Textatelier
BLOG vom: 22.09.2012

Murphys Gesetz und was jeweils in der Erinnerung bleibt

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
Welche Erlebnisse bleiben am längsten in Erinnerung? Bei mir ist es jedenfalls so: Wenn alles so wie gewünscht problemlos abläuft, bin ich zufrieden. In spätestens ein paar Jahren kann ich zwar noch sagen, dass ich beispielsweise an diesem Ort war, dass wir Urlaub gemacht haben, aber sonst weiss ich nicht mehr viel. Anders ist es, wenn etwas „schief gelaufen“ ist, aber das Problem irgendwie gelöst werden konnte. Murphys Gesetz ist bekannt: „Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.“ („Whatever can go wrong, will go wrong.“)
 
Ich möchte von 2 unvergesslichen Städtereisen berichten, die eine beruflich, die andere privat. Beide betreffen eine Tagesreise per Flugzeug vom Flughafen Düsseldorf aus.
 
Vor etwa 2 Jahren bekam ich den Auftrag, in meiner Tätigkeit im Marketingbereich eines grossen deutschen Schulbuchverlags in Leipzig ein Referat zu einem Thema zu halten, worauf ich mich spezialisiert hatte: Deutsch als Fremdsprache. Das Referat war auf 14 Uhr angesetzt, 15 Dozenten für Deutsch als Fremdsprache hatten sich angemeldet.
 
Um Übernachtungskosten zu sparen, hatte ich Tickets für einen Hin- und Rückflug am selben Tag ab Düsseldorf. Ich war gegen 8.30 Uhr früh genug am Flughafen, parkte meinen Wagen im Parkhaus, nahm meine Aktentasche und checkte ein. Bei der Sicherheitskontrolle stellte man fest, dass sich in meiner Tasche ein Schweizer Messer befand, das ich einfach vergessen hatte. Es gibt am Flughafen in Düsseldorf die Möglichkeit, Gegenstände, die nicht mit ins Flugzeug genommen werden dürfen, und die man nicht vernichten lassen möchte, in einen Umschlag zu stecken und diesen dann in einem Briefkasten zu deponieren. Bei der Rückkehr kann man dann den Umschlag gegen eine geringe Gebühr beim Fundbüro des Flughafens wieder abholen. Beim Umschlag ist eine Quittung als Beweis, dass man Eigentümer der Sache ist. Auf dem steht die Telefonnummer und der Standort des Fundbüros. Diese Quittung bekommt man ausgehändigt. Ich deponierte das Messer also in dem Briefkasten und ging durch die Sicherheitssperre.
 
Ich war schon im Bereich, von dem man aus das Flugzeug besteigt, als mir auffiel, dass mein Schlüsselbund nicht mehr da war. Ich suchte alles durch, konnte ihn aber nicht finden. Es war möglich, dass er mir auf dem Weg vom Parkhaus ins Flughafengebäude aus der Tasche gefallen war, ich hatte noch einen Kaffee getrunken, auch dort könnte er liegen geblieben sein, ebenso wie auf einer Wartebank, auf der ich mein Referat noch durchgesehen hatte. Wenn ich angefangen hätte, zu suchen, wäre das Flugzeug ohne mich abgeflogen. So stieg ich beunruhigt ein und flog nach Leipzig.
 
In Leipzig angekommen, rief ich das Fundbüro des Flughafens an, ich hatte ja den Beleg, den ich beim Deponieren des Messers bekommen hatte. Dort war aber noch kein Schlüsselbund abgegeben worden. Mein Kollege in Leipzig diskutierte mit mir, was für Alternativen möglich waren, sollten die Schlüssel nicht wieder auftauchen. Der Rückflug war gebucht, ich würde gegen 21.30 Uhr wieder in Düsseldorf sein. Ich hätte die Möglichkeit, mit dem Zug heimzufahren und am nächsten Morgen mit einem Ersatzschlüssel wieder zum Flughafen zu fahren und den Wagen abzuholen. Ob es um diese Zeit noch eine Zugverbindung geben würde, mit der ich ziemlich umständlich meinen Wohnort erreichen könnte, müsste ich noch feststellen. Ich könnte mir einen Leihwagen nehmen. Ich könnte mit dem Taxi die 35 km zu meinem Wohnort fahren. Es gab also einige Möglichkeiten, aber alle würden erhebliche zusätzliche Kosten und Zeitaufwand verursachen.
 
Ich hielt mein Referat und schaffte es, mir mein Problem nicht anmerken zu lassen. Weitere Telefonate beim Fundbüro ergaben kein Ergebnis. Glücklicherweise war das Büro bis 22 Uhr geöffnet, so dass ich nach der Landung in Düsseldorf noch nachfragen und auch mein Messer wieder in Empfang nehmen konnte. Der Flug zurück verlief ohne Störung. In Düsseldorf ging ich schnurstracks zum Fundbüro. Es war zwar ein Autoschlüssel gefunden worden, aber es war nicht meiner. Ich ging ins Parkhaus, fuhr in die 3. Etage, wo mein Wagen stand. Das Parkhaus war spärlich beleuchtet. Ich ging zu meinem Wagen. Die Fahrertür liess sich öffnen, der Schlüssel steckte im Zündschloss.
*
Auch die 2. Städtereise sollte eine Tagestour sein. Ich bin seit vielen Jahren ehrenamtlicher Betreuer, die frühere Bezeichnung war Vormund, eines geistig behinderten Mannes, nennen wir ihn Franz. Mein Mündel hatte bisher immer Flugangst. Aber da seine Freundin schon 2 Mal eine Flugreise unternommen hatte und er fest entschlossen war, demnächst einmal eine Reise mit ihr zu unternehmen, wollte er seine Flugangst überwinden. Franz kann sich mit einem geringen Wortschatz verständigen.
 
So kam ich auf die Idee, als Geburtstagsgeschenk mit ihm einen Tagesausflug zu unternehmen und fand im Internet ein günstiges Sonderangebot für einen Flug mit der Lufthansa von Düsseldorf nach Hamburg. Glücklicherweise war eine Woche vor dem Flug der Tarifstreit des Kabinenpersonals der Lufthansa nach einem Streik mit einem Abschluss beendet worden.
 
Der Flug sollte am Samstagmorgen um 8.15 Uhr starten, der Rückflug würde bereits um 16.30 Uhr stattfinden. Ich musste Franz abholen, mit ihm zum Flughafen fahren. Er war früh genug aufgestanden, was schon eine Leistung war, denn er lebt im „betreuten Wohnen“ allein. Wir waren rechtzeitig am Flughafen. Alles klappte, das Einchecken, die Sicherheitskontrolle.
 
25 Minuten vor dem Einstiegstermin teilte man uns mit, dass das Flugzeug technische Probleme habe, wann wir einsteigen könnten, wollte man uns um 8.15 Uhr mitteilen. Kurz nach 8 Uhr unterrichtete uns der Kapitän, dass das Flugzeug in den Hangar geschleppt werden müsse und man über ein Ersatzflugzeug nachdenke. Einige Zeit danach teilte man den Passagieren mit, dass es einen Flug geben würde, der um 10.00 Uhr stattfinden würde, und man könnte uns alle darin unterbringen. Ich holte die neuen Bordkarten ab, und wir warteten.
 
Die uns verbleibende Zeit in Hamburg wurde dadurch zwar kürzer, aber das Wichtigere war ja der Flug. Das Ersatzflugzeug hob zur vereinbarten Zeit ab, ein wenig ängstlich beim Aufstieg, aber dann genoss Franz den Flug, der Blick nach unten, die herrliche Wolkendecke von oben, waren beeindruckend. Die Flugbahn dieser Kurzstrecken, nach Hamburg sind es 55 Minuten Flugzeit, kann man mit einem gleichschenkligen Trapez vergleichen, ein steiler Aufstieg, dann 20 Minuten in der erreichten Höhe, dann der Landeanflug. Der Abstieg durch die Wolkendecke war ein paar Minuten lang turbulent, doch das ging schnell vorbei, ebenso die Angst.
 
In Hamburg angekommen, wollten wir, so hatte ich es geplant, mit der S-Bahn zu den Landungsbrücken, ein Ausflugsziel für Touristen, fahren, um uns dort den Hafen und die Schiffe anzusehen. Für eine Hafenfahrt war keine Zeit mehr, aber für einen Aufstieg auf den Turm, den „Michel“, der St. Michaeliskirche, sollte es reichen.
 
Im S-Bahnhof, direkt am Flughafen, wartete eine Bahn. Franz setzte sich bereits ins Abteil, ich löste noch eine Fahrkarte. Es dauerte ein paar Minuten, zu lange, denn plötzlich schlossen die Türen, und der Zug setzte sich in Verbindung, Franz darin und ich auf dem Bahnsteig. Eine vollkommene fremde Stadt, ein Mann, der die Ansagen nicht begreifen konnte, Analphabet, sass allein in einer Bahn, die sowohl unter als auch über der Erde fuhr, was er bisher noch nie erlebt hatte. Ich hoffte, er steige an der nächsten Haltestelle aus, und ich nahm die nächste Bahn. An der folgenden Haltestelle war er nicht; ich stieg wieder ein. Dann bekam ich einen Anruf von meiner Frau, ein Mann habe sich gemeldet, ein Behinderter habe ihn gebeten, anzurufen. Die recht einfache Festnetznummer von mir hatte Franz im Kopf, aber er hatte selbst kein Handy dabei. Ich setzte mich mit dem Mann in Verbindung. Er berichtete mir, ein Angestellter der S-Bahn und die Bahnpolizei hätte meinem Mündel geraten, bis zur Endstation zu fahren. Diese Bahn würde bis Blankenese fahren, 16 weite Stationen entfernt. Ich fuhr ebenso nach Blankenese, meine Bahn fuhr allerdings noch 3 Stationen weiter.
 
In Blankenese angekommen, fand ich den Gesuchten nicht, weder auf den Bahnsteigen, noch vor dem Bahnhof. Dann entdeckte ich an einer Wand eine Telefonnummer der S-Bahnverwaltung, die man bei Problemen kontaktieren konnte. Ich rief an, eine sehr nette Stimme meldete sich, wir diskutierten schon Massnahmen, die unternommen werden sollten, um ihn wieder zu finden. Da hielt die nächste Bahn, Franz und ein Begleiter der Bahn stiegen aus, und er rief erfreut: „Das ist mein Betreuer!“ Er war wieder da, aber wir hatten wieder eine Stunde Besichtigungszeit verloren. Wir fuhren zu den Landungsbrücken, auch sie waren eine Haltestelle der Linie, besuchten das Hafengebiet, liefen danach zum „Michel“, fuhren mit dem Lift nach 20 Minuten Wartezeit zur Turmspitze hinauf und hatten einen herrlichen Rundblick über Hamburg. Es blieb noch Zeit, um Souvenirs zu kaufen. Dann fuhren wir zurück zum Flughafen.
 
Dort entdeckte ich, aus welchem Grund Franz später in Blankenese angekommen war als ich. Die Gleise zum Flughafen waren eine Sackgasse. An der ersten Station danach hatte sein Zug gewartet und war mit einem weiteren Zugteil, das aus der anderen Richtung kam, angekoppelt worden. Die Bahn hatte also auf dem Bahnsteig gestanden, auf dem ich ihn gesucht hatte.
 
Bei der Rückfahrt wurde der hintere Teil der Bahn am Knotenpunkt abgekoppelt, das entdeckte ich nur zufällig. So mussten wir bei jeder Haltestelle aussteigen und schnell in einen Waggon nach vorn wieder einsteigen, bis wir den Teil des Zugs erreicht hatten, der zum Flughafen fuhr. Es ist uns gelungen.
 
Noch im Flugzeug erklärte mir Franz, wie sehr ihm der ganze Tag gefallen habe, besonders der Flug. Ihm wichtig waren viele Fotos, die ich von ihm im Flughafen, im Flugzeug und in Hamburg geschossen hatte, und darauf freute er sich.
 
So ganz stimmt Murphys Gesetz nicht. Es war zwar einiges schief gegangen, aber vieles auch nicht, und am Ende war alles wieder „im Lot“ und zu einem glücklichen Ende gekommen. Und vergessen kann ich die beiden Vorfälle auch nicht mehr!
 
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