Textatelier
BLOG vom: 11.11.2011

Schweizer sehnen sich darnach, für Importe mehr zu zahlen

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Der Euro schmilzt, auch wenn es kälter wird. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) verpulvert in ihrer Narrenfreiheit Milliarden Franken; die Kantone erhalten keine SNB-Millionen als Ausschüttungen aus dem Gewinn bei der Verwaltung des Volksvermögens mehr, müssen sparen, Steuern erhöhen. Und wieso denn muss die SNB überhaupt jeder staatlichen/demokratischen Kontrolle entzogen sein? Das sind doch Zustände wie in einer Diktatur, auch wenn sie zur Zeit noch in der Bundesverfassung verankert sind.
 
Die SNB kann nach Belieben sich entwertende Devisen wie Euro oder gar US-Dollars kaufen. Der Devisenbestand der SNB ist allein im 3. Quartal 2011 um 55 Prozent auf umgerechnet 305 Mrd. CHF angestiegen. Das sind 108 Mrd. Franken mehr als noch Ende Juni 2011. Wie viel davon auf Euro-Käufe entfallen, wagt die SNB nicht bekannt zu geben. In der exorbitanten Zunahme sind u. a. auch die Devisenswaps enthalten, also Termingeschäfte, bei denen die SNB Franken gegen eine andere Währung tauscht und zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder zurücktauscht. Die Krise in den lebensfrohen, südeuropäischen Dolce-far-niente-Staaten Griechenland und Italien wird den Euro weiter schwächen und die SNB entsprechend fordern – ein Fass ohne Boden.
 
Merkwürdigerweise wird über den starken Schweizerfranken (CHF) gejammert, als ob dieser ein Landesunglück wäre. Dabei verbilligt er unsere Importe, die in Bezug auf den Euro-Raum frankenmässig mehr ins Gewicht fallen als die Ausfuhren.
 
Selbstverständlich leidet die Exportindustrie, und dieser Umstand ist ebenso wenig hinzunehmen wie die Nichtweitergabe von Einkaufsvorteilen, über die das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement (EVD) am 09.11.2011 aufgrund der Zwischenergebnisse einer eigenen Studie mit einer ganz merkwürdigen Zurückhaltung berichtet hat: Die Aufwertungsgewinne würden nicht stärker zurückbehalten als auch schon ... Also, wie es in einem Gassenhauer heisst: „S’isch immer so gsii“ (Es war schon immer so). Departementschef Johann Schneider-Ammann habe Firmen den Kampf angesagt, welche den Konsumenten Wechselkursvorteile vorenthalten. Wird aus diesem Allgemeinplatz aus dem Sektor Ankündigungspolitik wohl etwas werden?
 
Bundesrat Schneider hält den CHF noch immer als „überbewertet“; das ist schon eine Beleidigung für unsere Währung, deren Wert nichts anderes als Vertrauen in unsere stabilen Verhältnisse repräsentiert. Und die schwierigen Zeiten, die er voraussieht, basteln wir uns durch die künstliche Währungsschwächung zum Teil selber – dann dürfen wir für Importe wieder mehr zahlen.
 
„Es zeigt sich bei einer ganzen Reihe von Produkten, dass die Vergünstigung der Importe nur ungenügend weitergegeben wird“, stellte Studienleiter Peter Balastèr, Leiter Wachstum und Wettbewerbspolitik beim Staatssekretariat für Wirtschaft, fest. Hat man im EVD wohl überteuerte Import-Kreide gefressen? Denn die gleiche Studie ergab auch noch, dass die Preisunterschiede zwischen der Schweiz und Deutschland vom 2. Quartal 2010 bis zum 2. Quartal 2011 sogar noch einmal um 15 Prozent gewachsen sind – und das trotz einer Frankenhausse in gleicher Höhe.
 
Wenn doch die Exportindustrie leidet, ist ganz offensichtlich, dass auf der anderen Seite die Importindustrie Milliarden gesundet, abrahmt und den exorbitanten Geldsegen in irgendwelchen Taschen versickern lässt. Die Weitergabe von höheren Einstandskosten an die irregeleiteten Konsumenten klappt immer wunderbar, nicht aber die Weitergabe der Vorteile aus günstigeren Einkäufen. Und macht sich das EVD etwa zum Komplizen der Importgewinne-Scheffler? Die Studienverfasser wurden nämlich von der Frage übermannt, „ob günstigere Importe überhaupt einen messbaren Einfluss auf die Konsumentenpreise haben“ ... Gleichzeitig werden die Preisdifferenzen zu Deutschland als „krass“ empfunden: Bei der Babynahrung mit Getreide etwa beträgt der Preis in unserem nördlichen Nachbarland heute gerade noch 42 Prozent des Preises in der Schweiz (2010: 52 Prozent). Dass teurere Importe sofort einen Einfluss auf unsere Preise haben, braucht demgegenüber nicht untersucht zu werden. Nun hat die Wettbewerbskommission (Weko) in dieser Güterkategorie Ermittlungen aufgenommen. Zeitgewinn. Was wird daraus werden?
 
Laut dem „Tages-Anzeiger“-Bericht kommt die EVD-Studie zum ernüchternden Befund, „dass das Potenzial für Preissenkungen beschränkt ist: Von einem Franken, den der Konsument ausgibt, gehen im Durchschnitt lediglich 15 Rappen ins Ausland. Eine Frankenaufwertung um 15 Prozent senkt die Konsumentenpreise unter diesen Umständen im besten Fall um 3 Prozent. Schliesslich geht von den importierten Waren bloss ein Drittel in den Konsum. Ein Sechstel wird investiert und gut die Hälfte kommt in den Export.
 
Eine Frankenaufwertung schlägt sich dabei laut Studie – mit einer Verzögerung von bis zu einem Jahr – überhaupt nur zu 40 Prozent in einer Vergünstigung der Importpreise nieder. Kaum eine Preisreaktion auf die Wechselkursschwankung zeigte sich dabei bei Kleidern, Fahrzeugen, Möbeln, Gummi- und Kunststoffprodukten. Ebenfalls nur beschränkt weitergegeben wurde der Einkaufsvorteil bei Nahrungsmitteln und Getränken, Lederwaren und Schuhen, elektronischem Equipment, chemischen und pharmazeutischen Produkten sowie Maschinen.“
 
Ende des TA-Zitats.
 
„Und erklärt mir, Oerindur,
diesen Zwiespalt der Natur!“
 
Amadeus Gottfried Adolf Müllner (1774‒1829) kam auch nicht mehr draus, wenn auch in anderem Zusammenhang – es ging bei ihm um Leben oder Tod. Einerseits hat die Frankenstärke, wenn es im Ausfuhren geht, dramatische Folgen. Geht es aber um Einfuhren, bleiben Effekte aus, oder sie verkehren sich gar ins Gegenteil ...
 
Mich würde allmählich interessieren, ob es in der Schweiz noch ein paar wirtschaftskundige Menschen gibt, die sich nicht nur in theoretischen Höhenflügen verirren, sondern die Spiele in den Niederungen des Alltags aufdecken und Klartext reden können. Inzwischen müssen wir geprellten Konsumenten dankbar dafür sein, dass uns wenigstens Aldi und Lidl aus dem Norden ein paar Preisreduktionen verschaffen (und den Druck im Hinblick auf Preisreduktionen bei den Grossverteilern Migros und Coop erfolgreich erhöht haben), damit wir nicht ständig über die Grenze zum Einkauf fahren müssen ... so lange wenigstens, als die Abzockereien anhalten und schwache Behörden eher auf der Seiten der Gewinnler statt auf jener des gemolkenen Volks sind und an den Vertuschungen mitwirken.
 
Wenn die Währungsgewinne nicht weitergegeben werden, müsste man sie einziehen und an notleidende Exporteure umverteilen. Da wir aus der EU ja mehr importieren als in sie hinein exportieren, könnte der verbleibende Restgewinn an die Kantone zum Ausgleich der entgangenen Nationalbank-Millionen verteilt werden. Und wir könnten uns über die Frankenstärke freuen statt sie mit Milliarden-Risiken durch Käufe erodierender Devisen zu bekämpfen.
 
 
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