Textatelier
BLOG vom: 20.06.2009

Tipps für Rheuma-Patienten: Wohltaten für die Seele fällig

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
„Psychische Krankheiten sind eine verbreitete Folgeerscheinung von Rheuma. Sie hängen meist mit Stressereignissen, dem Krankheitsverlauf und dem chronischen Schmerz zusammen“, äusserte Tatiana Lisitsyna „focus“ gegenüber (www.focus.de). Die Zitierte war Leiterin einer Studie, die vom russischen Staatlichen Institut für Rheuma (RAMS) durchgeführt wurde. Man solle, wie die Forscherin betonte, bei der Behandlung immer die Psyche mit einbeziehen. Die Folgen liegen auf der Hand: Verbesserung der Lebensqualität, Verhinderung von negativem Stress. Stress wirkt sich nämlich fatal auf das Rheumageschehen aus.
 
In der Studie hatten 63 % der Rheumatiker (Patienten mit rheumatoider Arthritis) nicht nur mit körperlichen, sondern auch mit psychischen Belastungen zu tun. 87 % dieser psychisch belasteten Patienten waren depressiv. Gerade die depressiven Menschen litten besonders unter Schmerzen. 23 % der Patienten zeigten Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsstörungen und 33 % hatten Schlafprobleme. Bei 52 % der Rheumatiker wurde der Ausbruch der Krankheit durch ein Stressereignis ausgelöst.
 
Als ich diese Publikation las, schrieb ich folgenden Kommentar an die Online-Ausgabe von „focus“. Dieser wurde dann mit der Nr. 2 publiziert. Hier der Wortlaut: „Seelische Belastungen sind nicht nur Ursache rheumatischer Erkrankungen, sondern können auch ein auslösender Faktor sein. So kann die Rheumatoide Arthritis nach dem Tod eines geliebten Menschen ausbrechen. Angst, depressive Verstimmung, Ärger oder andere unangenehme Gefühle können die Fähigkeit eines Menschen beeinträchtigen, mit chronischen Schmerzen zu leben. Ausweg: selbst aktiv werden.“ Wegen der Umfangbeschränkung auf 300 Anschläge konnte ich den folgenden Satz nicht mehr einfügen: „Ein guter Ausweg ist sicher, die passive Rolle des Empfängers von Medikamenten zu verlassen und selbst aktiv zu werden (z. B. in einer Selbsthilfegruppe).“
 
„Du kannst aber auch nie nein sagen!“
Die Erkenntnisse aus der Studie sind für Rheumatiker nichts Neues. In etlichen Foren machten die Patienten ihre Erfahrungen publik. So schrieb sunny-side, sie sei davon überzeugt, dass bei ihr sowohl körperliche Überlastung und damit verbundener psychischer Stress den Ausbruch der Krankheit provoziert haben. Die Frau war immer für alle da, für Haus, Kind, Hund, Firma, Freunde, Familie, für die Sportmannschaft (war als Kassenwart verantwortlich). Sie hat Treffen organisiert, war immer fröhlich und gut drauf. Nach innen sah es ganz anders aus, wie sie schrieb. Solange die Gesundheit mitspielt, ist alles in Ordnung, aber wehe, wenn man krank wird, dann hört man von allen möglichen (unmöglichen) Leuten: „Ja, du hast dir aber auch immer zu viel aufgehalst“, „Du kannst aber auch nie nein sagen!“ – „Das konnte ja auch nicht immer gut gehen.“ Sie wird jetzt genauer in sich hineinhorchen, was ihr gut tut und was sie lieber unerlassen soll. Aber sie wollte vom Forum wissen, wie sie das umsetzen soll.
 
„Pumpkin“ schrieb dies: „Es ist sicherlich für einen chronisch Kranken wichtig, dass sein Umfeld ebenso stimmig ist, wie sein eigenes Ich – und damit fängt alles an. Zuerst muss man mit sich klarkommen, mit sich im Reinen sein und sich und alles andere daran auch akzeptieren. Erst dann kann man sich mit dem Rest der Welt auseinandersetzen.“
 
„Vanyar“, der mit Morbus Bechterew geplagt ist, schrieb, er sei ebenfalls überzeugt, dass ein Zusammenhang zwischen Psyche und Ausbruch der Krankheit besteht. Er ist isoliert, weil kaum noch Freunde mit ihm Kontakt aufnehmen, da er ja bei vielen Dingen nicht mitmachen kann. Er möchte ja nicht immer vor seinen „lieben Mitmenschen“ jammern. Er bemüht sich jetzt um eine Psychotherapie, „denn ich glaube bei mir wurde alles durch ein posttraumatisches Belastungssyndrom ausgelöst.“
 
Was der Seele gut tut
In meinem Buch „A. Vogel – Aktiv gegen Rheuma“ (Verlag A. Vogel, Teufen; www.avogel.ch) gab ich nicht nur Strategien für eine ganzheitliche Behandlung und Tipps zur Vorsorge und Selbsthilfe bekannt, sondern ging auch im Besonderen auf die seelischen Probleme ein. Die oben genannte Studie ist eine Bestätigung meiner Ausführungen. Hier einige Fakten dazu:
 
Seelische Belastungen entstehen ganz allgemein durch eine gestörte Beziehung zum Partner, zu den Kindern oder Eltern, durch den Tod eines Angehörigen, aber auch durch Kontaktabbrüche, finanzielle Verluste, Krankheiten, Unfälle, sexuelle Belästigungen, krankmachenden Stress am Arbeitsplatz, Mobbing, Angst um den Arbeitsplatz, Angststörungen und depressive Stimmungen. Und es gibt nicht nur ganz allgemein eine Beziehung zwischen Krankheit des Körpers und Krankheit der Seele, sondern einen konkreten Zusammenhang zwischen seelischer Belastung und Rheuma.
 
Hilfreich sind Kurse zur Schmerzbewältigung, Entspannungstechniken und Entspannungsübungen (Autogenes Training, Meditation, Eutonie, Yoga, Feldenkrais, Tai Chi, Chi Gong, Progressive Relaxation nach Jacobson).
 
Nützlich in Schmerzsituationen sind auch Selbstgespräche, so genannte positive Affirmationen. Denn oft ist es so, dass negative Gedanken das Schmerzerleben begleiten und zu Verstimmungen führen. Statt zu klagen „Warum bin gerade ich betroffen?“, sollte man den Schmerz akzeptieren und zu sich selbst sagen: „Den Schmerz werde ich überwinden, das schaffe ich schon“ oder „Wenn ich intensiv übe, wird es mir bald besser gehen“.
 
„Es geht nicht um zwanghaft erzeugte Selbstvorwürfe oder ein ungesundes Grübeln in der Vergangenheit, sondern um Klarheit, um Gesundung – und um die Frage: ‚Was will mir diese Krankheit sagen?’ Das Ziel ist weder Bestrafung noch Selbstbestrafung, sondern immer ein heilsamer Lernprozess“, wie Dr. med. Dominique Kähler betonte.
 
Der Rheumatiker sollte angenehme Aktivitäten praktizieren. So könnte er einen Einkaufsbummel machen, ein gutes Buch lesen, schöne Musik hören oder ein Hobby pflegen. Frauen erfreuen sich immer wieder bei einem Friseurbesuch oder einer kosmetischen Behandlung. Diese Aktivitäten können angenehme Gefühle erzeugen und vom Schmerz ablenken.
 
Wer unter seelischen Problemen leidet, sollte geeignete Beratungsstellen aufsuchen. In gravierenden Fällen kann auch eine Psychotherapie durch einen Facharzt für Psychiatrie notwendig sein.
 
Sich wohlfühlen durch positives Denken
Man fühlt sich auch wohl, wenn man an etwas Angenehmes denkt. Dazu ein Beispiel aus der Praxis (Quelle: Rheumazeitung „Mobil“, 2002-01). „Ich versuche einfach, an etwas Schönes zu denken. Was ich schon alles erlebt habe, was ich noch vor habe zu erleben. Ich glaube, ich habe verstanden, dass ich das Leben geniessen muss, dass ich nur so eine Chance habe, den Schmerz einigermassen im Zaum zu halten.“ Eine andere Rheumatikerin antwortete auf die Frage, wie sie mit ihrer Krankheit zurechtkomme: „Ich denke positiv, das hilft mir immer wieder, den Schmerz und andere Probleme zu meistern.“
 
Oft ist das leichter gesagt als getan. Fällt es schon Gesunden nicht immer leicht, im Leben vor allem die schönen Seiten zu sehen, so sind Kranke, die es schaffen, das Bestmögliche aus ihrer Situation zu machen, umso bewundernswerter. Diese Menschen sind auf dem richtigen Weg, denn positives Denken hat ungeahnte Auswirkungen. Man fühlt sich besser und zuversichtlicher, ist aktiver, bewältigt Probleme leichter, überwindet Ängste und Apathie, macht sich weniger Sorgen und hat mehr Freunde.
 
Isolation vermeiden
Wichtig ist, dass sich der Rheumatiker nicht isoliert. Er sollte Gespräche mit Gesunden und Rheumatikern führen. Einfühlsame Gespräche ermöglichen nämlich eine positive Bewusstseinserweiterung, heben die Stimmung, lassen Schmerz, Missmut und Trübsal vergessen.
 
Aktivitäten mit der Gruppe (Wassergymnastik, Gymnastik, Schwimmen, Bewegungstraining mit Fitnessgeräten) können auch aus der Isolation führen, wie das folgende Beispiel zeigt: Nach dem Tod ihres Partners zog sich eine früher kontaktfreudige Rheumatikerin immer mehr zurück. Mit all ihrer Überredungskunst gelang es einer Freundin, sie zu gymnastischen Übungen mit Gleichgesinnten zu bewegen. Später war die Witwe ihrer Freundin sehr dankbar, denn der Kontakt mit anderen Rheumapatienten hatte ihr über eine schwierige Zeit hinweggeholfen und sie aus der drohenden Isolation geführt.
 
Noch einige Worte zur Bewegung: Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Bewegung sozusagen ein Allheilmittel ist, denn sie wirkt sich auf Körper, Seele und Geist aus. Die ganzheitliche Wirkung besteht in der Verbesserung der Fitness, Reduzierung der Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Erhöhung der Widerstandsfähigkeit, Senkung des Serumcholesterinspiegels, Senkung des Blutdrucks, Schmerzlinderung, Reduzierung von Schmerzmitteln und Antirheumatika, Stabilisierung von Gelenken, Kräftigung der Muskulatur, Verbesserung der Haltung, positive Wirkung auf die Psyche, bessere Bewältigung des Alltags (benötigt wird weniger Hilfe von anderen) und Vermeidung der Isolation.
 
Literatur
Heinz Scholz: „A. Vogel – Aktiv gegen Rheuma“, Verlag A. Vogel AG, CH 9053 Teufen, 2. Auflage 2006, ISBN: 3-906404-18-8
 
Internet
Heinz Scholz: „Rheuma hat viele Gesichter“ und „Arnika – strahlende Schönheit hemmt Entzündungen“ unter www.textatelier.com (oder: rechts unter „Artikel nach Autoren“ anklicken). 
www.focus.de (mit Google unter „Rheuma und Psyche“ suchen)
www.rheuma-online.de (Forum im Archiv)
 
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