Textatelier
BLOG vom: 26.05.2009

Emil-Baschnonga-Besuch: Ochsenmaulsalat zu Abendgeläut

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Er werde am 23. und 24. Mai 2009 zu einem Besuch in Basel sein, schrieb mir unser Londoner Blogger Emil Baschnonga. Und weiter: „Das bringt mich auf den Gedanken, dass ich Dich am Samstag im Verlauf des späteren Nachmittags treffen könnte. Ich schlage, wenn Dir das angenehm und zeitlich möglich ist, ein Treffen in Aarau vor: keine Mahlzeit oder vielleicht ein Wurst- oder Ochsenmaulsalat – so lässt sich mit etwas Süffigem etwas plaudern. Ich müsste so um 8 Uhr abends wieder nach Basel zurückfahren.“
 
Ein Kurzbesuch zwar, aber doch sehr erfreulich, habe ich doch Emil Baschnonga und seine Frau Lily erst einmal gesehen, vor ziemlich genau 4 Jahren. Dennoch habe ich ihn inzwischen aus seinen schriftstellerischen Arbeiten, die unregelmässig, aber zum Glück häufig als Blogs erscheinen, sehr exakt kennengelernt. Denn wer schreibt, gewährt sehr eingehend Einblick in sein Denken und Fühlen, in die Persönlichkeitsstruktur, ansonsten die Texte ja von einer scheinobjektiven Langweiligkeit wie eine für den internationalen Medienmarkt taugliche Agenturmeldung wären. Und bei Emil Baschnonga kommt dabei eine von umfassenden Kenntnissen gestützte Kulturbeflissenheit, eine ausgesprochene Begabung zum geistreichen Fabulieren und eine einfühlsame Menschlichkeit zum Ausdruck, die aber auch in Zornausbrüche umschlagen kann, wenn mächtige Personen ihre Macht missbrauchen. Seine Sprachtalente und seine Belesenheit sind fast grenzenlos.
 
In Begleitung solcher Menschen sind die Gesprächsthemen unerschöpflich, und ich stimme zudem mit Emil darin überein, dass wir neue Informationen, neue Erkenntnisse begierig sammeln und aufnehmen. Das geht weit über ein geduldiges Zuhören hinaus, sondern es ist ein aktiver und intensiver Austausch von Wissen, das man sich einverleibt, wie eine zusätzliche Fettschicht (auf mich beschränkt) zulegt, um im Bedarfsfall wieder davon zehren zu können.
 
Die körperliche Haltung von Emil (1941) scheint diese Aufmerksamkeit noch zu betonen: Er ist ganz leicht nach vorne gebeugt, als ob er möglichst nah an die Informationen herankommen wolle, und die grossen, anliegenden Ohren verstärken den Eindruck des genauen Hinhörens. Die Augen mit einem Anflug von Verschmitztheit richten sich punktgenau auf ein Ziel, betonen die Beobachtungsgabe. Mit seinen roten, gut durchbluteten Wangen wirkt er vital, unverbraucht, hat insgesamt eher das Aussehen eines Anglo-Iren, falls es so etwas gibt, obschon er ein waschechter Schweizer (Basler) ist. Sein kurz geschnittenes, rötliches Haar ist erst von wenigen weissen Einzelexemplaren durchzogen; es sind gewissermassen Ausreisser. Er kleidet sich unauffällig – blaues Hemd, grauer Veston. Er wird erst zur auffallenden Persönlichkeit, wenn man mit ihm spricht.
 
Bei alledem zog ich bei den Vorbereitungen im Hinblick auf diesen Besuch in Erwähnung, dass der Rahmen eine wichtige Rolle spielt. Hatte ich das Ehepaar Baschnonga letztes Mal (im Mai 2005) in unserem Haus in Biberstein empfangen, wollte ich dem diesmal allein anreisenden Emil etwas Neues bieten, und dabei war mir sein Menu-Wunsch (Wurst- und Ochsenmaulsalat) eine wichtige Orientierungshilfe. Zwar wären meine Frau und sogar ich in der Lage, eine Vinaigrette zuzubereiten und sie auf Wursträdchen bzw. Ochsenmaulscheiben zu giessen sowie ein paar Zwiebelringe darüber zu verteilen. Doch wollte ich diese delikate Aufgabe einem Spitzenkoch anvertrauen. Ich mailte also ins Land-Hotel „Hirschen“ an der Hauptstrasse 125 in CH-5015 Obererlinsbach SO (www.hirschen-erlinsbach.ch), ob denn dort, wo eine regionale Spitzenküche zelebriert wird, auch Wurst- und Ochsenmaulsalate zu haben seien. Der „Hirschen“-Inhaber, Albi von Felten, antwortete spontan:
 
„Schön von Ihnen zu hören. Ich werde Ihnen und Ihrem Kollegen am Samstag die vorgeschlagenen Salate in 2 Gängen mit Freude servieren. Der Tisch ist reserviert, die Mitarbeiter instruiert, und ich werde am Samstag gegen 18 h im Hirschen sein. Ich freue mich auf ein Wiedersehen.“
 
So war alles vorbereitet. Emil kam um 17.22 Uhr auf dem im Neubau begriffenen Bahnhof Aarau an, und um 17.45 Uhr trafen wir im „Hirschen“ ein, wo wir erwartet und freundlich in Empfang genommen wurden. Mit einem Glas Dézaley, dem berühmten Waadtländer Weisswein, in der Hand schauten wir uns im Kräutergarten um, der in einer Art Bauerngarten mit spitzwinkligen, Buchs-umrandeten Beeteinfassungen angelegt ist. Dazwischen wächst eine Fülle von dem, was eine Küche zum Aromatisieren mit Naturdüften bedarf: vom Schnittlauch, Petersilie und vom Fenchel- bis zum Aniskraut. In der grossen Gartenanlage, die sich zum Teil dem belebenden Element Wasser verschrieben hat, stehen mehrere Kunstwerke, so eine grosse Harfe, deren Saiten durch dünne Wasserstrahlen dargestellt sind. Unser Rundtisch stand in einer Gartenecke neben einer Stahl- und Chromstahl-Skulptur des Künstlers Housi Knecht aus Gümligen BE, die eine silbern glänzende Kugel im Zentrum zu umfassen scheint, welche ihrerseits von einem sich ständig erneuernden Wasserfilm benetzt ist. Das Wasser fliesst oben aus der Kugel und verteilt sich über die Oberfläche, dank seiner Oberflächenspannung ohne im überhängenden Teil abzutropfen.
 
Der samtige, gehaltvolle und dennoch nicht überladene „Diolinoir“ 2006 (die eingesetzte Weinsorte ist eine neuere Kreuzung aus der Walliser Rebsorte Rouge de Diolly und dem Pinot Noir) aus dem Weingut Umbricht aus Untersiggenthal AG war von Katharina Aydt, die uns zusammen mit einem umfangreichen Servierteam aufmerksam betreute, auf unserem Tisch bereits kühl gestellt. Ein Kellner trug, gebrochene Sbrinz-Stücke zu Bio-Brot aus der Bäckerei Furter Aarau und Seetaler Rapsöl auf, das vom schmackhaften Backwerk gern aufgesogen wurde.
 
Emil hatte mir soeben einen alten Steingutteller von Opaque de Sarreguemines (Saargemünd, Lothringen) geschenkt und mir damit eine grosse Freude bereitet. Auf der Unterseite ist eine gedruckte Marke mit dem Wappen von Lothringen, gekrönt von einer Wandkrone, wie sie ab der Mitte des 19. Jahrhunderts verwendet worden ist. Der in Schwarz und Weiss gehaltene Tellereindruck auf der Oberseite bezieht sich auf die „Exposition universelle des Fromages Suisses et Hollandais“, wahrscheinlich jene von 1889. Das runde Bild zeigt einen Käsehändler in seinem Laden, in dem sich eine voluminöse Mutter, deren gastronomische Talente offensichtlich sind, mit einem Mädchen an der Leine eingefunden hat. Auf die Frage des Händlers an die Mutter, warum dem Töchterlein die Käse gezeigt würden, antwortet diese: „C’est pour lui apprendre à marcher seul“ (um sie selbstständig gehen zu lehren) ... das Kind folgt den Käsedüften und lernt dabei zu gehen. Und genau so hielten wir es vorerst auch, wenn auch sitzend.
 
Weil wir ja im Freien waren, genoss Emil eine Zigarette, von einem auf dem Tisch stehenden Aschenbecher dazu verleitet, ohne damit jemanden zu belästigen. Ich erinnerte mich an seine Blogserie über seinen heldenhaften Kampf gegen das Nikotin, den er, wie er freimütig zugibt, verloren hat.
 
Wir wandten uns noch einem Paprika-Jogurt-Dip und einer Walnussbutter zu, um die Wartezeit angenehm zu überbrücken. Die Spannung wuchs: Was würde aus dem Wurstsalat werden? 2 strahlende Serviererinnen trugen in grossen, rechteckigen, weissen Tellern das festliche Hauptgericht auf: Die kleinen, leicht marinierten Cervelat-Halbmonde waren auf einem gelben Kopfsalatblatt zu einem schlanken Berg aufgetürmt, asiatischen Reisterrassen nicht unähnlich, an die sich einige blau umrandete Zwiebelringe lehnten. Für das Grün sorgte oben frischer grüner Kresse. Speuzer Bieressig („Speuz“ ist der mundartliche Name von Erlinsbach) aus dem Holzfass, das im „Hirschen“-eigenen Essigkeller steht, und Rapsöl waren fürs Dressing eingesetzt und wurden auf dem Tellerboden zur Dekoration verwendett. Vorne am Tellerrand standen Tomatenschnitze mit Gänseblümchen, einem Wohlriechenden Veilchen und Basilikumblättern usw. Spalier.
 
Emil sprach von einer „Augenweide und Gaumenfreude", von einem „kulinarischen Meisterwerk", und fügte bei, dieser Wurstsalat gehe in seine Annalen ein. Da habe er sich aber etwas einfallen lassen, sagte ich zu Albi von Felten, der sich nach unserem Befinden erkundigte. Wurstsalat, auch aus Lyoner Würsten, könne man im „Hirschen“ immer essen, antwortete der Wirt und Geniesser, indirekt auf seine Erfahrung auch in diesem Bereich hinweisend. Vertraulich fügte er bei, auch er habe Wurstsalat gern. Wir fühlten uns verstanden.
 
Nach einer angemessenen Pause wurde der zu einer Roulade geformte Ochsenmaulsalat aufgetragen, zwischen dem grüne Spargeln und Ruccolablätter das Bild bereicherten. Das Ochsenmaul hatte Andy von Felten in der Metzgerei Markus Sandmeier in CH-5742-Kölliken beschafft – wunderbar frisch und von letzter Zartheit. Als Dressing dienten diesmal Weinessig, Walnuss- und Trüffelöl.
 
Wir hatten das Gefühl, dass um an sich banale Salate, die in Grossmutters Küche an der Tagesordnung waren, wohl noch selten so viel Aufwand getrieben worden war. Und es verwunderte mich überhaupt nicht, dass während unseres Verzehrs des Ochsenmaulsalats von der nahen, auf 1565 zurückgehenden und im Stil der Spätgotik erbauten reformierten Kirche Erlinsbach mit ihrem Käsbissendach das Abendgeläute erschallte. Wir genossen das kulinarisch-akustische Gesamtkunstwerk und begossen es mit einem Schluck Messwein. Es reichte noch für ein Dessert mit marinierten Waldbeeren aus Gottes freier Natur, und „als sich die Sonne über die heile Landschaft senkte" (so Emil im Rückblick) war es Zeit, zum Bahnhof Aarau zurückzufahren.
 
Am nächsten Morgen reiste mein lieber Gast nach London zurück. Er hatte etwas Duft der grossen Welt in unsere ländliche Abgeschiedenheit gebracht und einige Schweizer Impressionen mitgenommen, bei denen unsere Nationalwurst Cervelat eine grosse Rolle spielte. Manchmal sind es die kleinen Freuden, die eine einsame Grösse haben.
 
Hinweis auf das Blog über den 1. Baschnonga-Besuch
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