Textatelier
BLOG vom: 18.05.2010

Vor 65 Jahren: SS-Männer erschiessen Willibald Strohmeyer

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
„Der Willibald-Strohmeyer-Weg im Ortsteil Wasen erinnert an jene bedeutende Persönlichkeit, welche während über dreieinhalb Jahrzehnten die religiöse Betreuung der Bevölkerung als Pfarrherr von St Trudpert wahrnahm. In der Epoche seines Wirkens war er einer der populärsten Bürger im Ort. Sein tragischer Märtyrertod am Kriegsende wurde allgemein wortreich beklagt. Heute weckt er lediglich bei älteren Einwohnern Reminiszenzen an die interessante Zeit seiner unermüdlichen Tätigkeit.“
(August Villinger im Vorwort zum Buch „Der unbekannte Strohmeyer“, 1994)
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Während meines Besuchs in der Münstertaler Touristinfo fiel mir in einem Schriftenregal das dort ausgestellte Buch „Der unbekannte Strohmeyer“ auf. Es handelte sich um einen Faksimile-Druck, in dem die Fraktur-Schrift der Originalausgabe beibehalten wurde. Auf meine neugierige Frage, wer Strohmeyer war, erfuhr ich Näheres über diesen Pfarrer von Karl Pfefferle jun.
 
Willibald Strohmeyer (1877‒1945) war ein allseits beliebter Pfarrer von St. Trudpert und Dekan des Kapitels Neuenburg. Er verfasste das erwähnte Werk und schilderte die Gründung des Klosters, die politischen Schicksale von St. Trudpert im Laufe der Jahrhunderte und schrieb die Vitas aller Äbte, die hier wirkten, nieder.
 
Aber etwas ganz anderes interessierte mich. Karl Pfefferle erwähnte nämlich, dass dieser Pfarrer 1945 von SS-Männern (SS = Schutzstaffel der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, NSDAP) kurz vor Kriegsende erschossen wurde. Darüber wollte ich Näheres in Erfahrung bringen und auch darüber schreiben. Von Karl Pfefferle erhielt ich das Werk von Strohmeyer und einige interessante und ausführliche Publikationen über den Priestermord. So wollen wir einmal die damaligen schrecklichen Ereignisse Revue passieren lassen.
 
Verlotterte und kriminelle Leute
Im März 1945 befand sich in Münsterhalden im Münstertal ein Zug des SS-Jagdkommandos Süd. Es war eine Sondereinheit, die dem Mussolini-Befreier Otto Skorzeny unterstand. Der Zug bestand aus französischen Legionären, einigen Spaniern und Arabern. Es waren verschlagene und verwegene Typen. Sie waren in Feinduniform oder in Zivil unterwegs, um Spionage- und Sabotageaufgaben in der Schweiz oder über den Rhein und im Elsass durchzuführen. Die Soldaten führten in ihrem Sprachjargon schon lange das Wort „umlegen“. „Trotz von der Führung verlangter eiserner Disziplin war der Zug ein zusammengewürfelter, verlotterter Haufen, der mit kriminellen Elementen durchsetzt war“, schrieb W. Middendorf. Der Führer des erwähnten Zuges war SS-Untersturmführer Leutnant Werner, ein fanatischer Nationalsozialist.
 
Werner hatte eine unheimliche Wut gegen alles Katholische. Zusammen mit Unteroffizier Perger zerstörte er mit Pistolenschüssen eine Marienfigur und ein Kruzifix. In Gesprächen brachte er zum Ausdruck, er wolle den Pfarrer von St. Trudpert aufhängen. Als nämlich Freiburg am 21. April 1945 von den Franzosen besetzt wurde, hatte Werner die Schuldigen ausgemacht. Er sagte, die Pfaffen seien an allem Schuld, und er wolle mit den Feinden des Dritten Reiches aufräumen. Einen „Feind“ hatte er besonders im Blickfeld, nämlich den Geistlichen von St. Trudpert.
 
Trostreiche Worte vor der Exekution
Dekan Strohmeyer war jedoch unschuldig und hatte sich nie mit den SS-Leuten angelegt. Mit dem Ortsgruppenleiter der NSDAP bestand kein schlechtes Verhältnis. Der in der Gemeinde sehr beliebte und sozial eingestellte Pfarrer hatte sich auch als Schriftsteller und Historiker einen Namen gemacht. Hatte Strohmeyer eine Vorahnung von seinem bevorstehenden gewaltsamen Tod? Dies könnte man glauben, zumal er knapp 3 Stunden vor seiner Verhaftung den Evangelienabschnitt Johannes 16.16‒22 in einer Predigt vorlas:
 
„Noch kurze Zeit, dann seht ihr mich nicht mehr, und wieder eine kurze Zeit, dann werdet ihr mich sehen. Da sagten einige von seinen Jüngern zueinander: Was meint er damit, wenn er zu uns sagt: Noch kurze Zeit, dann seht ihr mich nicht mehr, und wieder eine kurze Zeit, dann werdet ihr mich sehen? Und was bedeutet: Ich gehe zum Vater? Sie sagten: Was heisst das: eine kurze Zeit? Wir wissen nicht, wovon er redet. Jesus erkannte, dass sie ihn fragen wollten, und sagte zu ihnen: Ihr macht euch Gedanken darüber, dass ich euch gesagt habe: Noch eine kurze Zeit, dann seht ihr mich nicht mehr, und wieder eine kurze Zeit, dann werdet ihr mich sehen. Amen ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet bekümmert sein, aber euer Kummer wird sich in Freude verwandeln.
 
Wenn die Frau gebären soll, ist sie bekümmert, weil ihre Stunde da ist; aber wenn sie das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an ihre Not über der Freude, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. So seid auch ihr bekümmert, aber ich werde euch wieder sehen; dann wird euer Herz sich freuen, und niemand nimmt euch eure Freude.“
 
Am Morgen des 22. April fuhr Werner mit seinem Fahrer und einem weiteren SS-Mann nach St. Trudpert. Dort angekommen, gab er dem Geistlichen 2 Minuten Zeit zum Umziehen. Dann brachte er den Pfarrer nach Münsterhalden. Dort wartete vor der Wirtschaft Böhler schon der Unteroffizier Pauer und der französische Legionär Roglin. Dieser war ein wilder, gefürchteter Baske. Werner gab dann den Befehl: „Fahren Sie den Pfarrer hinauf zu der Stellung oben beim Haldenhof und erschiessen sie ihn!“ Roglin und Pauer brachten den Pfarrer dann zur vereinbarten Stelle. Dann stellte sich Roglin hinter dem Dekan und gab ihm aus seiner Pistole einen Genickschuss. Willibald Strohmeyer fiel tödlich getroffen zu Boden. Dann wurde der Tote verscharrt. Als sie nach Münsterhalden zurückfuhren, rief Pauer einem anderen SS-Mann in guter Stimmung zu: „Weisst Du schon, dass wir den Schwarzen von St. Trudpert umgelegt haben?“
 
Die Leiche wurde erst am 6. Mai 1945 von einer Gruppe Männer unter Führung des letzten Pächters des Rammersbacher Hofes, Johann Riesterer, entdeckt. An jener Stelle befindet sich heute die Strohmeyer-Kapelle. Die letzte Ruhestätte fand Strohmeyer auf dem Friedhof von St. Trudpert, links am Haupteingang. Der Rammersbacher Hof hat den Namen „Dekan Strohmeyer-Haus“ erhalten, „damit die Jugend und die kommenden Generationen das Leben eines grossen Priesters nicht vergessen.“ Das Dekan Strohmeyer-Haus ist heute ein Freizeitheim des Dekanats Breisach-Neuenburg.
 
Der sinnlose Mord wurde gesühnt
Bei der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht in Freiburg belasteten sich Werner und Pauer gegenseitig. Aber ein Entlastungsversuch von Werner wurde entkräftet. Pauer betonte, er sei unschuldig, weil er ja einen militärischen Befehl ausgeführt hatte. Gegen einen solchen Befahl konnte er sich nicht wehren. Bei einer Befehlsverweigerung wäre er selbst erschossen worden. Das Gericht war jedoch der Ansicht, Pauer hätte unbedingt einen Versuch unternehmen sollen, um das Leben des Pfarrers zu retten.
 
Der Oberstaatsanwalt beantragte für Werner die Todesstrafe und für Pauer eine Haftstrafe von 15 Jahren. Das Gericht fällte dann folgendes Urteil: Todesstrafe für Werner und 10 Jahre Haft für Perger. Der Legionär Rogler, der den tödlichen Schuss abgegeben hatte, konnte nicht abgeurteilt werden, da er von den Franzosen verhaftet wurde. Über sein späteres Schicksal wurde nichts bekannt. Die Todesstrafe für Werner wurde später nach einem Gnadengesuch in eine lebenslange Zuchthausstrafe umgewandelt. Das Gnadengesuch stellten übrigens der Erzbischof von Freiburg, Dr. Conrad Gröber, und die Schwester des Ermordeten namens Julie. Am 02.08.1955 wurde die Strafverbüssung mit Wirkung vom 09.05.1957 zur Bewährung ausgesetzt. Pauer wurd auch begnadigt. Er wurde am 09.11.1953 in die Freiheit entlassen. Die Verurteilten kamen später nicht mehr mit dem Gesetz in Konflikt.
 
„Aus heutiger Sicht kann man die furchtbare Tat als einen sinnlosen Mord bezeichnen, der aus Verzweiflung, Grössenwahn und in Untergangsstimmung begangen wurde. Menschenleben waren damals billig, und Töten war Gewohnheit geworden“, schrieb M. Middendorf in der Schrift „Freiburger Kleiner Pitaval“.
 
Für einen Aussenstehenden und Nichtkriegsteilnehmer, wie ich einer bin, kann man so einen Fanatismus nicht verstehen. Es gab kurz vor Kriegsende viele Tötungen durch überzeugte Nationalsozialisten, aber auch, das darf man nicht verschweigen, Übergriffe von Seiten der Alliierten.
 
Diese kleine Schilderung über den sinnlosen Tod eines Unschuldigen sollte uns alle aufrütteln. Ein Krieg sollte niemals wieder vom deutschen Boden ausgehen. Aber leider ist es so, dass heute in anderen Ländern sinnlose Kriege unter deutsche Beteiligung auf „Befehl“ der USA bzw. Nato geführt werden. Das unsinnige Kämpfen geht leider weiter. Kriegsgeile Politiker haben über Kriege und die sich daraus ergebenden Folgen nichts dazugelernt, ihr Verhalten nicht geändert.
 
Anhang
Die Schändung der Gedächtniskapelle
Leider gibt es bis in unsere Zeit Uneinsichtige und die Ewig-Gestrigen. Der folgende Vorfall zeigt dies überdeutlich:
 
In Anwesenheit des damaligen Staatspräsidenten Dr. Leo Wohleb wurde am 31.08.1947 die Willibald Strohmeyer-Gedächtniskapelle auf dem Heubronner Eck eingeweiht. 3000 Menschen waren damals anwesend.
 
Der Dichter Dr. Reinhold Schneider aus Freiburg sagte damals: „Möge die Kapelle für alle Zeiten ein Denkmal sein, das vom Hass und der Wut der SS gegen alles Kirchliche und vom Märtyrertod des 2. St. Trudpert kündet.“ (Der 1. Märtyrertod ereignete sich 607 u. Z., als der Gründer des Klosters ermordet wurde).
 
Dr. Leo Wohleb sagte u. a. in seiner Rede dies: „So oft ihr Euren Kindern und Enkeln die heilige Legende von der Ermordung St. Trudperts erzählt, vergesst nie hinzuzufügen, dass Menschen ohne Gott derselben Tat fähig sind, auch wenn sie im angeblich erleuchteten 20. Jahrhundert leben (…). Sorgt dafür, dass niemals mehr Zeiten wiederkommen können, in denen Religion und Menschenwürde mit Füssen getreten werden.“
 
Am 13. August 1963 wurde die Kapelle „entwürdigt“. „Ruchlose Hände“ hatten durch das starke Eisengitter die Buchstaben „SS“ auf der Bodenplatte weggemeisselt.
 
Die „Stuttgarter Zeitung“ sprach in ihrer Ausgabe vom 24.10.1963 von einer Geschichtskorrektur mit dem Pickel. Den unbekannten Tätern gefiel wohl nicht, dass ein Pfarrer von SS-Schergen ermordet wurde. Die Zerstörung wurde im Auftrag von Hansjörg Neuhöfer, Pfarrer von St. Trudpert, durch einen Steinmetzen 1985 beseitigt. Der Originalzustand der Bodenplatte wurde wieder hergestellt.
 
Ich hoffe, dass der Name Strohmeyer auch bei den jüngeren Leuten ins Gedächtnis gerufen wird. Er musste sein Leben in einer unsäglichen Zeit lassen. Vielleicht gibt es in einer anderen, besseren Welt ein Wiedersehen mit ihm ...
 
Internet
 
Literatur
Gross, Eberhard: „Kurz vor Kriegsende: SS-Männer erschiessen Pfarrer“, Online-Ausgabe der „Badischen Zeitung“, 05.05.2010.
Middendorff, W.: „Freiburger Kleiner Pitaval“ (Auszug), Kehrer-Verlag, Freiburg 1984.
Neuhöfer, Hansjörg: „Die Willibald Strohmeyer-Gedächtniskapelle auf dem Heubronner Eck“, Münstertal 1995.
Meier, Hermann: „Dekan Willibald Strohmeyer zum 20. Jahrestag seines Todes“, Neuenburg 1965.
Strohmeyer, Willibald: „Der unbekannte Strohmeyer“, Verlag A. Villinger, Staufen 1994.
 
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