Textatelier
BLOG vom: 02.05.2012

Warum in den Büchergestellen die Unordnung Programm ist

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Ein Problem, dessen Lösung mir noch nie gelungen ist: Das platzsparende Einordnen der Bücher nach Fachgebieten oder Autoren in Büchergestellen. Zwar können die meisten Tablare verstellt werden, und man würde meinen, dass dadurch platzsparend eingeräumt werden könne. So kann man zum Beispiel die grossformatigen Bildbände zuunterst platzieren, die Tablarzwischenräume nach oben kleiner werden lassen und dort, in aufsteigender Reihenfolge vom Grossfolio (über 45 cm hoher Buchrücken), Folio (40‒45 cm), Quart (30‒40 cm) zum Lexikonformat (25‒30 cm) und den Oktav-Formaten (15‒25 cm) bis zum Sedez (10‒15 cm) einordnen. Und dann sind da ja auch noch meine Langenscheidt-Lilliput-Wörterbücher mit knapp 5 cm Rückenhöhe – Miniaturausgaben, die ich gern auf Reisen in fremdsprachige Länder mitnehme und die mir als wohlfeile Dolmetscher dienen.
 
Ordnet man die Bücher nach der Rückenhöhe ein, kann man zwar auf den einzelnen Gestellen ein gewisses System einhalten, doch hat man die gleiche Thematik auf mehrere Gestelle verteilt, ist das ein Beitrag zur Unübersichtlichkeit, die es ja eigentlich zu verhindern gälte. So gibt es zum Beispiel Bücher zur römischen Geschichte in allen Formaten von den Reclam-Schriften (15 × 9,5 cm) bis zu Prachtsbildbänden im Grossformat. Und hinzu kommen noch quadratische Bücher und solche im Querformat, welch letztere ich jeweils im Gestell aufstelle, wobei man dann aber die Rückenbeschriftung nicht mehr einsehen kann, weil die jetzt oben ist.
 
Obschon in meinem Haus mindestens 10 Wände von Zimmern und Durchgängen mit Büchern zugepflastert sind, herrscht auf den Bücherregalen eine ständige und zunehmende Platznot. Und ungeachtet des Umstands, dass ich viele ausrangierte Werke via Brockenhäuser wohltätigen Zwecken zuführe, ist der Buchanfall grösser als der Abgang, da ich fast jeden Abend mehrere Stunden lese, bei ständig ausufernder Interessenlage.
 
Um den Platz in den Regalgevierten, die einem bestimmten Thema zugeordnet sind, möglichst gut ausnützen zu können, bin ich dazu übergegangen, nur die grossen Bücher aufrecht stehen zu lassen; die kleineren beige ich daneben auf, das heisst, die Bücher liegen. Aber selbst dann sind die unterschiedlichen Formate ein Hindernis, sie sorgen für Lücken, die ich dann mit gebundenem literarischem Kurzfutter ausstopfe, und bei genügender Gestelltiefe führt der Platzmangel in der Regel dazu, dass ich 2 Beigen aufbaue und die vordere die hintere verdeckt.
 
Das übersichtliche Bucheinordnen ist also eine reine Platzfrage: Wo genügend Platz vorhanden ist, kann man Ordnung halten, wo aber der Platz knapp ist, bricht unwillkürlich das Chaos aus.
 
In gross dimensionierten öffentlichen Bibliotheken mit ihren riesigen Beständen ist das Problem der Übersichtlichkeit einfacher zu lösen. Im Gegensatz zu einer Privatbibliothek gibt es dort zu jeder Thematik grosse Büchermengen und von jedem Format genügend Exemplare, um ganze Gestelle zu füllen. Zudem kann man die Bücher nummerieren und in einem digitalen Katalog verwalten. Da meine eigene Bibliothek ständig rotiert, ist mir das ständige Buchführen zu aufwendig, zumal ich ja nicht vor lauter Verwaltungsaufgaben vom Lesen abgehalten werden möchte.
 
Man sieht: Es ist nicht leicht, ein Bücherfreund zu sein. Und dann kommt etwas Weiteres hinzu: Der Inhalt: Wie finde ich eine bestimmte Abhandlung wieder? So habe ich kürzlich bei einem Antiquitätenhändler eine Beige von Broschüren „Unsere Kunstdenkmäler“ aus den 1970er- und 1980er-Jahren gekauft, zum Beispiel die Ausgabe 1988-2. Darin findet sich ein Artikel „Mittelalterliche Steinhäuser des Aargauer Adels in Burg und Stadt“ von Peter Frey. In diesem sind der Lenzburger Palas, die Alte Post in Aarburg usf. beschrieben. Andere Artikel befassen sich mit dem Steinmetzwerk im Kloster Wettingen (Grundlagenmaterial zum Thema „Säulen“); da  sind Angaben zum Denken der Zisterzienser, eine Beschreibung der Kirche von Gränichen AG, eine Darstellung der Napoleon-Tapete aus dem Aarauer Rathaus, und auch die Sanierungen des Schlosses Lenzburg sind beschrieben – usf. Von Bedeutung für mich ist auch ein Artikel über die Fotografie in der Denkmalpflege, die möglichst exaktes Dokumentationsmaterial hervorbringen muss. Die Fotos müssen auch als Grundlagen für Massaufnahmen dienen können.
 
Die Frage stellt sich nun für mich, wie ich im gegebenen Moment zu diesen Texten finde, ohne stundenlang zentnerweise Schriften durchblättern zu müssen. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als zu den Zeitschriften-, Broschüren- und Buchtiteln Stichwörter in den Computer einzutippen, und die Suchfunktionen verhelfen dann zu einem schnellen Zugriff.
 
Je besser eine Bibliothek organisiert und je detaillierter ihr Inhalt erfasst ist, desto nützlicher wird sie. Natürlich kann man das alles vergessen und herumgoogeln, was erstaunliche viele Resultate hervorbringt. Doch grundlegende ältere Dokumente sind ausserhalb der Reichweite von Suchmaschinen, weshalb ja auch immer mehr Bücher eingescannt werden, damit sie im Netz abzurufen sind, eine höchst verdienstvolle Sache. Aber für meinen detaillierten Informationsbedarf genügt das noch lange nicht.
 
Der Umgang mit Büchern und Wissen (Informationen) ist also eine Wissenschaft für sich, mit der ich mich ein Leben lang herumgeschlagen habe, ohne bisher zu einem vollkommenen befriedigenden Resultat gekommen zu sein. Der Idealfall wäre ein gut durchtrainiertes, speicherfähiges Gehirn. Doch habe ich manchmal das Gefühl, meines sei überfüllt oder lückenhaft. Das Wichtigste ist, zu wissen, wo man etwas findet. Und dem stehen bereits die unterschiedlichen Buchformate, allzu rudimentäre Inhaltsverzeichnisse und fehlende Register im Wege.
 
Dennoch ist mir meine Bibliothek ans Herz gewachsen. Nicht nur, weil sie sich auch als Staubfängerin betätigt (ich staube jedes zur Hand genommene Buch gleich mit einem manchmal leicht angefeuchteten Lappen oder Papiertaschentüchlein ab), sondern weil sie trotz all meinem Bemühen, ihren Inhalt zu erfassen, unendliche viele Geheimnisse in sich birgt und Entdeckungen ermöglicht. Manchmal eben in der hinteren Beige.
 
In seiner Autobiografie „Le Mots“ (Die Wörter, 1964) des französischen Philosophen und Schriftstellers Jean Paul Sartre (1905‒1980) sind Wörter und Bücher ein zentrales Thema: „Ich habe mein Leben begonnen, wie ich es zweifellos beenden werde: inmitten von Büchern. Im Arbeitszimmer meines Grossvaters lagen sie überall; es war verboten, sie abzustauben, mit Ausnahme eines Tages im Jahr, vor dem Semesterbeginn im Oktober. Ich konnte noch nicht lesen, aber ich verehrte sie bereits, diese aufgerichteten Steine: mochten sie gerade stehen oder schräg, dichtgedrängt wie Ziegel auf den Borden des Bücherschranks oder in noblem Abstand voneinander, wie die Alleen mit vorgeschichtlichen Steinsäulen in der Bretagne, immer fühlte ich, dass der Wohlstand unserer Familie von ihnen abhing (...) Ich berührte sie heimlich, um meine Hände durch ihren Staub zu ehren, wusste aber nicht recht, was ich mit ihnen anfangen sollte.“
 
Dann lernte Sartre das Lesen, und beim Verschlingen von Groschenheftchen und Klassikern öffnete sich ihm die Bücherwelt, eine Expedition ins Wunderland der Texte. So wurde er selber ein Mann der Feder – „im Dienst der geheiligten Wörter“, wie der Übersetzer Hans Mayer in der bei Rowohlt erschienenen deutschsprachigen Ausgabe (1965) schreibt – oder aber ein „Märtyrer im Dienst einer belletristischen Ersatzreligion“. Sartre war Atheist. Für ihn war vor allem der Vorgang des Schreibens wichtig, weniger, was dabei herauskam.
 
Was dabei herauskam, steht in den Bücherregalen, aufrecht, vielleicht schräg, wenn genügend Platz da ist, und es verstaubt, eher äusserlich als inwendig. Es wartet auf eine neue Begegnung, zumindest beim Umordnen.
 
 
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