Textatelier
BLOG vom: 26.04.2009

Analog-Käse ist ein Käse-Schwindel: Verbrauchertäuschung

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Es gibt immer wieder in diesem Bereich irreführende Werbung bzw. Kennzeichnung. Da gibt´s Regeln, da gibt´s Gesetze, die müssen eingehalten werden (…) Wenn sie nicht eingehalten werden, dann muss der Gesetzgeber dagegen vorgehen.“
(Ilse Aigner, Landwirtschaftsministerin im Gespräch mit „Frontal 21“)
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„Das ist grausam“ oder „Pfui Teufel, dieses Zeugs esse ich nicht“, waren die markantesten Äusserungen in meinem Bekanntenkreis, als ich sie mit dem „Analog-Käse“ (Kunst-Käse) konfrontierte. Während der Beurteilungen verzogen die Leute ihre Gesichtszüge. Keiner möchte dieses Zeugs haben und gar essen, das jetzt laut ZDF-Sendung „Frontal 21“ (Sendung vom 07.04.2009) in Pizzerien, Bäckereien, in der Lebensmittelindustrie und in der Gastronomie immer mehr zur Anwendung kommt.
 
Es ist erstaunlich, welche Erfindungen die Nahrungsmittelindustrie immer wieder macht und auch vor Kunstprodukten nicht zurückschreckt. Meist sind es Produkte, die keiner mag, sobald diese publik werden. Deshalb hält sich die Industrie mit Informationen vornehm zurück. Die Fabrikanten sind offensichtlich der Meinung, der Verbraucher werde das schon schlucken. Aber es gibt inzwischen dankenswerter Weise Organisationen, die auf Gefahren und Verfälschungen mit Nachdruck hinweisen.
 
Was ist eigentlich „Analog-Käse“? Es handelt sich um ein Gemisch aus Eiweisspulver, Wasser, Pflanzenöl (z. B. Palmöl) und je nach Bedarf Geschmacksverstärker à la Parmesan, Feta etc. Analog-Käse ist die umgangssprachliche Bezeichnung für ein industrielles Kunstprodukt. Julia Klöckner (CDU) spricht von einer „fiesen Verbrauchertäuschung“. Denn rechtlich gesehen darf die Kennzeichnung „mit Käse“ nur auf der Verpackung draufstehen, wenn auch Käse drin ist.
 
Oft ziehen sich Hersteller elegant aus der Affäre. Sie kennzeichnen den Käseersatz mit „Pizzabelag“, „Pizza-Mix“, „Sandwich-Scheiben“ oder „Lebensmittelzubereitung aus Magermilch und Pflanzenfett“. Oder bei einer Vierkäsesorte können durchaus 3 Käsesorten und ein Kunstprodukt in der Pizza sein. Sobald nur wenig Käse neben einer grösseren Menge Käse-Imitat vorhanden ist, darf Käse auf der Verpackung stehen. Das finde ich irreführend. Es sollte eine eindeutige Deklaration (z. B. „Käse-Imitat“) gross auf den Packungen stehen. Aber die Hersteller werden sich hüten, das zu tun. Denn dann kauft keiner diese Kunst-Produkte.
 
Wie die CDU-Abgeordnete weiter betonte, wissen die meisten Verbraucher nicht, dass es einen solchen Käseersatz gibt. Auch mir war der Begriff nicht geläufig. Erst als ich in diversen Publikationen im Internet drauf hingewiesen wurde, konnte ich meine Verwunderung nicht verbergen. Ich finde, es sollte unbedingt eine Aufklärungskampagne gestartet werden, damit der Verbraucher „nicht allen Käse kauft und isst“.
 
100 000 Tonnen Analog-Käse
Auch das konnte ich kaum glauben: Laut „Frontal 21“ (zitiert in www.welt.de) werden jedes Jahr in Deutschland 100 000 Tonnen Analog-Käse hergestellt. Und diese Mengen müssen dann ja auch verkauft und in Nahrungsmittel eingearbeitet werden. So kann der Pseudo-Käse nicht nur in Pizzas (Pizzen), sondern auch in Cheeseburgern, in der Lasagne oder im griechischen Salat, aber auch in bestimmten Brotaufstrichen stecken. Das Hessische Landeslabor in Kassel überprüfte laut „Frontal 21“ Käsebrötchen von 92 Bäckereien. In 35 Brötchen wiesen die Laboranten Analog-Käse nach. Auch in billigen Schnellimbissen war der Feta-Käse im griechischen Salat durch das Kunstprodukt ersetzt.
 
Dr. Jörg Rau vom Chemischen und Veterinär-Untersuchungsamt in Stuttgart gab bekannt, dass in Gaststätten von Baden-Württemberg in 20 % der Fälle Pflanzenfett-Beimischungen ermittelt wurden. Der grösste Teil der Produktion wird angeblich ins Ausland verkauft. Die Araber und Russen sollen begeistert sein, wenn sie die Pampe essen.
 
Die Vorteile von Analog-Käse sind die geringeren Kosten (100 g Käseimitat kosten etwa 15 Cent), kein monatelanges Reifen, das problemlose Zusammenrühren der festen Bestandteile, insbesondere dann, wenn es an Kühlräumen fehlt und die Möglichkeit zum Erhitzen auf 400 °C (normaler Käse brennt schon bei 200 °C an). Das Käse-Imitat ist damit stabiler als Teflon. Ich glaube jedoch nicht, dass der Analog-Käse diese hohen Temperaturen aushält. Vielleicht nur eine kurze Zeit. Tatsache ist jedoch dieses: Bei diesen Temperaturen zersetzten sich einige Bestandteile des Analog-Käses und auf der Pizza gehen wohl die meisten Vitamine und andere Stoffe kaputt.
 
Es wurde oft behauptet, das Imitat schmecke wie Käse. Dazu möchte ich einen Kommentar, der in http://wirres.net publiziert wurde. Ein Käseliebhaber schrieb: „Schmeckt wie Käse, das ist Blödsinn. Milchkäse schmeckt hundertmal besser! Ich habe schon vor 3 Jahren meinem Sohn gesagt, die Pizzas von heute schmecken nicht mehr, der Teig und der Käse sind irgendwie nachgemacht.“
 
Was Oetker und Wagner in ihren Pizzas verwenden
Die meisten Hersteller (Oetker, Wagner, Aldi, Kamps) verwenden in ihren Produkten (Brötchen, Pizzas) nur echten Käse. Ich wollte einmal von namhaften Pizzaherstellern wissen, ob das auch stimmt.
 
Ingeborg Macke vom Verbraucher-Service Dr. August Oetker Nahrungsmittel KG, Bielefeld, schrieb mir am 22.04.2009 in einer E-Mail dies:
 
„Bei den Dr. Oetker Tiefkühlprodukten werden natürliche Käsesorten eingesetzt. Dr. Oetker stellt Qualitätserzeugnisse entsprechend den Wünschen unserer Verbraucher her. Insofern folgen wir nicht kurzfristigen Trends oder Preisschwankungen. Wir haben deshalb auch zu keinem Zeitpunkt Pflanzenfett anstelle von Milchfettkomponenten im Käse eingesetzt und beabsichtigen auch nicht, dies zu tun. Ein solcher ,Käse’ dürfte im Übrigen nicht mehr als Käse bezeichnet werden.“
 
Anke Barge, Leiterin Werbung und Öffentlichkeitsarbeit der Wagner Tiefkühlprodukte GmbH, Nonnweiler, schrieb mir am 22.04.2009 das Folgende:
 
„Wir können vollständig, d. h. ohne jede Ausnahme, garantieren, dass wir ausschliesslich natürlichen ,echten’ Käse aus 100 % Milch in unseren Produkten einsetzen. Dieser Käse entspricht einer sehr guten Handelsqualität von namhaften Herstellern und enthält keine pflanzlichen Ersatzstoffe oder ähnliche Wert mindernden Zutaten.
 
Ebenso verwenden wir in unseren Produkten keinen Schmelzkäse oder ,Analog-Käse’, da diese Rohstoffe in Bezug auf Eigenschaften der Sensorik (Optik, Geschmack) und Konsistenz (Schmelz- und Reibeverhalten) von minderer Qualität sind. Dies ist mit unseren Lieferanten streng vereinbart und spezifiziert und wird regelmässig kontrolliert.“
 
Also können wir beruhigt sein. Ich überprüfte dann in diversen Geschäften die Tiefkühlpizzas auf ihre Inhaltsstoffe. In keinem Produkt war „Analog-Käse“ vorhanden.
 
Es empfiehlt sich aber auf jeden Fall, dass man die Zutatenliste genau unter die Lupe nimmt. Denn nur so kann der Verbraucher sicher sein, dass er sich kein Kunstprodukt in seinen Mund schiebt.
 
Foodwatch (www.foodwatch.de) fordert zu Recht, dass Käse-Imitate im Handel und auch auf der Speisekarte gekennzeichnet werden sollen. Ausserdem fordert Foodwatch die unverzügliche Weitergabe von falschen Deklarationen an den Verbraucher und die Nennung von Betrügern. Bisher gaben Behörden ihr Wissen nicht oder nur zögerlich an den Verbraucher weiter. Das war in ganz anderen Dingen in der Vergangenheit auch so. Ich finde, dass Betrüger keinen staatlichen Schutz geniessen dürfen.
 
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