Textatelier
BLOG vom: 08.01.2008

Während der Bahnfahrt wird geplaudert und ausgeplaudert

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich
 
Im Eisenbahnabteil neben den Einrichtungen für den Velo-Transport waren Primo und ich die einzigen, die keine SMS erhielten oder abschickten, nicht am Computer arbeiteten und auch keine Musik oder Botschaften über Kopfhörer empfingen.
 
Uns vis-à-vis arbeitete ein Mann am Computer und trug diesen von Zeit zu Zeit in den Bereich des Gepäckwagens, wo er ihn vermutlich an eine elektrische Steckdose anschliessen und seine Botschaften loslassen konnte.
 
Später telefonierte er seiner Frau oder Freundin, meldete die Zugsankunft und überliess ihr grosszügig die Menuwahl für das Abendessen. Er meldete, dass er sich darauf freue. Dann klingelte sein Handy, und er musste Fragen von einem Mitarbeiter beantworten. Unmöglich, dass ich das Gespräch hätte ignorieren können. Er sprach in normalem Konversationston über die Möglichkeit von Kunstgriffen in der Buchhaltung oder vielleicht von einer Daten-Erhebung, die noch etwas zurechtgebogen werden musste. Es war Jahresende und ein anderer Mitarbeiter hatte diese Eingriffe verschlafen. So verstand ich die Geschichte, die mich grundsätzlich nichts angeht, die ich aber zwangsläufig mithören musste. Was würde wohl ein Vorgesetzter dazu sagen? Ich stellte mir zeitweise vor, dass hinter seinem Rücken ein Mann aufstehen und ihn zur Rede stellen könnte.
 
Was ich als Zumutung empfinde, scheint aber normal zu sein. Dieser Mann war nicht der einzige, der uns Bahnfahrende mit einer Art Hörspiel unterhielt. Dominant auch eine junge Frau, die mit einer Freundin telefonierte und ihr die Wettersituation in jenen Städten schilderte, in denen sie sich in den vergangenen Wochen aufgehalten habe. War sie vielleicht eine Flugbegleiterin? Es tönte trotzdem unglaubwürdig und vor allem laut.
 
Und ich schaute unentwegt in die verschneite Landschaft und wie sich die Nebelschwaden vor den schroffen Felsen der Churfirsten bewegten und uns sogar eine Durchsicht in hintere Welten öffneten, wo die untergehende Sonne einen Felszacken berührte und ihn kurz aufblitzen liess.
 
Primo und ich verständigten uns während der ganzen Fahrt höchstens mit bedeutungsvollen Blicken. Erst später habe ich realisiert, dass wir unsere Empfindungen zu den schönen Landschaftsbildern wohl hätten aussprechen können, denn die meisten Mitreisenden waren ja verkabelt und hätten uns gar nicht gehört.
 
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