Textatelier
BLOG vom: 24.05.2008

Schon spüre ich, wie am neuen Ort die Wurzeln wachsen

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
 
Eine Bekannte bemerkte, ich hätte mich offensichtlich schon gut umgestellt und eingelebt. Diese beiden Worte gefallen mir. Besonders das Wort „umgestellt“ bezeichnet meine Situation sehr präzis. Es beinhaltet sowohl den Umzug als auch die Gestaltung eines neuen Zuhauses, und dazu noch innere Umstellungen, die mein neues Umfeld bedingen.
 
Dazu gehören auch neue Geräusche und Klänge, die mir anfänglich ganz stark aufgefallen sind. Da war zum Beispiel das Morgenläuten der kleinen evangelischen Kirche am Suteracher ein Novum für mich. Punkt 7 Uhr läutet die kleine Glocke und manchmal Sekunden genau ertönen Hammerschläge, die den Arbeitstag auf ihre Weise einläuten. Es wird ein grosses Nachbarhaus renoviert. Noch ist es ausgehöhlt. Alle Geräusche, die Stimmen und der Lärm von Hammer, Bohrer und Säge klingen wie aus einem Instrument heraus und sind auf ihre Art Melodie. Ich weiss es schon jetzt: Dieses Zusammenklingen von Befehlen und Arbeitslärm wird mir fehlen, wenn das Haus umgebaut ist. Es sind keine Maschinengeräusche, die ich wohlwollend wahrnehme. Hier sind starke Männer am Werk. Ihren Stimmen und Namen nach Menschen aus dem Süden.
 
Manchmal zwinge ich mich jetzt richtig, den 7-Uhr-Augenblick bewusst zu erleben, um ihn nicht zu verpassen. Ich bin schon daran gewöhnt.
 
Eine andere Umstellung betrifft den Garten, der nun auf Souvenirs reduziert worden ist.
 
Nachdem uns die neue Wohnung zugesprochen worden war, bemühten wir uns als erstes um Blumenkisten für den langen Balkon. Dann gruben wir aus dem bisherigen Garten Pflanzen aus, ebenso etwas Erde und führten diese an unseren neuen Wohnort. Ich erinnerte mich dabei an Königstöchter aus früherer Zeit. Wenn sie in ein fremdes Land verheiratet wurden, sollen sie unter dem Brautkleid ein Säcklein Heimaterde mitgebracht haben.
 
In diesem Sinne pflanzten wir allerlei, unter anderem 2 Nachtkerzen, Farn, Akelei, roter Mohn, Maierisli (Maiglöckchen), Löwenmaul, auch Schöllkraut. Dominant präsentiert sich heute die Hexenblume, so der Name, den wir ihr vor langer Zeit verpasst haben. Sie wanderte aus dem uns gegenüber liegenden Bernoulli-Garten ein und breitete sich selbstbewusst aus. Wir kennen ihren Namen nicht, haben es verpasst, danach zu fragen, als Herr Senn noch lebte. Oft habe ich bemerkt, dass sich Blumen an ihrem selbst gefundenen Platz besser entwickeln als an Orten, die wir Menschen ihnen zuweisen. Diese erwähnte Hexenblume verbreitete sich rasch, aber nicht rücksichtslos. In freundschaftlicher Art durfte das Schöllkraut die Abgrenzung zur Wiese hin gestalten. Es entstand ein liebliches, natürliches Feld, zu dem auch drei Büsche gehören. Blumenfeen habe ich noch nie gesehen, aber hier konnte ich sie spüren. Ich habe meine Nachbewohnerin darauf aufmerksam gemacht. Ich glaube, sie hat mich verstanden. Sie wird diesem Platz Sorge tragen. Der Ort strahlt etwas Liebenswürdiges aus und strotzt vor Lebensenergie.
 
Es schlummerten auch andere Samen in der mitgebrachten Erde, wie es sich jetzt zeigt. Es blühen z. B. schon Monatserdbeeren, ein paar Grashalme haben sich entwickelt und heute habe ich Weideröschen entdeckt.
 
Alle diese Gewächse haben eine lebhafte Silhouette geschaffen, die wir beim Eintritt in die Stube sofort wahrnehmen. Sie nehmen sich ihren Platz und Raum und zeigen uns, dass sich das Lebendige nie um die gerade Linie kümmert. Im Augenblick verzaubert uns die Akelei-Gruppe mit einem 85 cm hohen Anführer. Im Grunde sind unsere Blumenkisten eine ganz bescheidene Anlage und doch auch eine sich ständig verändernde Pracht.
 
Innerhalb des Hauses habe ich mich in meinen Vorstellungen eine Zeit lang ganz anders verhalten und mich von Publikationen verführen lassen. In meinen Gedanken gestaltete ich Bad und Toilette farblich wie nach einem gerade aktuellen Einrichtungskatalog. Ich meinte, jetzt wäre es günstig, diesen Räumen eine einheitliche Farbe zu verpassen. Wie langweilig! denke ich heute. Ich dachte schon daran, alle vorhandenen Textilien zu ignorieren und neu eine bestimmte Farbe einzuführen. Da hätte ich allerlei fortwerfen müssen. Und das wollte ich dann doch nicht. Glücklicherweise, sage ich jetzt. Jedes Stück hat doch seine Geschichte, ist im Laufe des Lebens zu uns gekommen und immer noch nützlich. Und es hat Farbe in unser Leben gebracht. Farbe, die auch immer wieder wechselt. Oft, wenn ich ein Hand- oder Badetuch benütze, kommt mir die Geschichte dazu in den Sinn.
 
Daran freue ich mich noch. Aber mit Mass. Ich kenne jetzt die Leichtigkeit nach dem Umzug. Diese möchte ich mir bewahren und nichts mehr anhäufen.
 
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