Textatelier
BLOG vom: 19.10.2010

Tierexperimente: Ethikprofessor als Feigenblatt für Novartis

Autorin: Lislott Pfaff, Schriftstellerin, Liestal BL/CH
 
Novartis-Boss Daniel Vasella hat den emeritierten Professor für Bioethik an der ETH Zürich, Hans-Peter Schreiber, zum Leiter des Novartis Ethics Advisory Board ernannt, welches „moralische und ethische“ (was ist der Unterschied?) „Fragen zur medizinischen Forschung erörtert“, wie die Novartis-Hauspostille live Mitte Oktober 2010 ausführt. Schreiber ist nicht nur Theologe und war als solcher als Gemeinde- und Studentenpfarrer tätig, sondern auch Mitglied von nationalen und internationalen Ethikkommissionen.
 
Die medizinische Forschung erfülle ein menschliches Grundbedürfnis, sagte der Ethikprofessor in einem Interview mit live. Moral ist heute pluralisiert, und so gibt es unterschiedliche Überzeugungen im Blick auf strittig geworden Fragen." Schreiber erwähnte als Beispiel die Stammzellenforschung an menschlichen Embryonen. „Endet das nun alles im moralischen Relativismus?“ fragte der Theologe. Und gab gleich die Antwort: „Nein.“ Denn in unserer Verfassung bestünden „konsensfähige“ moralische Normen wie beispielsweise die Würde der Person, ihre Freiheit und Selbstbestimmung. An diese Normen müsse sich auch die medizinische Forschung halten. Hier möchte ich die Frage anfügen, ob ein Embryo über ein Freiheits- und Selbstbestimmungsrecht verfügt und sich auf eine moralische Norm berufen kann.
 
Die live-Redaktion stellte dem Ethiker daraufhin die Frage, ob hinsichtlich Tierversuch nicht ein Normenkonflikt bestehe, da in der schweizerische Bundesverfassung auch die Würde der Kreatur als Norm verankert sei. Das sei ein absolut unklarer Rechtsbegriff, befand der Theologe Schreiber, und der Bundesgerichtsentscheid vom Oktober 2009, der ein Versuchsprojekt mit Affen untersagt habe, bringe die gesamte biomedizinische Grundlagenforschung in der Schweiz in Gefahr. Das sagte ein Pfarrer, der offenbar nicht nur von medizinischer Grundlagenforschung keine Ahnung hat, sondern auch äusserst exotische Ansichten zu verfassungsrechtlichen Fragen vertritt. Seine Argumente sind eine getreuliche Wiederholung der Rechtfertigung der Tierversuche, wie sie von der Pharmaindustrie seit Jahrzehnten vorgebracht wird. So führte Thomas Cueni von der Interpharma an einer Podiumsdiskussion im Jahr 2001 aus, dass es in der Schweiz einen „Konsens“ gebe, wonach Tierversuche zulässig seien, sofern sie den Menschen und ihrer Gesundheit hülfen. Mit etwas anderen Worten, aber im gleichen Sinn, sagte Schreiber, beim Gebot an die Forschung, leidensfähige Tiere zu schützen, müsse differenziert werden:  „Tierversuche gelten als ethisch und rechtlich erlaubt, wenn sie durch einen vernünftigen Zweck gerechtfertigt sind.“ Als vernünftigen Zweck nannte Schreiber die Erforschung von Krankheitsursachen in der Hoffnung, neue Behandlungen von bisher nicht therapierbaren Krankheiten zu finden.
 
Entweder ist dieser Ethikprofessor naiv genug, um den ihm von der Pharmalobby eingeflüsterten Argumenten Glauben zu schenken, oder er muss in seiner Funktion als Leiter des Novartis Ethics Advisory Board seinem allmächtigen Arbeitgeber gegenüber ausschliesslich dessen Standpunkt einnehmen. Sollte er aber als Ethiker nicht auch andere Erkenntnisse zu dieser Frage zumindest zur Kenntnis nehmen? Zum Beispiel einen Beitrag in der Schweizerischen Ärztezeitung vom 08.08.2007 über zahlreiche wissenschaftliche Studien, die das „Konzept des unverzichtbaren Tierversuchs massiv in Frage stellen.“ Diese Studien führten zur Schlussfolgerung, dass Tierversuche oft den Ergebnissen klinischer Studien an Patienten widersprechen. Im Schweizerischen Medizinischen Forum 2007wurde eine Studie aus England mit folgendem Fazit besprochen: „Die Diskrepanzen zeigen, dass der Tierversuch nichts oder nur wenig mit der menschlichen Krankheit zu tun hat.“ Der behauptete vernünftige Zweck entpuppt sich demnach als unvernünftig, das gemäss Schreiber „ethisch und rechtlich erlaubte“ Mittel Tierversuch als wissenschaftlich nicht gerechtfertigt.
 
Und selbst wenn grausame Experimente am Tier wissenschaftlich sinnvoll wären und zu wirksamen Therapien in der Humanmedizin führen würden: Wären sie dann moralisch vertretbar? Darf ein Ethiker akzeptieren, dass ein sogenannt vernünftiger Zweck selbst brutalste Mittel heiligt? Mir scheint, der Theologe und Ethiker Schreiber lässt sich blauäugig als Feigenblatt für eine Forschung missbrauchen, die weder wissenschaftlich noch moralisch gerechtfertigt ist. Arme Tiere – armselige Ethik …
 
Die Vorgeschichte
Der Theologe Hans Küng, Präsident der Stiftung Weltethos, hielt am 05.05.2003 die Eröffnungsansprache an der bei Novartis Basel stattfindenden „Weltethos-Ausstellung“. Er sagte, Unternehmen, Institutionen und Staaten könnten ohne die Einhaltung ethischer Prinzipien nicht funktionieren. „Alle grossen Religionen verfügen über elementare ethische Standards“, erklärte Küng und verwies auf moralische Gebote, die für die verschiedensten Kulturen verbindlich seien. „Ethos hat mit dem Funktionieren der Wirtschaft selbst zu tun.“
 
Urs Bärlocher als Leiter Legal and Tax Affairs und Mitglied der Geschäftsleitung von Novartis betonte an jenem Anlass, auch Novartis habe sich ethische Richtlinien gegeben, die weltweit in allen Niederlassungen Gültigkeit hätten. „Als Unternehmen wollen wir uns so verhalten wie ein verantwortungsbewusster Weltbürger in der globalen Gemeinschaft“, unterstrich Bärlocher. Novartis stehe zu diesem Bekenntnis, was untermauert werde durch Global Compact, Good Corporate Governance, Corporate Citizenship Policy, Novartis Pharma Promotional Practices Policy und die Novartis Stiftung für nachhaltige Entwicklung (Präsident: Klaus Leisinger). Bärlocher hob hervor, dass „gesellschaftliche Akzeptanz eine strategische Zielsetzung aller global tätigen Unternehmen ist“, ohne die nicht erfolgreich gewirtschaftet werden könne.
(Quelle: Novartis live 5-2003)
 
Die Novartis-Stiftung für Nachhaltige Entwicklung hat im Oktober 2009 der Uno in NY ihr Manifest „Globales Wirtschaftsethos“ zur Behandlung vorgestellt. Es wurde vom Wirtschaftsethiker Josef Wieland (Konzept: Governance-Ethik) und dem Theologen Hans Küng verfasst und gemeinsam mit dem Präsidenten und CEO der erwähnten Stiftung, Klaus Leisinger, der Uno überreicht. Daniel Vasella gehört zu den Erstunterzeichnern des Manifests. Das sei ein Bekenntnis zum Dialog und zur Zusammenarbeit mit allen Interessengruppen, die vom Handeln von Novartis betroffen seien. „Ein Bekenntnis zu jener unternehmerischen Verantwortung, welche die Vereinten Nationen von den Akteuren einer Globalisierung mit menschlichem Antlitzerwarten.“
 
Leisinger wurde 2005 vom damaligen Uno-Generalsekretär Kofi Annan zum Sonderberater für den Global Compact (GC) ernannt. Er steht ihm heute noch vor. Der GC bezeichnet jene Pfeiler der gesellschaftlichen Verantwortung von 5000 Unternehmen, die gegenüber der Uno festgelegt wurden. Das Manifest ergänzt diese Grundsätze um den Aspekt der Individualethik. Es beruht auf Hans Küngs Erklärung zum Weltethos, die 1993 vom Weltparlament der Religionen in Chicago verabschiedet wurde, d. h. auf dem gemeinsamen Nenner für verantwortungsvolles Handeln und Verhalten.
 
Quelle: „live“ (Novartis-Hauspostille) 12/09-.1/10
 
Zitat
„Die Betriebsamkeit der Lebenswelt wie die Nachstellungen der Wissenschaften haben allein das Ziel, eine Übereinstimmung mit der Wirklichkeit zu erreichen. Was sie vergeblich anstreben, weil durch Vorurteil und Gewalt gehemmt, öffnet sich nur der intuitiven Erkenntnis. In ihr lieben wir uns am stärksten.“
Spinoza: Ethik, Teil V, 32. Lehrsatz.
 
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