Textatelier
BLOG vom: 22.01.2012

Aus einem Negerkuss wurde Schaumkuss oder Schokokuss

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Waren das noch Zeiten, als wir im zarten Alter eines Kindes ab und zu einen Negerkuss oder Mohrenkuss spendiert bekamen! Jeder wusste, worum es sich dabei handelt. Nicht um einen leibhaftigen Kuss eines Schwarzhäutigen (Neger darf man heute nicht mehr sagen) oder um den nachgebildeten Kopf eines Mohren. Kein Mensch, nicht einmal die schlauen Erwachsenen der vergangenen Zeit, dachten in diesen Bezeichnungen im Entferntesten an Rassismus. Heute ist das leider anders. Da wird jeder Begriff gnadenlos durchleuchtet und nach Möglichkeit verboten. Die selbst ernannten Sprachreiniger sind am Werk.
 
Heute werden die Mohren- oder Negerküsse als Schaumkuss, Schokoladenkuss, Schokokuss, Schaumzapfen, Süsspropfen, Naschkuss, Schwedenbombe (Österreich; bisher hat sich noch kein Schwede beschwert), Bumskopf (Bayerischer Wald) bezeichnet. Es gibt aber auch firmenbezogene und nicht eben schöne sprachliche Neuschöpfungen (Neologismen) wie Dickmann, Köhler oder Mayer-Junior.
 
Es spielt keine Rolle, dass die Namengebung schon Jahrzehnte oder noch länger im Sprachgebrauch eines Landes Einzug gehalten hat. In jüngster Zeit werden nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz und in anderen Ländern die Begriffe Mohrenkopf und Negerkuss wegen rassistischer Konnotation (mit einem Wort verbundene zusätzliche Vorstellung) der Ausdrücke Neger und Mohr vermieden.
 
Aus rassistischen Gründen könnte man auch die Begriffe Kameruner, Amerikaner (vielleicht wollen die Amerikaner nicht mit einem profanen Gebäck in Verbindung gebracht werden), Berliner (in diesem Gebäck sind keine Berliner drin; die echten Berliner sagen dazu Pfannkuchen), Zigeunerschnitzel, Zigeunersosse verbieten. Die Zigeuner (auch diesen Begriff darf man heute nicht mehr verwenden) heissen heute Sinti und Roma, oder man nennt sie Fahrende. Vielleicht haben Sinti und Roma etwas gegen die erwähnten Bezeichnungen. Sie hatten wohl bisher keinen Erfolg für eine Umbenennung, zumal sie keine Lobby und Macht haben wie andere Volksgruppen.
 
Der verschwundene Judenkuchen
Auch die Holländer kamen gnadenlos in den Griff der Political bzw. Lingual Correctness. Dort wurde kürzlich der „Jodekoeken“ (Judenkuchen) aus einigen Regalen der Geschäfte genommen. Es sind dünne Scheiben im Durchmesser von etwa 10 cm aus Mürbegebäck. Der Judenkuchen gehört zu Holland wie Ajax Amsterdam zum Fussball. Vor einigen Jahren waren die „Negerzoen“ (Negerküsse) auf dieselbe Art verschwunden.
 
„Welt Online“ schrieb am 16.01.2012 dies: „Wahrscheinlich erleiden die Judenkuchen nun das gleiche Schicksal wie die niederländischen Juden vor genau 70 Jahren, als etwa 110 000 der 140 000 jüdischen Einwohner des Königsreichs deportiert wurden.“
 
Der Judenkuchen wurde übrigens von Albert Govers in Alkmaar wahrscheinlich nach einem Rezept eines jüdischen Kollegen hergestellt. Der Bäcker bezeichnete dann seine Kreation als Judenkuchen. Bisher störte sich keiner daran.
 
Darkie heisst nun Darlie
Wie mir Rolf P. Hess mitteilte, wurde früher ein „politisch unkorrektes Produkt“ umbenannt. Im Osten von Asien gab es nämlich eine Zahnpasta namens „Darkie“ mit einem Marktanteil von 20 bis 30 %. Das Logo und die Bezeichnung wurden jüngst als rassistisch eingestuft.
 
Auf der Tube war nämlich der Kopf eines zähnefletschenden, schwarzen Mannes mit Zylinder abgebildet. Die Zahnpasta wurde von der Hongkonger Firma Hazel & Hawley hergestellt. Diese wurde 1985 vom Konzern Colgate-Palmolive übernommen. Dann begann der Ärger, nicht in Asien, sondern in den USA. Bürgerrechtsgruppen gaben bekannt, was die Firma da eingekauft hatte. „Sie drohten dem Konzern mit Produkt-Boykotten, wenn er nicht Namen und Logo ändere“, wie in der Online-Ausgabe der „Süddeutschen“ (www.sueddeutsche.de) zu lesen war.
 
Der Kopf wurde entfernt und die Bezeichnung änderte sich in „Darlie“. Die Chinesen nennen die Zahncreme jedoch weiterhin „Schwarzer-Mann-Zahnpasta“ („Hei Ren Yago“). Deutsch sprechende Chinesen übersetzen „Hei Ren“ schlicht mit „Neger“.
 
Weitere Mohrenköpfe
Es gibt noch andere Mohrenköpfe im deutschen Sprachgebrauch, wie die folgenden Beispiele beweisen:
 
Mohrenkopf, ein Schmuckstein der Turmalingruppe,
Mohrenkopf, ein Pokal aus dem Sachsenschatz,
Altdeutscher Mohrenkopf oder Süddeutscher Mohrenkopf sind Bezeichnungen für Haustaubenrassen,
Mohrenkopfmilchling, ein Pilz mit dunkelbraunem Hut (wer sich daran stört, kann den Pilz auch Essenkehrer, Schornsteinfeger oder Pasterle nennen; es besteht dann die Gefahr, dass sich die Schornsteinfeger auf den Schlips getreten fühlen),
Mohrenkopf, eine Siedlung auf dem Markusberg in Trier-Pallien,
Mohrenkopf, ein 1645  hoher m Berg in den Allgäuer Alpen bzw. Vorarlberg.
Mohrenkopf im Wappen der Korsen (zeigt einen Mohren mit krausem Haar und weissem Stirnband; ist ein Freiheitssymbol der Korsen).
Auch die Aargauer Gemeinde Möriken-Wildegg hat ein Mohrenkopf im Wappen. Die amtliche Beschreibung (Blasonierung) lautet: „In Gelb Mohrenkopf mit roten Lippen und Ohrringen über schwebendem rotem Sechsberg.“
 
Was ich ebenfalls noch fand, ist die Bezeichnung „Restaurant Zum Mohrenkopf“ in Kiel D. Im Internet ist die Charakterisierung so angegeben: „Der Mohrenkopf wies im Mittelalter diejenigen Häuser aus, die als Fürstenherberge dienten. Ausserdem galt er als besonderes Zeichen für eine hervorragende Küche und eine zuvorkommende Bewirtung.“
 
Fürchterlich übertrieben
Wie ich in Gesprächen mit Bekannten hörte, verurteilen alle die neuen Wortschöpfungen für etablierte Produkte im deutschen Sprachraum. Für meine Nachbarin bleibt ein Schaumkuss ein Negerkuss, sie isst auch mit Begeisterung einen Zigeunerbraten. Sie denkt nicht im Entferntesten an einen „scharfen Zigeuner“, wie sie sich ausdrückte. Das tun wir auch nicht! Ich denke da immer an ein scharfes Gericht, das die Zigeuner so sehr lieben.
 
PS: Beim Stadtzürcher Knabenschiessen werden ja auch keine Knaben erschossen.
 
Hier einige Leserstimmen aus dem Internet (www.gutefrage.net) und von Freunden zu den Sprachbereinigungsaspekten:
 
Rolf P. Hess: „Fürchterlich übertrieben.“
 
Walter Hess: „Solche Sprachbereinigungen, die es in der Schweiz 1:1 ebenfalls gibt, drehen einem den Magen bei lebendigem Leib um.“
 
Moon73 betont, dass für ihn die Bezeichnung „Negerkuss“ keinen beleidigenden Hintergrund habe. „Was kann an so einem süssen Schokokuss auch böse gemeint sein?“ Er schrieb dann noch: „Warum muss so eine kleine Nascherei für etwas büssen, was einige wenige Dummen verzapft haben.“
 
Marvodo: „Menschen sollte man selbstverständlich nicht durch übersteigerte Farbbezeichnungen (schwarz, rot, gelb, weiss) diskriminieren. Bei Süssigkeiten sollte die teilweise zu beobachtende Verkrampftheit aber bitteschön aufhören, sonst finden tatsächlich bald noch das Sintischnitzel und die Romasauce ihren Weg von den Witzblättern auf die Speisekarten.“
 
„Raimond1“: „Und wie ist das für einen Kameruner? Oder Krutzitürken? Mann haben wir Probleme.“
 
„Katzenhai2“: „Das Wort Neger stammt aus dem Französischen, abgeleitet von negér. Was schwarz bedeutet. Das wiederum ist aus dem Lateinischen niger abgeleitet, was auch ganz simpel schwarz bedeutet. Das Wort Neger hat keinen denunzierenden Hintergrund, sondern bezeichnet Menschen mit schwarzer/dunkler Hautfarbe. Dass es politisch nicht korrekt ist, liegt daran, dass dieses Wort früher gebräuchlich war in einer Zeit, als es noch Sklaven gab bzw. schwarz-/dunkelhäutige Menschen als minderwertig angesehen wurden aufgrund ihrer Andersartigkeit (Sprache, Aussehen, Kultur). Es hat nichts mit einer Beleidigung zu tun, weshalb es nicht mehr ,in’ ist, sondern mit einem Missverständnis der Geschichte. Wenn sich jemand dadurch beleidigt fühlt, dann hat er das Wort nicht verstanden. Ich selber sage auch nicht mehr Neger zu einem Schwarzen, weil das Wort kulturell nicht mehr aktuell ist. Negerkuss sag ich trotzdem weiter, genauso wie Zigeunerschnitzel.“
 
Während meiner Tätigkeit bei Ciba-Geigy (später Novartis) in Wehr (Baden-Württemberg) hatten wir einen Werksstudenten aus Ghana zu Gast. Dieser mokierte sich am Begriff „schwarzer Mann“ im deutschen Sprachgebrauch. Ich klärte ihn auf, dass auch ein „schwarzer Mann“ ein Weisser sein kann, der im Dunkeln herumläuft. Dort sind dann alle schwarz.
 
Schlussbetrachtung
Persönlich erachte ich die Sprachbereinigungen als einen Schwachsinn. Die sogenannte politische Korrektheit treibt hier seltsame Blüten. Ich hoffe, dass die Begriffe Judenkirsche (Zierpflanze), Judenbart (Ampelpflanze), Judenbaum, Judendorn (Kreuzdorngewächs), Mohrrübe, Mohrenmaki (Halbaffe Madagaskars), Mohrenhirse und Mohrenwäsche (Versuch, einen öffentlichen Schuldigen durch Scheinbeweise rein zu waschen), Zigeunerkapelle, Zigeunermusik, Zigeunersprache, Zigeunerleben, Zigeunerprimas und zigeunern (herumtreiben), Kameruner (in D Bezeichnungen für Gebäck und Erdnuss) erhalten bleiben. Hoffentlich kommt jetzt kein Textatelier-Leser auf die Idee, diese Begriffe seien politisch unkorrekt. Gerne höre ich Ihre Meinung.
 
2 Witze zum Schluss
Hier sind noch 2 Witze, die in meinen Augen keinen rassistischen Hintergrund haben (man erzählt sich ja auch Witze über Ostfriesen, Berliner, Bayer, Deutsche, Österreicher und Schweizer).
 
„Sagt eine Biene zum Negerkind: Wollen wir tauschen? Negerkuss gegen Bienenstich?“
 
Ein Lieblingswitz von Rolf P. Hess ist der folgende: „Zur Zeit der Apartheid reiste ein junger Diplomat aus England nach Johannesburg. Am Abend ging er in eine Bar und bestellte einen Whisky. Der Barkeeper fragte ihn, ob er eine Lieblingsmarke habe. ,Einen Black & White’ war seine Antwort. Als er den konsternierten Blick des Barkeepers sah, realisierte er, dass er in ein Fettnäpfchen getreten war und fügte schnell hinzu: ,In 2 separaten Gläsern, bitte!’“
 
Internet
 
Hinweis auf weitere Blogs zur Sprache
Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
Auf Pilzpirsch: Essbare von giftigen Pilzen erkennen
Ein bärenstarkes Museum in Gersbach
Barfuss über die Alpen
Foto-Blog: Auf geht`s zur Hohen Möhr
Foto-Blog: Vom Kleinen Rhein zum Altrhein
Fotoblog über den Schönauer Philosophenweg
Rote Bete (Rande), eines der gesündesten Gemüse
Hermann-Löns-Grab im Wacholderhain
Lüneburger Heide: Salzsau und Heidschnucken
Kutschenmuseum in Wiechs ist ein Schmuckstück
Canna verleihen einen Hauch karibisches Flair
Artenreiche Streuobstwiesen stark gefährdet
Liebe zu den Kräutern in die Wiege gelegt
Eine Hütte mit Fleischsuppe im Namen
Rätsel um die Russenbänke in Präg gelöst