Textatelier
BLOG vom: 25.10.2011

Fabrizio-Ausstellung: Nostalgische Menü- und Speisekarten

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Der 90-jährige Clemens Fabrizio, dem ich schon einmal einen Blog gewidmet habe (29.06.2011: Clemens Fabrizio (90): Autobiograf und glücklicher Sammler), hat wiederum mit einer Ausstellung überrascht. Nach einer Reuter-Geld-Ausstellung folgte nun eine Präsentation von Menü- und Speisekarten in der Kulturfabrik in Schopfheim D, die bis zum 16.12.2011 zu sehen ist. Es ist unglaublich, welche Mühen sich der Sammler immer wieder auf sich nimmt. Die 80 Karten werden unter Glas mit dem dazugehörigen Text präsentiert.
 
Die Ausstellung dieser aussergewöhnlichen Sammlung widmete Fabrizio seiner Ehefrau, Anna, geb. Trefzer (1921−2003), mit der er 54 Jahre Freud und Leid geteilt hatte.
 
Am 17.10.2011 traf ich mich mit dem Sammler Fabrizio in der Kulturfabrik, um mir die Karten anzusehen und an seiner Führung teilzunehmen. Bei diesem Treff lernte ich auch Georg Diehl, ehemaliger Lehrer und freier Mitarbeiter der „Badischen Zeitung“, und seine charmante Frau kennen. Beim Rundgang gab es eine ganze Menge auf den farbigen Speisekarten zu entdecken. Die Besonderheiten werde ich jetzt dem Leserkreis offenbaren.
 
Älteste Speisekarte von 1883
Die älteste Speisekarte stammt vom Stiftungsfest des Studenten-Corps Nassovia, Würzburg, vom 24.06.1883.
 
Sehr schön fand ich die nostalgischen, am Rande farbig bemalten Karten aus den Jahren 1898/1899. Auf einer Karte hängen 2 nackte Engel an Seilen und halten Weinflaschen in der Hand. Der eine Engel leert eine Flasche über den Kopf des tiefer hängenden zweiten Engels. Auf dieser Karte wurde folgendes Menü angekündigt: Ochsenfleisch mit Meerrettich, Rehragout mit Kartoffelklösse, Karpfen á la vinaigrette, gefüllte Tauben (die werden wohl heute nicht mehr angeboten!), Kopfsalat und Reispudding mit Weinsauce. Auf einer anderen Karte sind Heinzelmännchen mit Bärten zu sehen, die dabei sind, eine Sektflasche zu öffnen.
 
Ganz amüsant fand ich die Speisekarte vom 09.03.1911 von einem Festessen für Hundefreunde in Baden-Baden. Auf der Karte wurde darauf hingewiesen, dass die Essensreste an Hunde verfüttert werden sollen.
 
Das Festessen anlässlich des 50-Jahre-Jubiläums des Schwarzwaldvereins wurde in alemannischer Sprache angekündigt. Der Text stammte vom mittelbadischen Dichter August Ganther. Es ist die einzige Menükarte in alemannischer Sprache, die Clemens Fabrizio besitzt.
 
Damals gab es folgende Speisen (Text übersetzt): Schildkrötensuppe, Rheinsalm, Kartoffeln nach Holländerart, Rinderbraten mit jungem Gemüse (der Dichter schrieb: „Bringt müde Männer wieder auf die Füsse“), ferner Röschbrodini Güller (gebratenes bzw. gegrilltes Hähnchen) mit Mus und Salat und als Nachspeise Russische Creme und verschiedene Käsesorten.
Zum Schluss schrieb der Dichter: 
„Düen sell nit vergesse
Bim hüddige Esse:
Hei, heben ans´s Gläsli
Recht reg under`s Näsli!“ 
Die Karte stammt von 1914. Kaum 10 Wochen später wütete in Europa bereits der Erste Weltkrieg.
 
Traumhaftes Menü
Der Schopfheimer Metropole-Wirt Nemesio Sarrat liess sich bei seiner Hochzeit etwas Besonderes einfallen. Er lud seine Gäste ins Bettminger Schloss im Baselland ein und feierte dort mit einem grandiosen Festmenü.
 
Fabrizio hat auch 3 Speisekarten von den Olympischen Spielen 1936 in Berlin, die in spanischer, englischer und deutscher Sprache verfasst wurden. Die Speisen wurden vom Norddeutschen Lloyd ausgewählt und serviert.
 
Fabrizio begann mit der Sammlung der Menü- und Speisekarten 1951. Die Karte, die den Auftakt bildete, wurde anlässlich eines Abendessens im Kurhaus Spitzmüller, Nordrach, präsentiert. Fabrizio war als Kampfrichter-Obmann zu Gast. Kurt Spitzmüller, damals 2. Vorsitzender des Badischen Leichtathletik-Verbands und Bundestagsabgeordneter, hatte die Erste Regelkommission des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) eingeladen. Nach den entbehrungsreichen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war das damals gebotene Menü traumhaft:
 
Russischer Kaviar, Strassburger Gänseleberpastete, Ochsenschwanzsuppe, Schwarzwaldforelle blau, Pariser Kartoffeln, Lendenschnitte vom Rost, Kräuterbutter mit Streichholzkartoffeln (heute sagt man Pommes frites) und Kopfsalat, Omelette mit Champignonköpfchen, Erdbeercremeeis mit Sahne, Kaffee, Kleingebäck, Liköre, Kirschwasser und Himbeergeist.
 
Anlässlich des Leichtathletik-Landeskampfs im Zehnkampf Schweiz gegen Deutschland lud 1959 der Oberbürgermeister von Lörrach, Arend Braye, zu einem Abendessen ins Gasthaus „Zur schönen Aussicht“ in Obertüllingen ein.
 
Es gab Königin-Suppe, Mast-Hähnchen, Pommes frites, Salat, Schwarzwälder Kirschtorte, 1958er Blansinger Wolfer Gutedel, 1956er Sasbacher Spätburgunder.
Auf der Speisekarte hatten sich einige Teilnehmer, darunter Willi Holdorf (der spätere Olympiasieger im Zehnkampf 1964 in Tokio), verewigt. Die sportliche Leitung hatte damals Clemens Fabrizio.
 
5 Speisekarten aus der „Krone“
5 Speisekarten von 1932 aus dem Gasthaus „Krone“ in Lörrach erhielt Fabrizio von einem ehemaligen Koch. Die „Krone“ hatte bedeutende Persönlichkeiten zu Gast. 1813/1814 gaben sich 3 Herrscher ein Stelldichein, Kaiser Nikolaus I. von Russland, Kaiser Franz von Österreich und König Friedrich Wilhelm III. von Preussen. Mit dabei war auch der Höchstkommandierende der verbündeten Truppen, Generalfeldmarschall Fürst Schwarzenberg, der von Basel kam, um mit den 3 hohen Herren zusammen den russischen Neujahrestag zu feiern.
 
Zurück zu den Speisekarten. Es wurden in der „Krone“ u. a. folgende Speisen angeboten (in Klammern die Preise in RM = Reichsmark): Tagessuppe (0,30 DM), Bachforelle (2,80), Heilbutt (1,50), Entrecote (1,60), Beefsteak (1,80), Masthahn (1,80), Rebhuhn mit Kraut (2,40), ½ junger Fasan (2,20), Kalbsleber mit Speck und Salat (1,60), Kalbsnieren am Spiess garniert (1,80), Rehrücken in Rahmtunke (1,80).
 
Speisen auf einer Schiffsreise
Auf einer Schiffsreise mit dem Dampfer „Bremen“ des Norddeutschen Lloyds im Januar 1962 waren die Anzahl Speisen auf der Karte schon sehr umfangreich. Die Passagiere hatten es oft schwer, sich zu entscheiden, so viel Leckeres wurde angeboten. Wie auf der Präsentation von Fabrizio zu lesen war, wurde jeden Tag auf der Vorderseite der kartonierten Speisekarte ein anderes farbiges Motiv aufgedruckt.
 
Zum Mittagessen gab es diese Speisenauswahl: Bremer Heringsfilet, Eier mit Lachs, mariniertes Rotbarschfilet, Rollmops, Mixed Pickles, Ostender Fisch-Mayonnaise, Bückling, Oliven, Tafelsellerie, Weissfischfilet mit Petersilienkartoffeln, Holsteiner Mastkalbsbraten, Kohlrabi mit Rahm, Macaire Kartoffeln, Salat, Apfelkuchen, Früchte der Jahreszeit.
Dann konnte man auch seine Wünsche äussern. Es gab diverse Suppen, Fisch- und Zwischengerichte, kalte Speisen, Gemüse, Süssspeisen und Käse.
 
Einfach und gesund war in den 30er-Jahren die Verpflegung der III. Klasse auf den Dampfern des Norddeutschen Lloyds nach Ostasien. Dort gab es ein 1. Frühstück (7 ½ bis 8 ½ Uhr), ein 2. Frühstück (12 bis 1 Uhr), dann folgte die Hauptmahlzeit (6 bis 7 Uhr abends). Die Reisenden mussten auch am Nachmittag nicht hungern. Dann gab es Tee oder Kaffee oder Schokolade mit Kuchen.
 
Bemerkung zum 1. Frühstück: Zur Auswahl (zu vergleichen mit dem Frühstücksbuffets der heutigen Tage) gab es gedünstete Pflaumen, Haferflocken in Milch, Wiener Schnitzel mit Kartoffeln, Apfelpfannkuchen, Edamer Käse, Tee, Kaffee, Marmelade und Frühstücksgebäck.
 
Fazit
Es war für mich eine Reise in die Vergangenheit. Das Erstaunliche war für mich, dass es schon früher bei Festivitäten und auf Reisen eine umfangreiche Speisenauswahl gab. In der Nachkriegszeit konnten sich natürlich nur betuchte Leute das eine oder andere Menü leisten.
 
Beim Rundgang fiel mir eine Speise auf, die uns völlig unbekannt war. Auf einer Menükarte las ich den Speisenamen „Türkische Eier“. Im Internet konnte ich nur den Hinweis finden, dass dies wohl ein türkischer Eierkuchen war.
 
Fabrizio hatte noch eine Besonderheit in einer Vitrine ausgestellt, nämlich einige alte Kochbücher; er hat insgesamt 150 verschiedene Exemplare gesammelt. In einige Büchern durfte ich einen Blick werfen. Darüber werde ich demnächst berichten und einige Rezepte zum Nachkochen präsentieren.
 
Fabrizio hat es wieder geschafft, eine interessante Ausstellung mit seinen Menü- und Speisenkarten zu machen. Die Ausstellung hätte jedoch in einem anderen Raum oder an einem anderen Ort präsentiert werden müssen. Die Bilder hingen alle in einem Flur der Kulturfabrik (dort sind die VHS und die Musikschule untergebracht). Infolge der Spiegelungen (die Fenster befanden sich gegenüber der Wand mit den Objekten) waren die Bilder nicht immer gut zu sehen. Beim Fotografieren musste ich die Digitalkamera so halten, dass keine Spiegelung auf den Bildern zu sehen war.
 
Als Georg Diehl bemerkte, nun könne er bald seine nächste Ausstellung vorbereiten, sagte Clemens Fabrizio: „Das war meine letzte Ausstellung.“
 
Noch eine Anekdote
Der 90 ½ Jahre alte Clemens Fabrizio überrascht mit seinem Alter, das man ihm nicht ansieht, immer wieder Leute. Hier eine Episode, die er kürzlich erlebt hat.
 
Er fuhr mit der Seilbahn auf den Belchen. Von der Bergstation am Belchenhaus wanderte er bis zum Gipfel. Zu einem Ehepaar, das auf einer Bank in der Nähe des Gipfelkreuzes sass, sagte er: „Könnten Sie von mir ein Foto machen. Ich werde wohl zum letzten Mal hier oben gewesen sein.“ Da äusserte der Mann: „Das glaube ich nicht, dass es für Sie das letzte Mal ist. Bei mir ist es etwas anderes, ich bin schon 75 Jahre alt.“ Als Fabrizio ihm erzählte, er sei schon 90 Jahre alt, konnte er das nicht glauben. Zum Scherz meinte Clemens zu ihm, er könnte sein Sohn sein. Da mussten dann alle schmunzeln.
 
So kann man sich täuschen. Manche sehen schon mit 60 runzlig aus, während unser 90-Jähriger noch eine glatte Haut hat.
 
Literatur
Diehl, Georg: „Ein echter Appetitmacher“, „Badische Zeitung“, 15.10.2011.
 
Öffnungszeiten der Ausstellung
Montag, 17.10.2011 bis Freitag, den 16.12.2011 in der Kulturfabrik Schopfheim. Öffnungszeiten: Jeweils Montag bis Freitag, 9 bis 12 Uhr und 14 bis 20 Uhr.
 
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