Textatelier
BLOG vom: 19.09.2010

Italienreise 2: Erinnerung an die mächtigen Etrusker (Tusci)

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Weil sich die Etrusker dem Römischen Reich gegenüber leider nicht behaupten konnten – sie gingen um etwa 100 vor unserer Zeitrechnung in ihrem Nachbarreich auf –, vergisst sie gern, wer an die Geschichte Italiens denkt. Jedenfalls werden sie von der Geschichtsschreibung immer ausgesprochen stiefmütterlich behandelt, obschon der etruskische König Tarquinius Priscus 575 v. u. Z. doch immerhin Rom gegründet hat. Dieser Unterlassungsfehler wäre für einen Bericht über die Toskana gravierend, denn diese mittelitalienische Region macht das Herzstück von Etrurien aus. Sie umfasste das Gebiet zwischen Arno und Tiber (etwa zwischen Pisa und Rom), dem Tyrrhenischen Meer und dem Bogen des Apennin. Manchmal grasten die Etrusker über ihre Grenzen hinaus.
 
Man spricht tatsächlich immer nur von den „Alten Griechen“ und den „Alten Römern“, nicht aber von den „Alten Etruskern“. In diesem Blog wird „Tuscae historiae“ wenigstens rudimentär nachgeholt, weil der hochkulturelle Aufstieg Europas durch die Vermittlung von Erkenntnissen aus dem Alten Orient eigentlich genau hier, in Etrurien, seinen Anfang nahm. Die Toskana ist eine Idee kulturbewusster Geister, ein „Staat als Kunstwerk“ wie Jacob Burckhardt schrieb – „Die Entdeckung der Welt und des Menschen“.
 
Die Römer sagten den Bewohnern Etruriens, die sich selber Rasna oder Rasenna nannten, Tusci oder Etrusci, und genau davon leitet sich der heute noch gebräuchliche geografische Begriff Toskana (Toscana) ab. Ob es sich bei den Etruskern um Einheimische oder aus Kleinasien Zugewanderte handelt, ist umstritten, und mir ist es nicht möglich, das Rätsel zu lösen, obschon mir die Zuwanderungsthese wesentlich wahrscheinlicher zu sein scheint. Ich habe gelesen, dass sie seit dem 8. Jahrhundert v. u. Z. eine eigene Kultur hatten, zur See und auf dem Land mächtig waren und ihr Reich in 12 Stadtstaaten aufgeteilt hatten. Sie führten ständig Kriege, die ihre politische Macht schwächten, und der nach einem 10-jährigen Krieg 396 v. u. Z. errungene Sieg der Römer über die antike etruskische Stadt Veji (heute Veio) bei Rom leitete ihren Untergang ein. Etrurien wurde später ins römische Italien einverleibt – es hätte durchaus auch umgekehrt herauskommen können. Viele berühmte etruskische Stätten wurden anschliessend barbarisch systematisch zerstört.
 
In der etruskischen Kunst sind italische, orientalische und insbesondere griechische Einflüsse feststellbar, vor allem im Tempel- und Häuserbau, in der Wand- und Vasenmalerei sowie Keramik, bei Skulpturen ebenso wie im Relief. Vielleicht bestanden einfach intensive Beziehungen zu diesen Gebieten. Im Kunstschaffen der Etrusker kommt vor allem die Zuneigung zum Diesseits zum Ausdruck, was mir persönlich nicht schlecht gefällt; denn es ist eine Zuneigung zu einem heiteren, unbeschwerten Leben. Man hat schliesslich später noch Zeit genug, das Jenseits mit seiner Götterwelt eingehend zu ergründen. Man sollte nichts überstürzen.
 
Selbstredend erstellten auch die Etrusker monumentale Grabanlagen, besonders in der Form von Rundhügeln (Tumuli). Viele Grabanlagen sind mit steinernen Nachbildungen von Hausgerät und Möbeln ausgeschmückt. Ansprechender aber ist ihr tiefes Naturgefühl; die Etrusker stellten immer wieder Pflanzen und Tiere dar, und das hat sich möglicherweise bis heute in der noch immer sehr mit Pflanzen und Tieren belebten Toskana erhalten. Auch die kosmischen Kräfte wurden ins Kunstschaffen einbezogen.
 
Die etruskische Kunst ist mir bei einem Zelt-Ferienaufenthalt in Tarquinia 1962 erstmals begegnet, in einer der bedeutendsten etruskischen Städte (Provinz Viterbo, Region Latium); sie hatte die Vorrangstellung innerhalb der 12 etruskischen Stadtstaaten. Doch habe ich damals (noch) weniger davon verstanden als heute. Etwas vorangebracht haben mich die Ergründungen der römisch/italienischen Einflüsse auf jenes Gebiet, das zur der heutigen Schweiz wurde, insbesondere im Aargau (Vindonissa, Augusta raurica usw.). Auch das ist noch nicht allzu viel, sprengt in meinem Fall die publizistische Oberflächlichkeit kaum. Ein ausserordentlich aufschlussreiches Werk über „Die Geschichte der Etrusker – die Lösung eines Rätsels“ (Untertitel) von Werner Keller habe ich in meiner Bibliothek gefunden: „Denn sie entzündeten das Licht.“ Das Buch ist 1975 bei Droemer Knaur erschienen und liefert eine Fülle von Einsichten.
 
Populonia
Bei unserer jüngsten Toskana-Reise besuchten wir am 06.09.2010 das Städtchen Populonia oberhalb der Badebucht Baratti (Provinz Livorno) mit ihren Pinienwäldern. Es war in seiner ursprünglichen Version eine etruskische Ansiedlung, was an der grossen Nekropole mit den Grabkammern aus dem 8. bis 1. Jahrhundert v. u. Z. zu erkennen ist. Das diesseitige Populonia war einst ein bedeutendes Eisenverarbeitungszentrum; das Erz wurde auf der nahen Insel Elba abgebaut und mit Schiffen zum Festland gebracht. Ein originell geformtes, durchlöchertes Erzstücklein habe ich im Baratti-Golf gefunden.
 
Jüngeren Datums sind die Befestigungsanlagen mit dem „Torre di Populonia“, der aus dem 15. Jahrhundert stammt und von Jacopo II. Appiani auf einen Fels gebaut wurde, ein wuchtiges, vor allem in die Breite strebendes Bauwerk, das Widerstand signalisiert. Man hat 2 Euro zu bezahlen, wenn man durch schmale Luken und über steile Leitern auf den nicht allzu hohen Turm gelangen will und wird dann für diesen finanziellen Aufwand und die Mühen mit einer prächtigen Rundsicht auf eine Rundziegel-Dachlandschaft, die Hügellandschaft hinter der gerundeten Meeresküste mit Felsen und einem grobkörnigen Sand belohnt.
 
San Galgano
Der tuskanische (etruskische, toskanische) Baustil hat im antiken Land der Etrusker weitergelebt; denn geschichtliche Veränderungen erfolgen nie abrupt, sondern fliessend, Jahrhunderte, ja Jahrtausende alte Schweife hinter sich nachziehend. Doch mit der Zeit überlagern andere Architekturauffassungen das Althergebrachte, wofür die Abtei San Galgano auf dem Gebiet der Gemeinde Chiusdino (in der Nähe von Monticiano, rund 35 km südwestlich von Siena) ein bezeichnendes Beispiel ist. Wir hatten die Anlage über Massa Marittima, Ribolla, Roccatedrighi und Sassofortino sozusagen querfeldein und durch hügelige Waldlandschaften erreicht.
 
Die Abtei San Galgano ist die erste und einzige Neugründung der Zisterzienser in der Toskana, mit der auch erstmals gotische Stilelemente in die Toskana eingeführt wurden. Das Oratorium (Betsaal) wurde nach dem Tod des heilig gesprochenen Galgano 1180 und die runde, gotische Kapelle am Anfang des 14. Jahrhunderts auf dem oben flachen Montesiepi errichtet. Die Fresken im Inneren des Kirchenraums stammen von Ambrogio Lorenzetti (etwa um 1334 geschaffen).
 
Die wegen des fehlenden Dachs nur noch als Ruine erhaltene Abbazia gilt als eines der schönsten Bauwerke der Toskana; jedenfalls ist sie eines der originellsten. Viele Legenden versuchen das fehlende Dach zu begründen – beim Bau sei das Geld ausgegangen oder Napoleon habe das goldene Dach gestohlen; anderweitig wird in diesem Zusammenhang von im Dach verarbeitetem Blei gesprochen, das ein überschuldeter Abt versilbert haben soll. Jedenfalls besteht die hohe Kathedrale im zentralen Teil nur aus 4 Wänden, in denen sich Pflanzen angesiedelt und Vögel eingenistet haben. Sie hat einen schwach begrünten Naturboden, so dass hier also Kultur und Natur eine immer intensivere Symbiose eingehen.
 
Fernand Rausser (84) hatte uns über die schmalen Waldstrassen, immer hart am rechten Rand beim Abhang fahrend, um nicht vom zwar schwachen, aber umso nervöseren Gegenverkehr bedrängt zu werden, zu dieser sensationellen Sehenswürdigkeit geführt. Sie kommt meinem Wunsch nach mehr irdischer Offenheit in der christlichen Religion auf ihre Weise nach. Auf Seite 96 des Buchs „Bäume Träume Lebensräume“ ist eine Aufnahme von einer Wand dieser Ruine San Galgano abgebildet, welche der bekannte Fotograf Rausser vor einem Eingangsportal unter scheibenlosen Spitz- und Rundbogenfenstern komponiert hat (siehe Hinweis am Schluss dieses Tagebuchblatts). Eine mehrere Meter hohe Palme mit unten verdorrten Wedeln markiert das Nebeneinander von Lebendigem, Absterbendem und altem Mauerwerk.
 
Sant’Antimo
Unsere Exkursion im sakralen Bereich setzten wir mit der Weiterfahrt nach Sant’Antimo, 10 km südlich von Montalcino mit seinen berühmten Weinlagen, fort, wo in der freien, wellenförmigen Kulturlandschaft bei Castelnuovo dell’Abbate im Orcia-Tal (www.valdorcia.it) die Bendiktinerabtei Sant’Antimo steht, bildbeherrschend (www.antimo.it). Das war einst eines der wohlhabendsten Klöster der Toskana. Die wie aus runden und eckigen Klötzen aus Travertin zusammengestellte, 813 erstmals erwähnte Anlage mit den nach Osten weisenden Apsiden, dem Kreuzgang, dem römischen Atrium und einer Galerie ist seitlich von einem viereckigen, niedrigen Glockenturm begleitet, neben dem eine fast gleich hohe Säulenzypresse steht, ein Symbol für die Unvergänglichkeit – falls es diese gibt. Der Travertin, ein poröser Kalkstein bzw. Süsswasserkalk, ist mir vertraut, da ich die Böden des Wohnbereichs unseres eigenen Hauses, das auf Jurakalk steht, damit auslegen liess. Kalkstein wirkt nicht hart, sondern warm, übernimmt die Farbe der Erde.
 
Das Innere von Sant’Antimo, das man durch einen etwas zusammengeflickten, dünnen Portikus betritt, mit dem in burgundischer Manier aus Holz geschnitzten, mehrfarbig bemalten Gekreuzigten im Altarraum, dessen Gesicht keine Merkmale von Leiden aufweist – er ist offenbar schon auferstanden –, ist hell, friedlich, geradezu heiter. Dem Ausdruck von Ruhe haben sich auch die Besucher zu unterziehen. Der Altar befindet sich auf einer Kreuzung von 3 unterirdisch verlaufenden Wasseradern, was zu einer Energiekonzentration führt und vielleicht auch das Leiden am Kreuz erträglicher machte ...
 
Die Kirche mit ihren italienischen und französischen Architekturauffassungen hat einen Chorumgang (Deambukaturium), damit die Pilger das Martyrium umkreisen können, unter Kreuzgratgewölben über den Seitenschiffen und radiale Kapellen, eine Seltenheit in Italien. Reich verzierte Alabasterkapitelle stehen in einem strengen Rundbogen da. Der Kirchenname stammt vom heilig gesprochenen Märtyrer Antimo aus dem 4. Jahrhundert, der aus Arezzo und nach anderen Quellen aus der Gegend von Sabina stammte.
 
Suvereto
Eine spätere kleine Besichtigungstour nach Suvereto über dem Corniatal, wenige Kilometer von unserer Unterkunft entfernt, erwähne ich hier nur wegen der romanischen Chiesa di San Giusto am unteren Dorfeingang, die einige kleine mit Alabaster statt Glas gefüllte Fenster besitzt. Besonders schön ist die Fenster-Rosette über dem Vordereingang. Fernand Rausser hatte mich auf diese kaum bekannte Eigenart hingewiesen. Im nordöstlich gelegenen Volterra hinter den Hügeln (Colline) wurde schon vor über 2500 Jahren Alabaster abgebaut, der natürlich auch von Kunsthandwerkern gefragt war.
 
Suvereto hat eine kompakte, steil ansteigende Altstadt mit verzweigten, engen Gassen, wie sie für toskanische Dörfer typisch sind. Zuoberst sind die Reste der Rocca Aldobrandesca, einer mittelalterliche Burganlage des Feudalherrengeschlechts Aldobrandeschi, die unter der Herrschaft der Pisaner im 13. Jahrhundert gebaut wurde. Amüsiert hat mich ein Invalidenlift, der Gehbehinderten über wenige Treppenstufen hinweg hilft und in die ausschliesslich aus 4 Mauern bestehende Burg führt, in einen oben offenen Raum, in dem es neben vermauerten Steinen und dem Ausblick auf einen Himmelsausschnitt wirklich nichts zu sehen gibt. Zudem wird der Mauer-Bedarf in der Toskana ohnehin reichlich gedeckt. Vielleicht ist dieser Hyperkomfort ein Resultat der Zugehörigkeit der Stadt Suvereto zur Bewegung der Cittaslow, welche die urbanen Qualitäten durch eine Aufwertung der autochthonen Erzeugnisse, Gastfreundschaft, Bewusstsein und landschaftliche Qualität im Zeichen einer Entschleunigung aufwerten will, eine ähnliche Bewegung wie Slow Food auf dem landwirtschaftlichen Produktions- und Ernährungsgebiet, die ebenfalls ihren Ursprung in Italien hat.
 
Nach dem Dorfrundgang habe ich mich in aller Ruhe mit dem Moretti-Bier angefreundet, auch wenn dieses aus dem Friaul stammt. Es löschte den Durst auf eine angenehm bitter-weiche Art. Ich hätte das Bier gern aus einer Alabasterschale getrunken. Aber inzwischen hat sich das Glas durchgesetzt.
 
Buchhinweis
Hess, Walter (Text), und Rausser, Fernand (Bilder): „Bäume Träume Lebensräume“ (Ein Beitrag zum Internationalen Jahr der Wälder 2011), Wegwarte Verlag, Bolligen BE 2010. ISBN 978-3-9523235-4-0.
 
Hinweis auf das vorangegangene Blog über Italien
 
Hinweis auf ein Blog über Florenz von Emil Baschnonga
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