Textatelier
BLOG vom: 23.08.2009

Stierkampf Valencia: Top-Helden gegen halbtote Tiere

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Dieser Beitrag stammt aus meinem im Schuppen wieder entdeckten Manuskript „Zwischenblende 24“ – siehe Blog vom 20.08.09 Geschafft! Der Schuppen wurde in 6 Etappen entrümpelt“.
 
Als 18-Jähriger reiste ich während 3 Wochen kreuz und quer durch Spanien, nachdem ich meine Spanischprüfung bestanden hatte. 2 Tage habe ich in Valencia verbracht und einem Stierkampf beigewohnt, damals wie folgt festgehalten:
 
Der Stierkampf in Valencia
Sonntagnachmittag. Stierkampf. Die Sonne sengt. Überall wogen bunte Fächer in der dicht gefüllten Arena. Unvermittelt erstirbt der Lärm. Ein kräftiger Stier stürmt in das sandgefüllte Rund des Kampf- und Schlachtplatzes. Das Licht blendet ihn. Verdutzt steht er im leeren Kreis. Da tauchen violette Tücher auf. Ihre Träger verlassen die Schranken und schwenken den Stoff. Der Stier wankt nicht. Sie treten näher, bis einer, ganz dicht vor dem Bullen, ihm das Tuch vor seine Nüstern hält. Unlustig stösst er dagegen, nochmals. Langsam schreitet er dem Tuch zu, aber kommt ihm nicht näher, weil sich der Träger dem Schritt des Tiers anpasst. Jetzt trabt er, rennt und prallt unversehens gegen die Abschrankung, wohinter der Tuchschwenker verschwunden ist. Er kehrt sich leicht betäubt um. Wieder sieht er ein Tuch vor ihm auftauchen. Diesmal rennt er schon hitziger darauf zu. Wieder kracht er gegen die Bretterwand. Das grausame Spiel wird fortgesetzt, bis manche Stellen seines Fells schwarz vom Schweiss glänzen. Schnaubend und mit geblähten Nüstern steht er wieder in der Mitte der Arena.
 
Die Kapelle spielt, das Publikum raunt, die Fächer wedeln rascher: Herein trotten tuchverhängte Mähren; kostümierte Ritter halten Lanzen. Die Lanzen sind auf den wehrlosen Stier gerichtet, der abwehrbereit seinen Nacken senkt. Das Tier wendet sich gegen seine vermeintlichen Angreifer, einen der alten Gäule, wühlt mit den Hörnern in dessen blechgeschirmte Weiche. Die Lanzen stechen zu. Verzweifelt und schmerzensblind rennt jetzt der Stier gegen die scheuenden Pferde, drückt eines davon an die Schranke und wird von Lanzen gestochen und abgehalten. Blut rieselt an seinen Flanken herunter. Mit grossen feuchten Augen glotzt er um sich und versteht nicht, warum er plötzlich wieder allein in der Arena steht. Der tosende Beifall der Zuschauer legt sich. Der Stier schnuppert im aufgewühlten Sand und träumt von einer Wiese oder Tränke. Sein Fell zuckt.
 
Die Mutter neben mir verteilt Gebäck an ihre Kinder. „Ahora vienen los banderilleros“, erläutert der stoppelbärtige Mann neben mir. Ich nicke und bringe sogar ein verkrampftes Lächeln zustande. Unter Applaus schreitet, nein, tänzelt, trippelt graziös ein wendiger Spanier auf den Stier zu. Mit jedem Schritt wiegt er 2 bunt bewimpelte Stäbe mit Widerhaken auf Kopfhöhe. Plötzlich trippelt er blitzrasch auf den Stier zu, der sich duckt, und springt los. Der „Banderillero“ springt im letzten Augenblick dem auf ihn zustürmenden Bullen zur Seite. Beide Stäbe sind im Nackenansatz des Stieres eingehakt. 5 Minuten später ist das Opfer mit 4 Paar Bandarillas bespickt, und all sein Schütteln vermag sie nicht zu lösen. Dies ist die einzige Tat am ganzen Mordsspiel, die Bewunderung abnötigen könnte, wäre der Stier nicht schon von den Spiessgesellen geschwächt worden. Gewiss sind die Würfe gekonnt, die Banderilleros höchst geschmeidige Kerle, und ganz gefahrlos ist es nicht, sich einem Stier zu nähern, selbst wenn dieser am Verbluten ist.
 
Das Geschrei der Zuschauermenge kündigte es an: Der Held und Volksliebling betritt den Schauplatz – der Stierkämpfer. Pompös schreitet er gegen die Ehrenloge, verneigt sich kavaliermässig, wirft seinen Hut ins Publikum, indes sein Schlachtopfer belämmert und keineswegs angriffslustig hinter ihm steht.
 
Jetzt beginnt er um den Stier zu tänzeln, reizt ihn mit seinem blutroten Tuch, kniet gar auf Armlänge vor ihm. Endlich rappelt sich das Tier zusammen und macht mit, versucht hundertmal seinen Schlächter aufs Horn zu nehmen und verfehlt ihn stets und knapp.
 
Gebannt starrt die Menge auf ihr Idol, zollt ihm jedesmal Beifall, wenn er erst im allerletzten Augenblick den spitzen Hörnern ausweicht. Der Mann neben mir schreit sich die Lungen aus; die Mamma beisst ins Taschentuch – nur die Kleinen spielen unter der Bank.
 
Gierig wartet die Menge auf den Todesstoss. Gierig? Ich irre. Besessen eher, wie die Fanatiker an einem Pferderennen oder Fussballspiel. Kritisch auch wird der Stierkämpfer beurteilt. Gar kein unschickliches Gefühl lässt sich aus den Mienen lesen. Mein Nebenan ist nur selbstvergessen hingerissen, hat sich und seine Sorgen gänzlich vergessen. Von den Frauen zumindest hätte ich etwas Mitleid mit der Kreatur erwartet. Ich schaue mich um: Viele Frauen sehen dem Spektakel gelangweilt zu. Vielleicht schwört sich insgeheim dieser oder jener Tourist unter den Zuschauern, heute Abend kein Fleisch zu essen.
 
Inzwischen ist es geschehen: die Klinge steckt bis zum Schaft im lebenden Fleisch. Alles jubelt und krakeelt. Ein Meisterstoss! Hüte und Stöcke schwirren durch die Luft. Nonchalant nimmt der Bejubelte den Beifall entgegen und würdigt die Kreatur in Todespein keines Blicks. Der Bulle wankt wie trunken, spreizt seine Läufe, um das Gleichgewicht zu halten. Er bricht auf die Vorderläufe und versucht umsonst, sich aufzurappeln. Blut schiesst aus seinen Nüstern. Endlich sackt er zur Seite. Seine Hufe scharren noch etwas im blutverschmierten Sand.
 
An jenem Sonntagnachmittag schleiften 2 Schindmähren 6 Kadaver vom Platz. 3 der Stiere brachen nach einer Minute zusammen, einem wurde der Degen nur halb hineingestossen; der letzte wankte zur Brüstung und lehnte sich daran, indes sein Blut sich zu einer Lache sammelte.
 
Entsetzlich!
 
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