für mich als solcher nicht markant wahrzunehmen, die Nebeldecke war zu dicht.
 
Die Anreise nach Einsiedeln ist am schönsten mit der Bahn. Ab Wädenswil überwindet sie innert einer halben Stunde 264 Höhenmeter. Während einem Drittel der Fahrt kann die weite Sicht über den See einerseits nach Zürich hin und andererseits über die Inseln und den Damm von Rapperswil hinweg Richtung Obersee bewundert werden. Die von der Jahreszeit und dem Wetter beeinflusste Sicht ist immer wieder anders. Immer wieder ein Erlebnis, auch wegen der Hügel und der dahinter liegenden Berge, die den See umgeben.
 
Vor Jahren fuhr ich an einem verhangenen Morgen auch nach Einsiedeln.  Es war dunkel, ich war schläfrig, erwachte aber wie nach einem Paukenschlag, als wir in Schindellegi-Feusisberg eintrafen. Der Zug hatte gerade die Nebelgrenze überfahren, und die Sonne lachte über mein Erschrecken. Nie mehr habe ich einen so tief berührenden Sonnenaufgang erlebt. Noch immer hoffe ich auf eine Wiederholung.
*
Hinweis
(*) Der erwähnte kleine Bildband wurde 1974 von Pater Thaddäus Zingg, Einsiedeln, herausgegeben.
Die zweite, 1983 erschienene Auflage, ist bei Buchhandlung Benziger AG, Klosterplatz, CH 8840 Einsiedeln, immer noch erhältlich. Sie ist nicht mit einer ISBN-Nummer versehen.
 
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