Textatelier
BLOG vom: 25.07.2011

Botanisches (2): Pflanzengallen durch Milben und Wespen

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Während meiner Wanderung zur Erlenbacherhütte am 06.07.2011 entdeckte ich auf dem Rückweg zum Parkplatz Pflanzengallen (Cecidien), zunächst solche auf Buchenblättern und dann auf Ahornblättern. Die grösseren Gallen auf den Buchenblättern, die ich schon von früheren Exkursionen her kannte, werden durch die Buchenblattgallmücke verursacht. Die auf den Ahornblättern befindlichen kleinen, rötlichen und kugelrunden Gebilde, die ich zum ersten Mal sah, werden durch Milben verursacht. Auf einem Segment des Blattes befanden sich 90 Kügelchen; an den anderen Segmenten waren weniger zu sehen. Insgesamt dürften auf einem Ahornblatt über 200 Kügelchen angesiedelt gewesen sein. Ich zählte die Pflanzengallen nicht an Ort und Stelle, sondern auf einem Foto. Die Wanderkollegen hätten sich wegen der Trödelei sicherlich beschwert. Digitalfotos sind ja schnell gemacht.
 
Zum Glück liegt mir ein Text vor, den ich 1982 für die Zeitschrift „Chrüteregge“ verfasst hatte. Hier sind aktualisierte Auszüge aus der Publikation über die Pflanzengallen:
 
Seltsame Formen von Pflanzengallen
Wenn wir aufmerksam Blätter, Stängel, Knospen usw. in Augenschein nehmen, können wir zuweilen sonderbare Gebilde entdecken. Neben den schon erwähnten Formen gibt es auch schwammige, moosähnliche (an Heckenrosensträuchern), kegelhutartige oder wulstig aufgetriebene Blasen oder knospenähnliche Gebilde. Diese merkwürdigen Erscheinungen haben schon seit alters her den Namen „Gallen“.
 
Der Bologneser Arzt Marcello Malpighi (1628−1694) war übrigens der Begründer der Gallenkunde (Cecidologie). In seinem Werk „Anatome Plantarum idea“ beschrieb er 60 verschiedene Gallformen und kam zu dem Schluss, dass Insekten diese verursachen.
 
Die Wissenschaft der Pflanzengallen hat bis heute erhebliche Fortschritte gemacht. 15 000 pflanzliche Anomalien sind bekannt, welche die Kriterien für eine Galle erfüllen.
 
Früher wurden die Galläpfel an Eichen zur Herstellung von Eisengallustinte gebraucht. Die Galläpfel waren auch Gerbstofflieferant in der Gerberei. Warum gerade auf Eichen die Gallen gehäuft vorkommen, ist noch nicht näher erforscht.
 
Was sind Gallen?
Die Gallen werden durch fremde Organismen wie Viren, Bakterien, Pilze, Algen, Fadenwürmer, Milben und Insekten verursacht. Die Gallen bilden sich nach dem Eindringen der „Erreger“ (Gallerreger) oder bei der Eiablage bestimmter Insekten infolge einer Wachstumsreaktion der Pflanze. Diese Reaktion ist örtlich und zeitlich begrenzt. Die „Erreger“, bei denen es sich meistens um echte Parasiten handelt, finden sehr gute Bedingungen in der Galle vor (Temperatur, Feuchte, Nahrung) und sind geschützt vor natürlichen Feinden. Besonders „spitzbübische“ Wespen, die eine Gallbildung auslösen können, legen ihre Eier in bereits gebildete Gallen, worin sich die Larven prächtig entwickeln.
 
Wie kommt es zur Gallbildung? Sobald bestimmte Bedingungen wie Licht, Temperatur und Feuchte erfüllt sind, schreitet der „Erreger“ zur Tat, sticht die Pflanzenzellen an und legt ein Ei ab. Dabei wird ein Speicheldrüsensekret abgesondert, das die Pflanzenzellen zum Streckungs- und Teilungswachstum anregt. Überraschenderweise finden wir in den Absonderungen Pflanzenhormone wie Auxine (= Streckungshormone) und Cytokine (= Teilungshormone). Es gibt jedoch Gallerreger, die keine Hormone absondern, sondern andere Stoffe, die in der Lage sind, pflanzliche Zellwände und Mittellamellen aufzulösen.
 
Auf „Gallenjagd“
Vor Jahren unternahm ich mit meiner damals vielleicht 8-jährigen Tochter verschiedene Exkursionen. Ich hatte mir das Ziel gesetzt, einige interessante Gallen aufzustöbern und meiner wissbegierigen Tochter zu zeigen. Zunächst entdeckten wir Gangminen der Minierraupe Phytomyza ilicis an Buchenblättern. Diese sind Vorläufer der Insektengallen. Auf demselben Buchenbaum erblickten wir auf vielen Blättern Spitzhütchen und knospenähnliche Gebilde. Ich erklärte meiner Tochter, dass der Verursacher dieser Auswüchse die Buchenblattgallmücke sei. Sie hörte nur oberflächlich zu, sie wollte aber unbedingt wissen, was so eine Galle enthält. Ich machte durch die harte Galle mit einem Messer einen Querschnitt. Und was sahen wir? Eine einzige weisse Larve, die infolge der Ruhestörung aufschreckte und herumzukrabbeln begann. Das Töchterchen war hellauf begeistert und wollte natürlich mehr wissen. Ungläubiges Erstaunen folgte, als ich ihr sagte, aus dieser Larve werde eines Tages eine Mücke schlüpfen.
 
Auf einer anderen Exkursion entdeckte ich an einem Heckenrosenstrauch Überreste der Rosen- oder Schlafäpfel (Verursacher: Gemeine Rosengallwespe). Der Name Schlafapfel rührt wohl von einer früheren Sitte her: Litt man zu jener Zeit unter Schlaflosigkeit, legte man solche Gebilde unter das Kopfkissen.
 
In der Nähe dieses Strauchs entdeckte ich an einem jungen Eichenbaum zahlreiche schwammige Gebilde. Ich schlug mein Bestimmungsbuch auf und las, dass es sich um die Eichenschwammgalle handle und der Verursacher die Eichenschwammgallwespe Biorhiza pallida sei. Auch hier kannten der Wissensdurst und die Neugierde meiner Tochter (und des Papas) keine Grenzen. Wir wollten das Innere eines solchen Schwammes kennenlernen. Vorsichtig brach ich ein Schwämmchen ab und öffnete es. Im „Gehäuse“ fanden wir zahlreiche Kammern. In einer befand sich eine weisse Larve und in den anderen ausschlüpfende Wespen. Etwas benommen entfalteten diese sofort die Flügel und krabbelten umher.
 
Lebenszyklus einer Gallwespe
Hochinteressant ist der Lebenszyklus einer solchen Eichenschwammgallwespe. An den Wurzeln der Eichen bilden sich kugelige bis erbsengrosse Gallen, aus denen im Dezember bis Anfang Januar die flügellosen Weibchen ausschlüpfen (eingeschlechtliche Generation). Diese kriechen am Stamm entlang, legen die unbefruchteten Eier in den Knospen ab und regen diese zur Gallbildung an. Im Juli schlüpfen eine grosse Zahl Männchen und Weibchen aus (zweigeschlechtliche Generation). Die Männchen fliegen umher und befruchten die Weibchen. Bei den Weibchen finden wir langflügelige, nicht mehr flugfähige, kurzflügelige Tiere. Die befruchteten Tiere verschwinden wieder in der Erde, suchen die Wurzeln auf und legen ihre Eier ab. Aus diesen schlüpfen frühestens im Dezember des folgenden Jahres wieder Weibchen (Generationswechseldauer: 2 Jahre).
 
Gallen verursachen auch Schäden
Wie ich beobachten konnte, bilden sich die meisten Gallen im Frühjahr, also bei Beginn der Vegetationsperiode. Besonders viele Gallen finden wir an den Laubbäumen, etwas weniger an Nadelbäumen (hier ist vor allem die Ananasgalle zu nennen, die man häufig an Fichtentrieben sieht) und noch seltener an Heide-, Moor- und Wasserpflanzen.
 
Gallen sind auch auf Kulturpflanzen anzutreffen und verursachen grosse Schäden. So sind z. B. Fadenwürmer für Getreidekümmerwuchs und Rostpilze für den Getreiderost verantwortlich. Andere „Erreger“ verursachen Wurzelknoten (Gurke, Tomate, Rübe und Raps), Kartoffelkrebs, Blattrollung, Zwergwuchs, Blatt- und Wurzelgallen (Reblaus).
 
Nur wenige Gallen bringen den Pflanzen Nutzen. Sehr bedeutungsvoll ist die Knöllchensymbiose der Schmetterlingsblütler. Die Knöllchen werden durch Bakterien verursacht. Die Knöllchen sind befähigt, Stickstoff zu binden. Dieser kommt der Pflanze zugute. Die Knöllchen erhalten dafür von der Pflanze Zucker.
 
Wie Rolf Beiderbeck in seinem Buch „Pflanzengallen am Wegesrand“ berichtete, werden mittels der Knöllchen pro Hektar und Jahr 80 bis 90 kg Stickstoff gebunden. Das ist etwa die Hälfte von dem, was ein Landwirt früher bei optimaler Düngung auf seine Felder streute.
 
Was macht die Ahorn-Gallmilbe?
Wie schon eingangs erwähnt, entdeckte ich zahlreiche etwa 1 mm grosse Gallen auf den Blättern eines jungen Ahorngewächses. Es handelte sich um ein vielleicht 2 Meter hohes Bäumchen am Wegesrand. Die Gallmilbe legt an der Blattunterseite ab. Durch die anschliessende Saugtätigkeit der Milben entstehen die kugeligen Gallen auf der Blattoberseite.
 
Internet
 
Literatur
Beiderbeck, Rolf; Koevoet, Ingo:: „Pflanzengallen am Wegesrand – Entstehung und Bestimmung“, Kosmos Verlag, Stuttgart 1979.
Bellmann, Heiko: „Geheimnisvolle Pflanzengallen“, Verlag Quelle & Meyer (noch nicht im Handel, Auslieferung im Dezember 2011).
Scholz, Heinz: „Erlebte Natur: Pflanzengallen“, „Chrüteregge“ ,1982.
Scholz, Heinz: „Unbekanntes aus dem Pflanzenreich: Interessantes über Pflanzengallen“, „Naturheilpraxis“, 1983-08.
 
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