Textatelier
BLOG vom: 09.02.2005

Erlebnisse im Reich der Skelette und Organe

Autor: Heinz Scholz

Als ich meiner Tochter Daniela vorschlug, das Anatomische Museum in Basel aufzusuchen, war sie gern bereit, die präparierten Skelette, Organe und andere Körperteile in Augenschein zu nehmen. Wir waren schon einmal vor etwa 15 Jahren in diesem Fachmuseum gewesen.

Damals waren die Exponate noch etwas unübersichtlich in hohen Regalen aufgereiht. An einige Präparate aus jener Zeit kann ich mich noch genau erinnern: In einer Ecke befand sich ein präparierter Rumpf eines Erwachsenen, bei dem die Organe spiegelbildlich angeordnet waren. Eine Besonderheit war ein Doppelpenis. Ich erinnere mich deshalb noch so gut daran, weil damals eine Mädchengruppe anwesend war. Als eine der jungen Damen die Missbildung entdeckte, meinte sie, zur Freundin gewandt: „Das ist aber praktisch, wenn der eine schlapp macht, kann der andere einspringen.“

Zurück in die heutige Zeit: Das Museum präsentiert sich seit dem Umbau von Ende 1995 in einem neuen Kleid. Die meisten Präparate wurden überarbeitet, neu montiert und in neue Konservierungslösungen eingelegt. Sie sind systematisch und übersichtlich angeordnet. Hier erfährt der Besucher viel über den Aufbau des Körpers, über Fehlbildungen und Krankheiten. 

Bevor wir den Hauptraum betraten, kamen uns 2 bleichgesichtige Mädchen entgegen. Sie litten nicht unter Eisenmangel, nein, sie waren von den Präparaten so schockiert, dass ihr Blutdruck in niedere Gefilde absank. Eine musste sich setzen und rang nach Luft. Wir liessen uns durch diesen Anschauungsunterricht jedoch nicht abhalten und suchten zielstrebig den Hauptraum auf. 

Das Museum zählt übrigens zu den ältesten Fachmuseen zur Anatomie des Menschen. Es sind einige historische Präparate und viele neuzeitliche Exponate zu sehen. In einer Ecke entdeckte ich das älteste anatomische Präparat der Welt: Das von Andreas Vesal (1514−1564) im Jahr 1543 präparierte Skelett eines hingerichteten Verbrechers. Vesal gilt übrigens als der Begründer der modernen Anatomie. Daneben ist ein weiteres altes Skelett, das der Basler Stadtarzt Felix Platter (1536−1614) hergestellt hat. Felix Platter führte viele öffentliche Anatomien durch. Im Laufe seines Lebens soll er mehr als 300 Leichen seziert haben. 

Der erwähnte Doppelpenis ist nicht mehr ausgestellt, dafür aber der Rumpf eines Erwachsenen, bei dem alle inneren Organe seitenverkehrt angeordnet sind. Die Häufigkeit eines „Situs inversus“ wird auf 1:5000 bis 1:20 000 geschätzt. Die Organe entwickeln sich normal und sind voll funktionsfähig. 

Als ich gerade die Bewegungsorgane studierte, hörte ich eine junge Frau zu einer anderen sagen: „Nun komm, schau dir nochmals die Raucherlunge an.“ Letztere war inzwischen schon geflüchtet und hielt sich in der Nähe meines Standortes auf. Ich sprach sie an und fragte, ob sie rauche. Sie bejahte dies und bedauerte ihr Laster. Dann bemerkte ich, dass die Exponate ja sehr sauber aussehen und keineswegs „gruselig“ wirken − im Gegensatz zu denjenigen der Ausstellung „Körperwelten“ des Dr. Gunther von Hagens (die Ausstellung sah ich 1998 in Mannheim und berichtete darüber in einer Fachzeitschrift). Da erzählte sie mir Folgendes: „Als ich die Plastinate einer Frau mit ihrem ungeborenen Kind sah, wurde es mir dermassen schlecht, dass ich die Ausstellung verlassen musste.“ 

Dann sah ich mir die Raucherlunge mit den Teerablagerungen näher an. Es handelte sich um die „geschwärzte“ Lunge eines älteren Erwachsenen. Die schwarzen Stellen wurden durch Teer- und andere Ablagerungen hervorgerufen. Das Trockenpräparat stammt übrigens aus dem Jahr 1923. 

Eine interessante Gegenüberstellung war in einem Schaukasten zu sehen, nämlich das Herz eines Elefanten, das Herz eines Erwachsenen und das Herz einer Maus. Während das Mäuseherz nur erbsengross ist und das Herz eines Menschen Faustgrösse erreicht, ist das Herz eines Elefanten „riesengross“. Das Elefantenherz wiegt zwischen 12 und 21 kg und schlägt etwa 30-mal in der Minute. Das Mäuseherz schlägt bis 600-mal in der Minute. Es ist schier unglaublich, was unser Lebensmotor leistet. Er schlägt 70-mal in der Minute, das sind 100 000 Herzschläge pro Tag und 2,5 Milliarden in einem Leben. Täglich transportiert unser Herz über 7000 Liter Blut durch den Kreislauf. 

Aber auch die anderen Exponate können sich sehen lassen. Es gibt in diesem Museum Wachsmodelle, Ganzkörperschnitte, Gehirnschnitte, Knochenstrukturen, Fussskelette, Ausgüsse der Herzkranzgefässe, Darstellungen der Herzkranzarterien, Präparate zur vorgeburtlichen Entwicklung des Menschen, mit Paraffin imprägnierte Füsse eines Kindes mit 6 Zehen und eine doppelt angelegte Wirbelsäule mit 2 Köpfen (menschlicher Fetus, etwa 23 Wochen alt). 

Im Erdgeschoss konnten wir noch die Sonderausstellung „Blut – ein ganz besonderer Saft“ besuchen. 

Tief beeindruckt, aber ohne mulmiges Gefühl im Bauch und nicht von einer vornehmen Blässe gezeichnet, verliessen wir das Museum in der Pestalozzistrasse in Basel.

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