Textatelier
BLOG vom: 13.06.2010

Outdoor-Apotheke: Frischpflanzen-Hilfe für Freizeit, Reise

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
„Pflanzen haben mich nie enttäuscht und nie im Stich gelassen.“
(Alfred Vogel, 1902‒1996)
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„Alle Wiesen und Matten, alle Berge und Hügel sind Apotheke.“
(Paracelsus, 1493‒1541)
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„Ein intelligenter Mensch muss es verstehen, durch eigene Kenntnisse sich bei Krankheitsfällen zu helfen, überlegend, dass für die Menschen die Gesundheit das wertvollste Gut ist.“
(Hippokrates, um 460‒um 370 v. u.  Z.)
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Manchmal habe ich auf Wanderungen erlebt, dass sich der eine oder andere Geselle den Fuss verstaucht, das Bein oder den Arm aufgeschürft hat oder von einer Biene gestochen wird. Es sind jedoch nicht nur Erwachsene oder Jugendliche von solchen Unbillen betroffen, sondern auch die Kleinen. So kam einmal meine 4-jährige Enkelin Melina mit Brennnesseln in Berührung. Sie schrie auf. Was tun in so einem Fall? Man hat ja nicht immer ein beruhigende Salbe oder ein kühlendes Pflaster dabei. Ich pflückte einige Spitzwegerichblätter, zerquetschte sie und brachte sie auf die Quaddeln. Die Wirkung folgte auf dem Fuss. Das Heulen hörte auf, und Melina machte bald wieder ihre Scherze. Heute fragt sie immer wieder, wenn wir an auffälligen Blättern vorbeigehen: „Sind das Brennnesseln?“ Sie achtet jetzt darauf, dass sie mit den Brennnesseln nicht in Berührung kommt.
 
Zerquetschte Spitz- oder Breitwegerichblätter helfen auch, wenn man von einer Biene oder Wespe gestochen wird.
 
Und noch ein Vorfall: Während eines Spaziergangs mit meiner Enkelin verirrte sich eine Ameise zwischen Fuss und Lederriemen meiner Sandale. Es brannte nicht schlecht. Nachdem ich ein zerdrücktes Spitzwegerichblatt auf der schon geröteten Stelle platziert hatte (ich rieb den Saft in die Wunde hinein), hörte der brennende Schmerz sofort auf.
 
Gequetschte Spitzwegerichblätter auf die Ohrmuschel des wehen Ohres platziert und mit einem Stirnband fixiert, helfen auch bei Ohrenschmerzen.
 
Vor Jahren sagte einmal eine Zuhörerin anlässlich meines Vortrages über Heilpflanzen, bei Insektenstichen würden auch Auflagen von Quark, Heilerde und zerquetschte Kohlblätter helfen. Aber woher in der freien Natur diese Mittel nehmen? Spitzwegerich wächst ja fast überall. Es gibt noch eine ganze Reihe von anderen Pflanzen, die bei Insektenstichen gute Dienste leisten (Basilikum, Zitronenmelisse, Feldahorn, Giersch, Lavendel, Wilde Malve, Ringelblume, Sauerklee).
 
Im Kanton Aargau legte man früher beim Brennen zwischen den Zehen Spitzwegerichblätter auf die betreffenden Stellen und zog eine Socke darüber.
 
Warum wirkt der Spitzwegerich so gut? Es sind die Inhaltsstoffe, die entzündungshemmend, reizlindernd und bakterienabtötend wirken. Innerlich wird die Heilpflanze bei Husten, Heiserkeit, Keuchhusten, Verschleimung und Asthma gebraucht, äusserlich als Gurgel- und Spülmittel bei Entzündungen des Mund- und Rachenraums.
 
Ein hilfreiches Werk
Es gibt eine ganze Menge frische Pflanzen am Wegesrand, auf Wiesen, in den Bergen und in den Wäldern. Sie eignen sich hervorragend für die Erste Hilfe bei sportlichen Tätigkeiten und auf Reisen. Aber welche Pflanzen helfen wirklich bei den unterschiedlichsten Gebrechen in freier Natur?
 
Die Autorinnen Dr. Claudia Rawer und Ingrid Zehnder haben das Thema aufgegriffen und ein schön gestaltetes Taschenbuch mit dem Titel „Kleine Outdoor-Apotheke“ verfasst. In diesem Werk, das im Verlag A. Vogel, Teufen, 2010 publiziert wurde, sind 46 häufig vorkommende und leicht zu erkennende Pflanzen für rund 50 Indikationen aufgeführt. Sie leisten uns gute Dienste u. a. bei Sonnenbrand, Insektenstichen, Quetschungen, Kopfweh, Haut –und Magenproblemen, Durchfall, Schmerzen, Nasenbluten und müden Beinen. Einige Beispiele aus dem Werk möchte ich an den Leser weitergeben.
 
Hilfen bei Kopfschmerzen
Was tun bei Kopfschmerzen? Falls Sie Pfefferminzöl im Rucksack oder der Tasche dabeihaben, können Sie die Stirn mit Pfefferminzöl einreiben (Vorsicht! Öl nicht auf Schleimhäute bringen!). Das bringt augenblicklich Linderung. Notfalls eignen sich auch zerdrückte frische Pfefferminzblätter oder die in freier Natur vorkommende Ross- oder Wasserminze (den Duft tief einatmen oder den Saft auf die Schläfe einreiben).
 
Eine alte Anwendung in der Volksmedizin möchte ich nicht unerwähnt lassen. So wurden gemahlene Gundermannblätter als Schnupftabak bei Kopfschmerzen angewandt. Auch frische Blätter eignen sich dazu. Zerreiben Sie einige Blätter kräftig auf dem Handrücken und schnupfen Sie den ölhaltigen Saft in die Nase ein. Auch Holunderblüten und Lavendel eignen sich bei Kopfschmerzen. In südlichen Ländern wächst ja der Lavendel sehr reichlich (bei uns ist die schöne und duftende Pflanze immer mehr in Gärten anzutreffen). Lavendelblüten werden zwischen den Fingern zerrieben und das ätherische Öl auf die Schläfen aufgetragen.
 
Wenn das Blut aus der Nase tropft
Schon die Kräuterexperten des Mittelalters wiesen auf die blutstillende Wirkung des Hirtentäschels hin. Auch Sebastian Kneipp empfahl das Kraut bei Blutungen aller Art.
 
Wie stillt man eine Blutung aus der Nase? Zerquetschen Sie Blätter des Hirtentäschels und tränken damit einen Wattepfropf. Dieser wird dann in das entsprechende Nasenloch platziert.
 
Man kann aber auch einige zerquetschte Blüten des Labkrauts in die Nase stopfen. Die Gefässe werden auch verengt, wenn man den Saft von Blättern und Blüten des Vogelknöterichs mittels Ohrstäbchen auf die Schleimhaut des betroffenen Nasenflügels streicht.
 
Im erwähnten Werk sind auch noch ganz andere Tipps aufgeführt. In Bezug auf das Nasenbluten wird dies empfohlen:
Ruhig hinsetzen (nicht hinlegen). Mindestens 10 Minuten sitzen bleiben.
Mit Daumen und Zeigefinger die Nasenflügel gut zusammendrücken (etwa 10 Minuten).
Ein kalter Umschlag (Wasser, Eis) im Nacken zieht die Blutgefässe zusammen und hilft, die Blutung zu stoppen.
 
Hilfen für malträtierte und müde Beine
Wer klagte nach einer anstrengenden Wanderung oder mühsamen Klettern oder Radfahren nicht über müde Beine! Hier einige Hilfen aus der Natur:
 
Feldahorn: Blätter eignen sich für Umschläge bei geschwollenen Gelenken und Füssen.
 
Steinklee: Das Öl wird besonders verwendet bei müden und schmerzenden Beinen, Wadenkrämpfen und Krampfadern.
 
Breitwegerich: Die Blätter mit einem Stein plattwalzen, dann diese direkt auf die Fussblase legen. Mit einem Heftpflaster oder Socke fixieren. Das Pflaster wirkt kühlend und schmerzlindernd.
 
Unliebsame Berührung mit einem Fels
Zur Wundbehandlung eignen sich besonders Birkenblätter, Frauenmantel, Johanniskraut, Odermenning und die Ringelblume besonders gut. Als ich vor etlichen Jahren einmal bei einer Wanderung im Schweizer Jura in meinem nicht mehr jugendlichen Leichtsinn flugs über einen Felsbrocken sprang, machte ich eine unliebsame Berührung mit dem Fels. Das aufgeschürfte Knie schmerzte höllisch; erst nach einer Ruhepause konnte ich die Wanderung fortsetzten. In einem anderen Fall musste ich im Wehratal bei Wehr (Baden D) einen Fahrweg wegen Holzfällerarbeiten umgehen und quer durch einen mit vielen Ästen belegen Waldboden laufen. Trotz meiner Wanderstöcke fiel ich längs hin. Auch hier schürfte ich eine Stelle unterhalb des Knies auf. In beiden Fällen hätte ich sofort eine Linderung verspürt, wenn ich zerriebene Blätter und Blüten des Johanniskrauts aufgelegt hätte. Aber ich biss die Zähne zusammen und weiter ging es hinab zu unserem Ausgangspunkt der Tour.
 
Das Johanniskraut wurde ja schon lange in der Volksmedizin als „Wundkraut“ gepriesen. Noch besser als die zerquetschten Blüten und Blätter wirkt natürlich das Johanniskrautöl. Es wird äusserlich angewandt bei Wunden, Quetschungen, Geschwüre, rheumatischen Beschwerden und Neuralgien. Tee, Tropfen, Pflanzensaft und Dragees des Handels wirken innerlich bei nervöser Unruhe und leichten Depressionen.
 
Auflage mit Gänseblümchen
In der „Kleinen Outdoor-Apotheke“ las ich noch etwas ganz anderes: Eine Gänseblümchen-Auflage hätte auch meine Schürfwunden gelindert. Aber leider gab es weit und breit in diesen Gegenden keine Gänseblümchen. Die Inhaltsstoffe des Gänseblümchens wirken nämlich entzündungshemmend, blutreinigend und wundheilend. Deshalb eignet sich der Saft der gequetschten Blüten und Blätter bei juckenden und geröteten Hautausschlägen.
 
Das war für mich auch neu: Der äusserlich aufgetragene Saft aus den Blättern des Gundermanns beschleunigt die Heilung von Blutergüssen, Quetschungen und „Augen-Veilchen“. Das werde ich mir merken, zumal man ja dumm fallen kann oder einen Schlag abbekommt und dann mit einem blauen Veilchen herumlaufen muss. Das ist dann immer ein peinlicher Anblick bzw. die Kollegen machen sich darüber lustig.
 
Auch das Kraut des Kriechenden Günsels oder die Blätter der Nachtkerze eignen sich zur Behandlung von Prellungen und Quetschungen.
 
In der „Kleinen Outdoor-Apotheke“ sind auch gute Rezepte bei Magen- und Darmbeschwerden, wie Übelkeit, Erbrechen, Sodbrennen und Verstopfung, aufgeführt. Das Kapitel „Wo frische Pflanzen noch helfen“ bringt wertvolle Tipps bei Durst, Fieber und Schmerzen, Muskel- und Gelenkschmerzen, strapazierte Nerven, Menstruationsbeschwerden, Leber- und Gallenbeschwerden, Blasen- und Nierenprobleme und bei einem Gichtanfall.
 
Eine Anwendung hat mich an meine Kindheit erinnert, nämlich diejenige bei Durst. Früher streiften wir mit Geschwister oder Schulfreunden des Öfteren in der freien Natur herum. Da hatte keiner eine Flasche Mineralwasser oder ein anderes Getränk aus dem Tante-Emma-Laden dabei, sondern vielleicht einen von der Mutter selbst hergestellten Holunderblütensaft oder Mädesüsswasser. Wenn wir nichts zum Trinken dabei hatten, labten wir uns an einer Quelle oder kauten junge Sauerampferblätter. Die säuerlichen Blätter stillten den Durst, ersetzen aber natürlich das Wasser nicht. Auch machten wir uns an die kleeartigen, hellgrünen Blätter des Sauerklees oder an die sauer schmeckenden Sanddornbeeren heran. In Zeiten der Kirschenernte stibitzen wir das eine oder andere Quantum Kirschen vom Nachbars Garten.
 
Ein kleines Fazit
Die „Kleine Outdoor-Apotheke“ mit den beachtlichen 216 Seiten ist sehr gut gegliedert und die einzelnen Kapitel farblich gekennzeichnet. Dies erleichtert das Aufsuchen zu einem Indikationsgebiet.
 
Im 1. Teil (114 Seiten) sind die Erkrankungen/Unpässlichkeiten (Indikationen) unter den gleichen Farbbalken wie im Inhaltsverzeichnis aufgeführt. Hinter den Pflanzennamen ist in Klammern angegeben, auf welcher Seite die Pflanze näher beschrieben und bebildert ist (im 2. Teil sind die Pflanzen von A–Z aufgeführt). Die Texte und hervorragenden Fotos helfen dem Leser, die Pflanzen gut zu erkennen und zu finden.
 
Sehr gut sind auch die grünen und roten Piktogramme. Grün bedeutet: Blätter und Blüten der Pflanze werden frisch verwendet. Rot bedeutet: Pflanzen werden als Tee zubereitet.
 
Das Büchlein mit seinem sehr handlichen Format (mit Schutzhülle 15,5 x 12 cm) passt bequem in jede grössere Anoraktasche oder in die Seitentaschen eines Rucksacks. Das Werk ist, wie die Autorinnen bemerken, nicht für Fachleute gedacht, sondern für alle Menschen, die sich in ihrer Freizeit gerne mit der Natur verbunden fühlen und sich auch nicht als Pflanzenkenner bezeichnen. Es ist jedem Freizeitsportler und Reisenden ans Herz zu legen. Den Autorinnen ist ein guter Wurf gelungen.
 
Internet
 
Literatur
Rawer, Claudia; Zehnder, Ingrid: „Kleine Outdoor-Apotheke“ – Erste Hilfe mit frischen Pflanzen für Freizeit, Sport und Reisen“, Verlag A. Vogel, Teufen 2010.
Scholz, Heinz; Hiepe, Frank: „Arnika und Frauenwohl“, Ipa Verlag, Vaihingen/Enz 2002.
 
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(die Artikel sind unter www.textatelier.com „Artikel nach Autoren“ einzusehen)
 
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