Textatelier
BLOG vom: 22.10.2011

Wirtshauserlebnisse: Tischsitten, Schnellesser, Kässpätzle

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
„Am Sonntag bleibt die Küche kalt, wir gehen in den Wienerwald.“ Dieser Werbeslogan war früher überall zu lesen und zu hören, dann war es eines Tages vorbei mit der Hähnchenkette „Wienerwald“. 1982 musste der „Hendl-König“ Friedrich Jahn (1923−1998) einen Vergleich anmelden, und nach der Geflügelpest 2003 wurde ein Insolvenzverfahren eingeleitet. Wir waren auch manchmal Gast in so einer Hähnchenbude. Die Hähnchen vom Grill schmeckten übrigens hervorragend. Vor einigen Jahren wurde ein Comeback mit neuem Konzept gewagt.
 
Heute gehen wir meistens an den Sonntagen in eine Gaststätte in Schopfheim D, im Wiesental oder im Markgräflerland. „Für mich ist dann der Sonntag wie Urlaub“, tönt es immer wieder von meiner Frau Paula. Wir freuen uns jeweils auf die genussreichen Speisen, die unsere Gaumen kitzeln. Auch sind wir immer für Neues aus der Küche zu haben. Unsere Altvorderen lebten ja nach dem Spruch „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.“ Das habe ich bei meinen Verwandten so erlebt. Da assen meine Grosseltern, Eltern und Schwiegereltern jahrzehntelang oft dieselben Gerichte. Als Kinder mussten wir alles verputzen, auch wenn es uns nicht schmeckte. Zum Glück hatten wir einen Hund, dem ich dann heimlich immer etwas unter dem Tisch zusteckte. Meist war es ein Happen von zähem oder fettem Fleisch. Der Hund wurde kugelrund, und ich blieb schlank.
 
Ich freute mich jedes Mal, wenn wir bei einer Tante zu Gast waren und dann etwas anderes vorgesetzt bekamen. Das Sprichwort „Aus anderen Schüsseln schmeckt es immer besser“ traf hier voll und ganz zu.
 
In den Gaststätten lasse ich ab und zu den Blick schweifen, um Gäste zu beobachten. Da gibt es solche, die nicht gerade gute Tischsitten haben, aber die meisten Gäste benehmen sich. Obwohl die Esser am Sonntag alle Zeit der Welt haben, warten sie ungeduldig auf das Essen, machen ab und zu eine despektierliche Bemerkung zur Bedienung, die wegen des Andrangs viel zu tun hat. Wenn die Mahlzeit serviert war, stürzen sich die Esser mit Elan auf die Speisen und schaufeln diese gierig in sich hinein.
 
Als wir am 16.10.2011 im Schopfheimer „Adler“ genussvoll speisten, sah ich Teilnehmer einer Schweizer Familie (Mutter mit Sohn und Schwiegertochter), die wohl nach der Devise, die bei der Vereinigung „Slow Food“ (engl. Slow = langsam; food = Essen; Ausdruck für genussvolles, bewusstes und regionales Essen) üblich ist, speiste. Da wurde alles mit Bedacht und in Ruhe gegessen. Diese Essenszelebrierung bot ein beruhigendes Bild.
 
Aber es kann auch anders zugehen: Während meiner Arbeitszeit bei Novartis in Wehr war ein Mitarbeiter als Schnellesser bekannt. Innerhalb von vielleicht 10 Minuten schaufelte er die Suppe, das Hauptgericht und eventuell einen Nachtisch in sich hinein. Dann war Schluss mit lustig. Er rülpste und stöhnte und meinte, er müsse sofort einen Verdauungsspaziergang machen. Das tat er dann auch immer.
 
Ein Wanderfreund, der sich manchmal nicht entscheiden kann, was er bestellen soll, isst dann das betreffende Gericht auch sehr schnell. Er ist der Ansicht, wenn er langsam esse, dann werde er früher satt und müsse die Reste zurückgeben.
 
Johann Wolfgang Goethe brachte es auf den Punkt. In seiner Schrift „Gewohnt, getan“ schrieb er: „Die Jugend verschlingt nur, dann sauset sie fort. Ich liebe, zu tafeln am lustigen Ort, ich kost und ich schmecke beim Essen.“
 
Ich bin überzeugt, dass die Schnellesser die Genüsse gar nicht richtig wahrnehmen. Persönlich mag ich Gaststätten, in denen es ruhig zugeht. Leider ist es so, dass in einigen Wirtschaften laute Musik abgespielt wird oder ein hoher Geräuschpegel für eine Schallberieselung sorgt. Solche Gaststätten eignen sich nur für Schwerhörige. Da hat dann wohl auch ein „Slow-Food-Fan“ seine Schwierigkeit, das Essen bedächtig einzunehmen.
 
Und hier noch einige Geschichten aus vergangner Zeit aus meiner Anekdotensammlung:
 
Die besten Kässpätzle
In seiner Wirtschaft zum „Stiefel“ in Wangen D bereitete der Most- und Weinwirt Alois Riedesser die besten Kässpätzle weit und breit zu. Hier trafen sich die Kässpätzle-Liebhaber aus der näheren und weiteren Umgebung. Ein Wangener kam auf den Geschmack und verlangte eines Tages von seiner Frau, sie solle doch ein- bis zweimal in der Woche Kässpätzle machen. Die Frau erfüllte den Wunsch, sie bekam jedoch einen gehörigen Dämpfer von ihrem Mann, der behauptete, die Spätzle von Riedesser seien unübertroffen. Da besann sich die Gemahlin auf eine List. Sie liess bei ihrem Nachbarn, dem besagten Riedesser, Kässpätzle machen und setzte sie dem hungrigen Gatten vor. Aber auch diesmal meinte er, die Riedesserschen Käsespatzen würden besser schmecken. Nun rückte die Frau mit der niederschmetternden Wahrheit heraus, und der Mann musste sich geschlagen geben.
 
Tür-Anschreiben
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte sich eine Unsitte besonderer Art in Wangener Wirtshäusern eingebürgert. Durstige Gesellen, die im Wirtshaus dem Biergenuss frönten und die Zeche nicht bezahlen wollten oder konnten, liessen anschreiben (das heisst, ihre Schulden wurden aufgeschrieben). Als „Tafel“ musste die Wirtshaustür herhalten. Jeder Gast konnte nun sehen, wie viel Liter Bier er selbst und andere täglich konsumiert hatten. Name und Menge wurden erst nach Bezahlung der Zeche gelöscht. Am 30. März 1832 erklärten die Bierbrauer und Wirte, dass sie ab sofort nur noch Bier gegen Barzahlung ausgeben würden. Es gab jedoch bald Abweichler, die wieder zur alten Regelung zurückkehrten. So blieb das Ankreiden noch lange Zeit erhalten.
 
Humorvoller Musikus
Peter Paul Munding, Musikus aus Gebrazhofen, war zwar ein tüchtiger Musiker, hatte jedoch nie Geld, dafür aber viel Humor, Witz, übermütige Lebensfreude und Schläue. In sämtlichen Wirtshäusern war sein Name und eine entsprechende Anzahl von Kreidestrichen an den Türen zu finden. Er war das berühmteste Allgäuer Original. Etliche Anekdoten sind überliefert. Hier eine kleine Auswahl:
 
Als ein Gläubiger in seiner Wohnung auftauchte, meinte Mundig: „A Gläubiger? An was glaubst denn?“ ‒ „I glaub halt, dass i heit mei Geld krieg“. ‒ „O gang nu huim, dös isch an Aberglaube.“
 
In Wirtschaften prahlte er immer von seinen Fähigkeiten. Einem Wirt platzte einmal der Geduldsfaden, nachdem er das Selbstlob zum wiederholten Male hörte. Er meinte, er solle doch einmal sagen, was er nicht kann. Darauf antwortete der Bauernschlaue: „I ka mei Zech nit zahle!“
 
Eines Tages kam der Ortspfarrer unangemeldet in die Munding'sche Wohnung. Er überraschte jedoch das Paar, als dieses sich mit Holzscheiten bewarf. Der Pfarrer ermahnte die beiden, den Streit zu beenden. Es wäre eine Schande, wenn sich erwachsene Leute so in die Haare kommen, sagte er. Sie sollen sich doch so benehmen, dass wieder Freude aufkommen könne. Darauf entgegnete Munding, sie seien gerade dabei, sich gegenseitig Freude zu bereiten. Denn jedes Mal, wenn er mit einem Scheit seine Frau treffe, habe er eine Freude und umgekehrt, wenn er die Frau nicht treffe, freue sie sich.
 
Der stets lange Wirtshausbesuch war Frau Munding eines Tages zu viel. Sie versteckte deshalb einmal den Hauschlüssel. Peter Paul Munding beschwerte sich nicht, er hing einfach die Haustüre aus und nahm sie mit. Nun konnte er zu jeder Nachtstunde heimgehen.
 
Quelle der letzten 3 Episoden: „Alt-Wangener Erinnerungen“ von Karl Walchner, 2. Band, Wangen 1960.
 
Bäume wuchsen aus Wirtsgräbern
Dr. Johann Schupp schreibt über seine Beobachtungen auf dem Friedhof bei St. Leonhard (Pfullendorf): „Fast wie Humor mutet es an, dass aus zwei Wirtsgräbern zwei grosse Bäume herausgewachsen sind und ihre Säfte aus Leibern bezogen haben, die einst gut gegessen und getrunken haben. Diese Gräber sind auf dem ältesten Teil des Altfriedhofs. Über dem Grab des Weissochsenwirts Karl Matheiss (1811‒1856) wuchs eine wuchtige Birke heraus. Aus dem Grab des Hirschenwirts Sebastian Heilig (1750‒1817) wuchs eine mächtige Buche. Ich habe immer wieder nachgesehen, ob beide Bäume noch stehen. Es freute mich jedes Mal, dieses Schauspiel zu sehen.“
 
Quelle: „Denkwürdigkeiten der Stadt Pfullendorf“ von Dr. Johann Schupp, Badenia Verlag, Karlsruhe 1967.
 
In der „Badischen Zeitung“ vom 03.12.2003 entdeckte ich folgende Anzeige unter „Glückwünsche“:
 
WANTED!
Rentner, heute 65 Jahre, entlaufen.
Zuletzt gesichtet in Gündenhausen Nähe
der Gaststätte „Löwen“ und „Hexenheim“.
Hört auf den Namen „Cool-Room-Kurt“
Oder „Ziegen-Kurt“.
Bitte nicht füttern, macht eine Rotweindiät.
Sachdienliche Hinweise: Tel …
 
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