Textatelier
BLOG vom: 08.11.2010

Tischlein deck dich. Oder: Die Glaubwürdigkeit der Kirchen

Autorin: Lislott Pfaff, Schriftstellerin, Liestal BL/CH
 
Das Tischlein-deck-dich-Konzept wird seit 11 Jahren von 480 namhaften Unternehmen – darunter Coop, Howeg und die Ernst Göhner Stiftung – unterstützt. Der Grundsatz des Konzepts besteht darin, sogenannten Armutsbetroffenen Lebensmittel zu überlassen, die kurz vor dem Verfalldatum stehen, deren Verpackung beschädigt ist oder die aus Überproduktionen stammen. Tischlein deck dich organisiert das Einsammeln, das eventuelle Zwischenlagern und den Transport der Produkte an die 70 Abgabestellen in der Schweiz. Diese versorgen pro Woche 9500 Bedürftige mit Lebensmitteln.
 
Beim ökumenischen Projekt „Tischlein deck dich“, der Abgabestelle in Liestal, sind die katholische und die reformierte Kirche die Trägerschaft des Konzepts. Einmal pro Woche können in einem der Kirchgemeindehäuser gegen Bezugskarten einwandfreie Lebensmittel für den symbolischen Preis von einem Franken abgeholt werden. Laut einem Bezüger reichen zwar die wöchentlichen Rationen nur für 2–3 Tage, und im abgegebenen Sortiment sei zu wenig Fleisch enthalten.
 
Die beiden Leiterinnen dieses Projekts sind sicher, dass die Kirchen nur an Glaubwürdigkeit gewinnen können, wenn sie die christliche Botschaft durch soziales Handeln in die Praxis umsetzen. Neben der Nächstenliebe sei es das Ziel, positive Schlagzeilen für die Kirche zu erzeugen. Die Kirche als Institution könne nur dann überleben, wenn sie als zivile Akteurin in der Gesellschaft mitspiele.
 
Quelle: Diese Angaben sind eine Zusammenfassung eines Berichts aus der Mittelland-Zeitung vom 04.05.2010.
 
Mein Kommentar:
Bei diesem Liestaler Projekt fungieren also die Kirchen als Abgabestelle von Lebensmitteln, die sie gratis erhalten und die sonst weggeworfen würden. Mit dieser Tätigkeit treffen die Kirchen 2 Fliegen auf einen Schlag: Einerseits tragen sie dazu bei, wertvolle Produkte vor der Vernichtung zu retten und damit Menschen zu unterstützen, die nahe am oder unter dem Existenzminimum leben ‒ an sich eine lobenswerte Sache. Andererseits und vor allem wollen die Kirchen von Liestal laut Aussagen von deren Vertreterinnen mit diesem Projekt die „christliche Botschaft“ unters Volk bringen, indem sie eine aktive Rolle in der Gesellschaft spielen. Dabei hoffen sie auf „ positive Schlagzeilen“ zu Gunsten der Kirchen, deren „Glaubwürdigkeit“ sich dadurch erhöhen werde. Offenbar haben es die christlichen Kirchen bitter nötig, ihre Glaubwürdigkeit aufzufrischen. Ob dieses Ziel zu erreichen ist, indem Nächstenliebe mit Schlagzeilen in den Medien verbunden wird, kann man sich fragen.
 
Die Bezüger der Lebensmittel ihrerseits nützen die Situation bzw. die egoistischen Zielsetzungen der Kirchen aus, indem sie bei der Lebensmittel-Verteilung die zu kleinen Rationen kritisieren und mehr Fleisch im Sortiment verlangen. Schliesslich werden die Working Poor, die Ausgesteuerten und weitere Opfer unseres neoliberalen Systems mittels dieses sozialen Konzepts davon abgehalten, gegen die Reichen und Superreichen unserer Überflussgesellschaft zu rebellieren. Soweit das Fazit der sozialen Realität in unserem Land.
 
Hinweis auf ein weiteres Blog zur Working-Poor-Thematik
19.03.2005: Working Poor: Von Konzert und Theater nicht zu reden
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