Textatelier
BLOG vom: 24.03.2009

Geheimnisse des Olivenöls ergründen: Kraftakt für die Sinne

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Ob man einen Anlagefonds mit viel darin verpacktem, mit AAA geschmücktem USA-Schrott oder aber ein Olivenöl, das mit dem Vermerk „extra vergine" geschmückt ist, kauft, immer gilt dasselbe: Man habe Vertrauen. Solches Vertrauen ölt die Wirtschaft. Kaufen ohne genauer hinzuschauen ist deshalb Bürgerpflicht.
 
Noch aber gibt es ein paar wirtschaftliche Störenfriede, die kritisch in der vertrauensruinösen Landschaft herumstehen und sich bemühen, hinter die Kulissen zu blicken. Ich bin einer von ihnen und habe deshalb der „Einladung in die Geschmackswerkstatt“ Folge geleistet, die von Edith und Wolfgang Byland, CH-5033 Buchs AG, im Rahmen der Vereinigung Slow Food Aargau ins Leben gerufen worden ist. Der erste Anlass vom 18.03.2009 galt den geheimnisvollen Olivenölen, über die Heinz und Renate Niggler aus CH-5015 Erlinsbach SO informierten; man kennt sie von einem Stand mit Olivenspezialitäten auf dem Aarauer Markt.
 
Wie muss ein Olivenöl sein?
Dass Olivenöl nicht gleich Olivenöl ist, erkennt man an der Flaschenform, an den Etiketten, an den Preisen und auch beim Degustieren. Aber was ist denn eigentlich ein erstklassiges Olivenöl? Welche Qualitätskriterien muss es erfüllen? Riecht es fruchtig, grüngrasig, weinartig, säuerlich, nach Apfel? Sicher darf der Geruch nicht schimmlig, moderig oder ranzig sein. Und wie ist es mit dem Geschmack? Soll das Öl mild oder kräftig, ja geradezu bitter sein, oder aber ist süsses, saures oder bitteres Öl vorzuziehen? Es muss alle in der Ölfrucht oder im Samen enthaltenen öllöslichen Substanzen in weitgehend unveränderter Form enthalten, und dazu gehören auch die Geruchs- und Geschmacksstoffe.
 
Das „richtige“ Olivenöl gibt es nicht, denn es ist eine Frage des persönlichen Geschmacks, welches Produkt man als Bestes bezeichnen möchte, und auch eine solche der jeweiligen Anwendung: Kräftige, scharfe, ja würzige Öle können eine Speise überlagern, leichte aber können innerhalb von kräftigen Gerichten untergehen – Geschmacksträger sind sie allemal. Die Öle bauen ihre Schärfe während einer gewissen Lagerdauer ab, und es bleibe dahingestellt, ob dies ein Vorteil sei.
 
Gute, möglichst naturbelassene Öle sind also nicht einfach eine anonyme Zutat, sondern sie setzen eigene geruchliche und geschmackliche Akzente. So war denn der mediterran eingefärbte und dekorierte Degustationsraum im Restaurant „La Casa“ in Suhr AG am Ende mit einem zarten Olivenölduft erfüllt. Man degustierte aus kleinen Weingläsern mit Stiel, deren gewölbten Boden man mit der Hand voll umfasste, um das Öl etwas zu erwärmen und ihm die letzten Duftgeheimnisse zu entlocken. Dann nimmt man etwas vom flüssigen Gold auf die Zunge, ähnlich wie beim Weindegustieren und erlebt dann die Geschmackskomponenten, wobei mir bei jungen Ölen eine starke pfeffrige Komponente im Abgang besonders auffiel. Man spürte auch deutliche Unterschiede in der Viskosität von pastös über geschmeidig bis zu dünnflüssig.
 
Zwischen 2 Proben ass man etwas Brot und trank einen Schluck Wasser, um für ein neues Geschmackserlebnis offen zu sein. Selbstverständlich kann man auch ein Stückchen neutrales Brot ins Olivenöl eintauchen und so degustieren.
 
Die Heimat der Ölbäume
Die Frage nach der Herkunft der verschiedenen Öleigenschaften verlangt nach einer differenzierenden Antwort: In Italien gibt es rund 50 und weltweit etwa 150 Olivensorten, in der Regel Zuchtoliven, die mit ihrer wilden Schwester Oleaster zur Olea europaea gehören und sich im mediterranen Klima im hügeligen Gebiet 300 bis 400 Meter über dem Meeresspiegel besonders wohl fühlen; in Palästina soll es Bäume bis hinauf in wesentlich höhere Lagen geben. Besonders gut eignen sich Kalk-, nicht aber Lehmböden. Als Heimatländer des Ölbaums gelten Syrien und Palästina, wo er seit über 6000 Jahren kultiviert wird. Neben Spanien und Italien gehört auch Griechenland zu den bedeutenden Produzentenländern; dort ist der Pro-Kopf-Verbrauch am grössten.
 
Die meisten Anbaugebiete pflegen ihre eigenen Sorten, wenden unterschiedliche Methoden zur Pflege der Ölbäume an. Diese Langsamwachser können bis 1000 Jahre alt werden. Sie sind mit der Zeit knorrig-verwachsen, mit Höhlen in den Stämmen, die an ein Geflecht aus Muskelsträngen erinnern, und sind kaum umzubringen, es sei denn, ein Dauerfrost setze ihnen allzu sehr zu. Die ‒20 °C, die im Winter 1985 in der Toscana gemessen wurden, waren des Kalten zu viel: 90 % der Olivenkulturen wurden beschädigt oder vernichtet; viele Bäume mussten fast ebenerdig abgeschnitten werden; doch sie trieben wieder aus; aber es brauchte Jahre, bis sie wieder Früchte trugen.
 
Wichtig ist der Erntezeitpunkt. Die Früchte sollten nicht überreif (also noch grün bis violett) sein, ansonsten sie kurz nach dem Pflücken oxidieren, was sich nachteilig auf die Ölqualität auswirkt. Der Farbwechsel von grün zu violett und schwarz vollzieht sich zwischen Oktober und Februar. Vollkommen ausgereifte, schwarze Oliven dienen als Speiseoliven; sind manchmal noch künstlich schwarz eingefärbt. Auf jeden Fall sollten die Oliven möglichst schnell nach der von Hand oder maschinell vorgenommenen Ernte in der Mühle (italienisch: frantoio) weiterverarbeitet werden, möglichst noch am Erntetag.
 
Ertragsmanipulationen
Ähnlich wie bei den Trauben kann mit den Oliven unterwegs zum Wein bzw. Öl einiges geschehen. Auch die Olivenbäume kennen ihre Schadinsekten, so etwa die Olivenfliege, und es ist natürlich ein Unterschied, ob man dieses Insekt mit Pheromonfallen fängt oder aber mit Insektiziden abtötet. Besonders verheerend kann es sein, wenn fettlösliche Spritzmittel eingesetzt werden, die ins Olivenöl übergehen; die gleiche Feststellung trifft auch auf die Fungizide (Pilzbekämpfungsmittel) zu.
 
Die Fliege sticht die Früchte an und legt ihre Eier ins Fruchtfleisch, worin sich die heranwachsende Made, diese ausgesprochene Olivenliebhaberin, schlemmend gütlich tun kann, bis die Frucht zum Ärger der Olivenbauern abfällt. Die Olivenfliege kommt eher in tieferen als in höheren Lagen vor, insbesondere auf Meereshöhe und wenige hundert Meter oberhalb davon. Also müsste man wissen, aus welchen Lagen die Oliven stammen, und vor allem ist auf einen kontrolliert-biologischen Anbau zu achten.
 
Zur Steigerung des Ölertrags wurden früher viele Olivenhaine gewässert, was heute laut Niggler kaum noch der Fall sein soll. Solch eine wunderbare Ölvermehrung ist immer wieder eine Verlockung. So steigt die Ölausbeute mit zunehmender Temperatur nach dem Mahlen (nach alter Manier mit Granitmahlsteinen, neuerdings mit Edelstahlmühlen), bei dem die Fruchtzellen zerbrechen und das Öl freigeben, beim nachfolgenden Pressen an. Tiefe Temperaturen aber schonen das Öl; Kaltpressungen bürgen in diesem Bereich für Qualität.
 
Der Ölkuchen muss gelegentlich noch eine Heisspressung über sich ergehen lassen. Er wird mit heissem Wasser vermischt. Einem durch Heisspressung gewonnenen Öl bin ich im Handel allerdings noch nie begegnet. Heute wird diese Tortur in der Regel unterlassen, zumal moderne Hydraulikgeräte ohnehin 90 Prozent des Öls aus den Früchten herauspressen. So ist das angeblich native Olivenöl „extra vergine“ zum Standard geworden ‒ man findet in den Verkaufsregalen kaum noch etwas anderes. Mit der Jungfräulichkeit scheinen es die Olivenländer nicht mehr so genau zu nehmen – ein Sittenzerfall auch hier.
 
Beim Pressen tritt ein rötlich-braunes Gemisch aus Öl und natürlichem Olivenpflanzenwasser aus, das in einer Zentrifuge getrennt wird, oder aber früher schöpfte man das Öl von der Oberfläche ab (dieses Öl heisst dann affiorato).
 
Alles in allem spielt sich beim Olivenöl der gleiche Industrialisierungsprozess wie bei den meisten Lebensmitteln ab. Und so kommt es denn auch hier darauf an, Öle aus zuverlässigen Familien- und Kleinbetrieben aufzutreiben. Genossenschaften gibt es vor allem in der Toscana, wo der Olivenanbau oft ein Nebenerwerb (neben dem Weinbau) und die Verarbeitung deshalb rationalisiert ist. Dann gibt es die Grossplantagen für Billigöle, wo alles mechanisiert vonstatten geht. Das Öl ist lichtempfindlich und sollte in dunklen Flaschen gelagert werden, allerdings nicht länger als anderthalb Jahre.
 
Bessere Deklaration
Viele Öle sind Mischungen, also verschnitten, und der Internationale Olivenrat hat noch alle Hände voll zu tun, um mehr Transparenz in die Olivenöle hinein zu bringen. Um ein Beispiel zu nennen: Viele italienische Olivenöle werden aus anderen Ländern wie Spanien als grösstem Olivenproduzenten zugekauft (womit nichts gegen die Qualität gesagt sein soll) und einfach in Italien vermischt und/oder abgefüllt. Der Konsument erfährt nichts Genaueres.
 
Zum Glück lichtet sich der Nebel soeben etwas: Für natives und natives Olivenöl extra gilt ab dem 01.07.2009 in der EU eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung. So tragen Öle, die nur aus einem einzigen Land stammen, den Namen des Ursprungslands. Mischungen werden entweder mit den Vermerken „Verschnitt von Olivenölen aus der Gemeinschaft“, „Verschnitt von Olivenölen aus Drittländern“ oder „Verschnitt von Olivenölen aus der Gemeinschaft und aus Drittländern“ gekennzeichnet, was noch immer eher rudimentär ist und nicht eben von einer ausgesprochenen Mitteilungsfreude zeugt. Bestimmte Begriffe wie fruchtig, grün, reif, mild und ausgewogen – die der Internationale Olivenrat vor Kurzem definiert hat – dürfen bei der Etikettierung von nativem und nativem Olivenöl extra, das den Definitionen entspricht, verwendet werden.
 
Die Degustation
Wir degustierten blind (ohne die Marke zu kennen) 4 unterschiedliche Olivenöle (übrigens: am besten probiert man mit geschlossenen Augen, um nicht abgelenkt zu werden):
 
-- Das Olio E. V. „Taggiasca“ aus dem Familienbetrieb Crespi & Figli in Ceriana Ligurien I) offenbarte eine lichtgelbe Farbe und einen milden Geschmack bei würzig-pfefferigem Abgang, der selbst den Degustationsleiter zum Husten verleitete. Im Übrigen ist das ein liebliches Öl, gewonnen aus Früchten, die im terrassierten Ölberg von Hand abgelesen wurden. Die Taggisaca ist eine späte Olivensorte (Erntezeit: Januar bis März), und das sämige Öl, das uns vorgesetzt wurde, war offensichtlich ganz frisch; die Schärfe wird sich also noch etwas abbauen.
 
-- Ein preisgünstiges spanisches Naturaplan-Olivenöl extra vergine von Coop mit ausgeprägtem, fast etwas exotisch anmutendem Fruchtaroma, dickflüssig (pastös) folgte als Nummer 2; es hatte leinölartige Merkmale und eine angenehme Bitterkeit.
 
-- Ein Olivenöl von Frantoia M. Barbera & Figli Spa auf Sizilien, ein Familienbetrieb, der sich der guten Sache seit 4 Generationen annimmt, war das nächste Opfer, das seziert werden musste. Im erwähnten Betrieb werden die Oliven mit Hilfe des Olivenkamms von Hand geerntet und gleichentags in die nächste Ölmühle gekarrt. Unverständlich, dass dieses hervorragende Öl mit seiner Spur Säure und dem intensiv bitteren Abgang, ein Beweis von Frische, in farblose Flaschen abgefüllt wird. Es versammelt sonst wirklich alle Eigenschaften eines hochwertigen Öls.
 
-- Und da war noch das würzige Öl Lorenzo Nr. 5, wiederum von der Frantoia M. Barbera, das Massstäbe setzt, aber eher als Gewürz denn als Allerweltskochzutat eingesetzt werden sollte. Das goldene, blumige, etwas grüngrasig duftende Öl besteht zu 100 % aus Oliven der Sorte Nocellara del Belice aus Purezza, die vor dem Mahlprozess entsteint wurden. Das Resultat ist ein Geschmacksverstärker auf höherer Ebene.
 
Symbolträchtige Bäume des Lebens
Der wurzelhaft verknotete Olivenbaum mit seinem grau-grünen Laub, der ein gesundheitsförderndes Öl hervorbringt, hat eine reiche Geschichte, die nicht frei von Exzessen ist. Dieser Baum, ein Symbol des Lebens, wird vielleicht gerade deshalb gelegentlich zum strategischen Ziel, um den Gegner im Mark zu treffen. Die Zerstörung von Ölbäumen durch Israeli in Palästina im Rahmen kriegerischer Handlungen (angeblich um den Palästinensern die Deckung zu nehmen ... die Vietnam-Entlaubung lässt grüssen) ist eine unverzeihliche Zerstörung von Leben im mehrfachen Sinne. Schon am 05.02.1986 gab es eine Pressemeldung aus Beer Sheba, wonach israelische Arbeiter 170 illegal gepflanzte Ölbäume zu roden hatten, die von Beduinen gepflanzt worden waren. Ein Frevel, der selbst gegen die Bibel verstösst. Bei den unheiligen Beduinen ist die Ethik offenbar noch nicht degeneriert.
 
Umgekehrt ist es sinnvoll, jene Ölproduzenten zu fördern und zu unterstützen, die sich ehrlich um die Erhaltung und Reinhaltung eines uralten Kulturguts bemühen und den Bäumen und damit auch den Menschen Gutes tun. Es muss nicht immer das Tropföl vom Feinsten sein, das von selbst vor der Pressung aus dem Olivenkuchen rinnt. Wo Anstand und Ethik die Ölproduktion begleiten, gibt es keinen Grund, auf eine detaillierte Deklaration zu verzichten. Erst wenn man über den Inhalt der Ölflaschen genau Bescheid weiss, kann man sich an dieses italienische Sprichwort halten: „Aceto come un avoro (Essig wie ein Geizhals), sale come un saggio (Salz wie ein Weiser), olio come un pazzo (Öl wie ein Irrer).“
 
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