Textatelier
BLOG vom: 31.08.2011

Überholte Hetzjagd: Wie die Jäger ihre Tierliebe ausleben ...

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
„Jäger sind Menschen, denen niemand ausreden kann, dass es für einen Rehbock kein grösseres Vergnügen gibt, als von einer Kugel getroffen zu werden.“
Brigitte Bardot
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Wenn es eine rein uneigennützige, ausschliesslich auf das öffentliche Wohl ausgerichtete, tier- und naturfreundliche Menschengattung gibt, die uns zudem vor der Zerstörungswut der Wildtiere verschont, dann sind es die Jäger. Allein der Gedanke an ihre Wohltaten verleitet einen annähernd dazu, einige Freudenschüsse abzufeuern, hätte man die dafür notwendige Ausrüstung zur Hand.
 
Ich schreibe diese Empfindungen spontan nieder, nachdem ich die Botschaft des Regierungsrates des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 04.05.2011 zur Neuauflage der „Volksinitiative ohne tierquälerisches Treiben“ noch einmal gelesen habe. Die Initiative war am 13.10.2010 mit 3341 gültigen Unterschriften bei der Staatskanzlei in Aarau eingereicht worden. Sie genügt den Formvorschriften und musste deshalb wohl oder übel als gültig erklärt werden.
 
Die Initiative verlangt in der Form einer allgemeinen Anregung, dass die Treibjagd durch Hunde, Menschen oder Hilfsmittel aller Art verboten wird. Der Grosse Rat das Kantons Aargau lehnte diese Jagdinitiative am 23.08.2011 mit 121 zu 4 Stimmen ab. Mehrere Grossräte haben in der Debatte den politischen Vorstoss mit dem Hinweis kleinzureden versucht, man wolle doch keine Tiere quälen (man nimmt das einfach hin). Ausserdem sei die Jagd gerade erst gesetzlich geregelt worden (ganz im Sinne der Jäger zwar). Gegner des Verbots meinen, ohne Treibjagd könne man nicht genügend Tiere schiessen, was allerdings nicht eben für das Talent der Aargauer Jäger sprechen würde. Die Befürworter des Treibjagdverbotes ihrerseits sagten, bei der Gestaltung des neuen Aargauer Jagdgesetzes seien die Tierschützer nicht angehört worden.
 
Damit kommt die Initiative zur Volksabstimmung, die am 27.11.2011 vorgesehen ist. Ihre Ablehnung ist programmiert.
 
Bewegungsjagden
Bei den Treib- und Drückjagden, auch mit dem Euphemismus „Bewegungsjagden“ geehrt, werden die Wildtiere durch Jagdgehilfen (Treiberinnen und Treiber) und abgerichtete Hunde, welche der Duftfährte des Wilds folgen, aus ihren Verstecken (Einständen) gedrängt. Die Wildtiere nehmen die Hunde und die Treiberinnen und Treiber bereits auf Distanz wahr und ziehen auf den gewohnten Wegen, die man Wechsel nennt, in umliegende Einstände. Die Jägerinnen und Jäger kennen den Verlauf dieser Wechsel und können das aufgeschreckte Wild problemlos abschiessen (erlegen). Der Regierungsrat, der die Jäger im bewährten Stil sekundiert (wer möchte sich mit ihnen anlegen?!), spielt die damit verbundene Hetzjagd herunter: „Da die Wildtiere nur auf Distanz und nicht dauerhaft oder in direktem Sichtkontakt (bis zur Erschöpfung) verfolgt werden, handelt es sich bei dieser Jagdmethode nicht um eine Hetzjagd.“ Damit entfremdet er sich sogar vor dem ehrenwerten „Duden“, der unter „hetzen“ etwas „vor sich hertreiben“ versteht.
 
Bei der identischen Initiative vom 20.10.2004, die am 27.11.2005 in der Volksabstimmung mit 63,9 % Nein verworfen worden war, hatte der Regierungsrat ebenfalls angefügt, Hetzjagden gebe es nur in anderen Ländern: Auf diesen Hetzjagden wird das Wild von grösseren Hunden bis zur Erschöpfung verfolgt und dann getötet.“ Es spielt sich somit von A bis Z wieder dasselbe Ritual ab. Auch der Regierungsrat bringt mit den wiederholten Argumenten keine frische Bewegung ins politische Jagdritual: „Bei den Bewegungsjagden handelt es sich somit um eine zweckmässige Jagdmethode zur Regulierung der Reh- Fuchs- und Wildschweinbestände. Sie verfolgt das Ziel, mit vertretbarem Aufwand den vorgegebenen Abschluss gemeinschaftlich zu erreichen“ – bei solch einer Lektüre, die einem Heimatroman von Ludwig Ganghofer (1855‒1920) alle Ehre machen würden, lassen sich Tränen der Rührung nur schwer unterdrücken. Die Jäger sollen sich nicht allzu sehr anstrengen müssen.
 
Auch Ganghofer kannte sich in Jagdfragen aus, bewohnte er doch zeitweise sein Jagdhaus „Hubertus“ bei Leutisch im Tirol, in dessen Nähe er mit einigen Mitpächtern ein Jagdrevier von über 20 000 Hektar (im Gaistal) gepachtet hatte. Auch er verkündete eine heile Welt, wenn er statt zum Abzugshahn in die Tasten griff. Dabei liegt vieles an der Sprache. Etwa 2500 der 5000 erlegten (und nicht etwa erschossenen) Rehe finden im Aargau bei „Bewegungsjagden“ (ist jemand gegen Bewegung?) den Tod (eigene schöne Formulierung: sie haben den Tod gesucht und gefunden), und dieser Jagdart sagt man auch „Herbstjagd“, weil sie im November und Dezember stattfindet. Man könnte auch von „Fitnessjagd“ sprechen; denn sicher ist das letzte Dauerlauftraining auch für Wildtiere gesund.
 
Die unermüdlichen Regulierer
Doch die ehrenwerten Jäger dürfen es bei ihrem ehrenamtlichen Tun im Interesse der Entlastung der Öffentlichen Hand und der Allgemeinheit, die ohne Wildbestandsregulierung keine Überlebenschance hätte und wahrscheinlich von Wildschweinen, Luchsen, Rehen und Gemsen restlos aufgefressen würde, schon etwas gemütlicher haben. Wiederum entnehme ich mein Wissen der regierungsrätlichen Botschaft, die viel Herz fürs Wild zeigt: „Ein Verbot der Bewegungsjagden würde dazu führen, dass die Wildbestände ausschliesslich auf der Einzeljagd (Ansitz oder Pirsch) reguliert werden müssten. Das wäre zum einen in Jagdrevieren mit grossflächigen und schlecht begehbaren Waldgebieten kaum möglich. Die Wildtiere könnten in ihren Einständen nur schwer aufgespürt und in dichter Vegetation nur mit grossen Sicherheitsrisiken erlegt werden. Zum andern würde die Intensivierung der Einzeljagd – auch während der Hauptsetz- und Brutzeit – zwangsläufig zu einer grösseren Beunruhigung des Wilds führen. Die Wildtiere wären noch stärker in der Dämmerung und in der Nacht aktiv, was die Jagd zusätzlich erschweren würde. Die freie Wahl der geeigneten Jagdmethode dient somit auch der Schonung der Wildtiere.“
 
Man spürt aus jedem einzelnen Buchstaben heraus, dass dem Wild nur das Allerbeste gewünscht wird, und den Umstand, dass auch die Autofahrer die Jäger beim Wildtiermanagement tatkräftig unterstützen (im Aargau verunglücken pro Jahr rund 1000 Rehe auf Strassen), mochte man nicht einmal erwähnen, zu herzzerreissend ist das; und auch bei Unfällen sind die Jäger wieder als Erlöser mit Gnadenschüssen im Einsatz.
 
Seit 2010 sind im Aargau auch Gemsen und Kormorane jagdbar, und dass angesichts der Belastungen der Jäger allein zwischen August und Dezember 2010 knapp 50 Gemsen aufgespürt und liebevoll abgeschossen werden konnten, grenzt schon fast ans Wunderbare. In der im Übrigen gut gemachten Zeitschrift „Umwelt Aargau“ (2011-05), die von der Kantonsverwaltung herausgegeben wird, wurde der Gemsenabschuss von Dominik Thiel (Abteilung Wald) wie folgt gerechtfertigt: „Bei der Gämse geht es darum, eine Übernutzung der Bestände zu verhindern und gleichzeitig den Wald vor übermässigen Schäden zu bewahren.“ Weil ich manchmal etwas schwer von Begriff bin, habe ich das von der Verhinderung der Übernutzung der Bestände nicht so ganz kapiert. Möglicherweise will man die Bestände ganz klein halten, damit sich eine Übernutzung schon gar nicht einstellen kann. Man weiss ja nie.
 
Der Luchs als Lehrmeister
Auch ein paar wenige zugewanderte Luchse, die lange ausgerottet waren, weil sie von den Jägern als Konkurrenz empfunden wurden, beteiligen sich wieder an der Regulation von Rehen und Gemsen. Dabei müssen sich allerdings vorsichtig sein, wenn sich nicht in die Fänge des Aargauer Luchskonzepts geraten wollen. Essen sie mehr als 1 Wildtier, das heisst, fallen sie als unverbesserliche Wiederholungstäter auf und vergreifen sie sich gar ausnahmsweise einmal an einem Schaf, dürfen sie abgeknallt werden. Mit anderen Worten: Nur wenn die in einen dauerhaften Hungerstreik treten, dürfen sie (ähnlich der Wölfe in den Alpen) überleben.
 
Dabei wäre es gerade der Luchs, der die Jäger lehren könnte, dass man auch auf andere Weise denn mit Treibjagden das Jagdglück finden könnte; von solchen hält der Luchs nämlich überhaupt nichts. Bei seinen Jagden während der Abenddämmerung oder in der Nacht bedient sich der Luchs der Kunst der Überraschung. Die Webseite „Wildtier Schweiz“ http://www.wild.uzh.ch/lynx/d/d_bi.htm berichtet so darüber: „Mit Hilfe seiner scharfen Augen und seiner hellhörigen Ohren ortet er seine Beute und pirscht sich an sie heran. Sein geflecktes Fell hilft ihm, nicht erkannt zu werden. Im Überraschungsangriff packt er die ausgewählte Beute mit seinen scharfen Krallen, hält sie fest und tötet sie mit einem gezielten Biss in die Kehle. Oft ist das Reh / die Gämse derartig überrascht, das es gar nicht die Gelegenheit bekommt, sich zu wehren. Hat dieser Angriff keinen Erfolg, so lässt der Luchs von seiner Beute ab und verfolgt sie nicht mehr, wie es hundeartige Raubtiere tun. Wegen seiner speziellen Jagdtechnik benötigt der Luchs ein grosses Revier. Denn mit jedem Überraschungsangriff werden seine Opfer vorsichtiger und die erfolgreiche Jagd wird immer schwieriger. Dies versucht er zu umgehen, indem er in Gebiete weiterzieht, in denen er länger nicht gejagt hat. Zwischen zwei Rissen lässt der Luchs meist mehrere Tage vergehen.“
 
Unseren Jägern stehen zwar Feldstecher und Hörgeräte zur Verfügung, doch im Vergleich zum Luchs sind ihre Jagdtechniken noch immer stümperhaft. Vielleicht ist es ein wenig der Neid der Besitzlosen, dass man den Meisterjäger Luchs weghaben will. Währenddem die Jagd, wenn man ehrlich ist, mit ihrem Brimborium doch zu einem Freizeitvergnügen verkommen ist (Jäger hätten aller Wahrscheinlichkeit auch ohne Wild genügend Nahrung), ist der Luchs halt auf etwas Frischfleisch angewiesen. Man müsste ihn fördern – auch angesichts seiner besonders geschickten Auswahl der Beutetiere.
 
Der erste bekannte, in den Aargau eingewanderte Luchs wurde Mitte März 2009 in der Region Aargau von einer Fotofalle erfasst; zudem gibt es mündliche Überlieferungen von Luchs-Beobachtungen. Gönnen ihm die Menschen etwas von dem ihnen im Überfluss zur Verfügung stehenden Fleisch – ein Vegetarier wird er nie –, könnte er das Hetzjagdproblem besonders elegant lösen. Und der verdienstvolle, ebenfalls ehrenamtlich tätige Jagdkritiker Peter Suter aus Kölliken AG, Präsident des Vereins zum Schutze der bedrohten Wildtiere, welche auch die Unterschriften für die 2. Treibjagd-Initiative zusammenbrachte, müsste sich nicht mehr mit erbosten Jägern und überholten, dilettantischen Jagdmethoden und deren Schönredner herumärgern.
 
Die 3. Initiative, ein Propagandafeldzug
Suter hält zusammen mit seinen Tierschützern die Diskussionen über die Jagd und die Ehrfurcht vor dem Leben im Gang, was so lange nötig ist, als das Verständnis für die Lebensart des Wilds und der Respekt vor diesem fehlen. Dessen Interessen und Wohlergehen müsste mindestens so sehr berücksichtigt werden wie jenes der Jäger bei deren Jagd nach Erholung auf freier Wildbahn.
 
Weil Suter immer wieder mit Initiativen die Diskussion über Sinn und Unsinn der Jagd aufrecht erhält, wird ihm „Zwängerei“ vorgeworfen. Im Jahr 2002 hat er sich mit einer Initiative für ein Verbot der Jagd auf Feldhasen und Blässhühner eingesetzt, das angesichts des ökologischen Zustands unserer Landschaft und der Fauna (viele junge Feldhasen fallen den Landmaschinen zum Opfer) eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein müsste; laut einer amtlichen Mitteilung in „Umwelt Aargau“ 2011-02 hat sich der Feldhasenbestand in 10 Jahren halbiert. Doch das jagdliche und mediale Trommelfeuer brachten zustande, dass diese Initiative mit einem Nein-Anteil von 57,5 Prozent abgelehnt wurde. Die nächste Initiative des Vereins zum Schutze der bedrohten Wildtiere folgte 2005. Sie verlangte eine „Jagd ohne tierquälerisches Treiben“ und wurde mit knapp 64 Prozent Nein-Stimmen verworfen. Die Tierschützer gaben nicht auf und wiederbelebten diese demokratisch erlegte und erledigte Initiative als Neuauflage, wohl aus der Hoffnung heraus, dass nur durch Wiederholungen, wie sie bei jeder Werbestrategie gang und gäbe sowie akzeptiert sind, die jagdlichen Unzulänglichkeiten einem wachsenden Anteil der Bevölkerung ins Bewusstsein gebracht werden können.
 
Der kleine Verein von Tierschützern und Gegnern jagdlicher Auswüchse kommt natürlich gegen die Jäger und den mit ihnen verbündeten medialen Eintopf nicht an. Kein Journalist, dem seine Anstellung etwas bedeutet, kann es sich leisten, sich mit der mächtigen Jagdlobby anzulegen und das Weidwerk als das bezeichnen, was es ist: ein ethischer Anachronismus. Zwar würde der Schreiberling nicht mit einer Jagdflinte zur Strecke gebracht, er müsste sich aber doch auf bedrohliche Reaktionen gefasst machen. Dabei wäre es dringend nötig, das Jagdtreiben im Lichte des aktuellen, ausgeräumten Umfelds zu hinterfragen, statt sich hinter überholten Traditionen zu verschanzen. Ich wünsche mir naturverbundene Jäger, die das ebenfalls tun. Dann würde aus Jagdschutzvereinen (die also die Jagd als Institution schützen) Wildschutzvereine, die ein Herz für die bedrängten Wildtiere haben.
 
 
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