Textatelier
BLOG vom: 07.08.2012

Das Recht der ersten Nacht, Meineid und Konsequenzen

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
Es sollte ein fröhlicher Tag werden, jener Tag im Jahre 1690. Der Schäfer Pickert aus Bückewitz und seine Braut Maria Leppin wollten eigentlich am Tag darauf in der alten Wehrkirche in Kampehl in Brandenburg heiraten. Als der Schäfer am Abend noch immer nicht ins Dorf zurück gekommen war, ging sie ihn suchen und fand ihn erschlagen bei seinen Schafen liegen.
 
Keiner hatte den Mord gesehen, aber jeder im Dorf war davon überzeugt, zu wissen, wer der Täter war: der Prinz von Hessen-Homburg, von 1664–1694 Eigentümer von Landgütern in Neustadt an der Dosse. Die dort ansässige Bevölkerung war in jenen feudalen Zeiten sein Eigentum, alle Bewohner waren seine Leibeigenen. Sie hatten ihn um Zustimmung zu fragen, wenn sie ihr Landgut verlassen, als Knecht oder Magd einem anderen Bauern dienen oder sich vermählen wollten.
 
Christian Friedrich von Kalebuz, das war der Name des Prinzen, hatte die Zustimmung gegeben, nicht ohne beiden zu sagen, dass er es sich als Rechtsherr auch nicht nehmen lassen wollte, die erste Nacht nach der Eheschliessung mit Maria Leppin zu verbringen, genannt ius primae noctis. Maria sagte ihrem Verlobten, dass sie sich weigere. Sie habe Angst. Der Ritter war als grausam bekannt. So lange dieses Verlangen bestünde, könne sie ihn nicht heiraten. Der Schäfer sprach mit Ritter Kalebuz, bot ihm Geld an, darauf zu verzichten, aber dieser wollte es nicht. Zu schön und zu attraktiv war Maria. Kalebuz war zwar verheiratet, mit Margarete Sophie von Rohr, ebenfalls aus einer Adelsfamilie aus Brandenburg, und hatte mit ihr bereits eine grosse Anzahl Kinder, am Ende waren es deren 11. Aber es machte nach so vielen Jahren, insgesamt waren es 12 Jahre Ehe, nicht mehr so viel Vergnügen wie mit den Jungfrauen. Die Ehefrau hatte es zu dulden, denn der Ehegatte war jähzornig, wenn er seinen Willen nicht bekam, und Margarete Sophie war wohl auch froh darüber, denn die dauernden Schwangerschaften machten ihr mächtig zu schaffen, und ihre Lust schwand. Es war ihr nur noch eine Pflicht, ihm zu Willen zu sein. So zeugte der Ritter noch weitere 30 Kinder, so wurde ihm nachgesagt.
 
Maria Leppin, die trauernde Schäfersbraut,  klagte den Ritter an, und noch im selben Jahr fand ein Gerichtsverfahren in Dreetz bei Neustadt/Dosse statt. Da es keine Zeugen gab und auch keinen Beweis, verlangte der Richter vom Angeklagten einen Reinigungseid, genannt iuramentum purgationis. Der Ritter schwor, den Schäfer nicht ermordet zu haben. Er brachte Zeugen bei, die seine Unschuld bestätigten, denn Adelige konnten diese bezahlen, und es war nicht schwer, genügend davon zu finden. Bei dem Schwur soll er noch etwas angehängt haben, nach dem „so wahr mir Gott helfe“. Schwöre er einen falschen Eid, dann wolle er, so soll er hinzugefügt haben, dass sein Leib niemals zu Staub werde und sein Geist herumwandeln müsse ohne Ruhe bis zum Jüngsten Tag. So die Sage.
 
Ebenso berichtet die Sage, dass es ein Meineid war, sei schon bald nach seinem Tod klar geworden. Im Alter von 58 Jahren und 8 Monaten trat am 3. November 1702 morgens zwischen 4 und 5 Uhr als Folge eines Blutsturzes sein Tod ein. Die Zeitgenossen berichteten schon kurze Zeit später, er würde am Ort des Mordes des Nachts zwischen 11 und 12 Uhr herumspuken.
 
Da die Kirche für die Aufnahme eines Doppelsarges, so hatte es der Ritter verfügt, und weiterer Särge für jene von Kalebuz zu klein war, wurde ein kleiner Raum angebaut, direkt an der Seitentür, durch die die Gläubigen die Kirche betreten konnten. Dort standen dann 3 Särge fast 100 Jahre lang, bis 1794. Ein paar Jahre vorher war das Rittergut verkauft worden. Die Sippschaft der von Kalebuz war ausgestorben, und der neue Besitzer war der Gemeinde verpflichtet, liess die Kirche im Innern renovieren und wollte den Zustand wieder so herstellen, wie er bei der Errichtung im 13. Jahrhundert gewesen war. Dazu wollte er den Anbau abreissen, die Särge mit den Herren von Kalebuz auf dem Friedhof bestatten.
 
Man öffnete die Särge. In 2 der 3 waren die Toten verwest, aber als sie den Sarg des Ritters Christian Friederich von Kalebuz öffneten, stellten sie fest, dass die Leiche nicht verwest, sondern mumifiziert worden war. Die Haut war auf den Knochen festgetrocknet. An den Stellen des Körpers, wo sich starke Muskeln befanden, war die Haut lederartig, lose und weich. Die Farbe des Leichnams war graubraun, Zähne, Nägel und Haare gut erhalten.
 
Es wurde entschieden, den Leichnam in dem Anbau ruhen zu lassen. Seit der Entdeckung versuchten Ärzte, eine Erklärung für die Mumifizierung zu finden.
 
Die berühmten Ärzte und Professoren Rudolf Virchow (1821‒1902), Ferdinand Sauerbruch (1875‒1951) und andere untersuchten den Leichnam. Die Organe waren, zwar geschrumpft, noch alle vorhanden, eine Einbalsamierung hatte nicht stattgefunden, und noch 1983 gab es am Gerichtsmedizinischen Institut der Charieté in Berlin keine neuen Erkenntnisse, auch mit den modernsten Methoden nicht. Eine vermutete Vergiftung konnte ausgeschlossen werden.
 
Mögliche Gründe für die Mumifizierung gibt es: Christian Friedrich von Kalebuz hatte wahrscheinlich schon länger an einer Krankheit gelitten, die ihn abmagern und weiche Gewebeteile reduzieren liess. Warum sich Fäulnisbakterien nicht ausbreiten konnten, bleibt weiterhin unerklärlich. Der Leichnam ist noch knapp 10 kg schwer. Die Rippen sind durch die mumifizierte Haut zu sehen. Sogar eine Verletzung am rechten Knie aus dem Krieg von 1675 bei Fehrbellin gegen die Schweden ist noch heute zu erkennen. Die Hände sind gefaltet, der Mund leicht geöffnet, so dass man seine Zähne sehen kann. Er sieht friedlich aus, ruhig und gefasst.
 
Noch heute kann man die Mumie, die immer noch im Doppelsarg liegt – der Deckel ist mit einer Glasscheibe versehen worden – besichtigen. In dem kleinen Anbau sitzt eine Dame im oberen mittleren Alter. Sie kassiert pro Person 2 Euro und erzählt stakkatoartig die Geschichte des Ritters Christian Friedrich von Kalebuz. Das Geschlechtsteil ist durch ein gefaltetes Tuch verdeckt, und auf Anfrage erklärt die Dame, dass es noch vorhanden sei, als „ein Streichholz und darunter 2 Perlen“. Gerne erzählt sie die Anekdote, dass eine Besucherin diese Andeutung nicht verstanden habe und nachfragte, sehr zum Amüsement der weiteren männlichen Besucher im Raum, und als einer dieser Motorradfahrergruppe noch verwundert wissen wollte, wie die Fragerin denn zu ihrem Kind gekommen sei, bestätigte sich wieder einmal die Weisheit, in bestimmten Situationen sollte man sich besser das Reden verkneifen!
 
Quelle
Pfarramt Köritz-Kampehl in Neustadt/Dosse und Regional Verlag Ruppin als Herausgeber der Broschüre „Auf den Spuren des Christian Friedrich von Kalebuz“.
Adresse: Kahlbuzgruft, Kampehl 24, D-16845 Neustadt/Dosse.
 
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