Textatelier
BLOG vom: 25.10.2012

Gar nicht schaurig ist es, übers Hohe Venn (B) zu gehen

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
Das heutige Ausflugsziel liegt nicht weit weg von Aachen D, hinter der Grenze zu Belgien, in der Nähe der Stadt Eupen. Die Grenze erkennt man nur am Landeskennzeichen B auf dem Strassenschild, noch lange Zeit sind die Bezeichnungen an den Häusern, den Werkstätten und Geschäften in deutscher Sprache. Eupen ist ein Ort in der Provinz Lüttich/Liege/Luik. Die ehemals preussischen Landkreise Eupen und Malmedy wurden 1920 nach dem Versailler Vertrag von Deutschland abgetrennt. Eupen nennt sich „Hauptstadt mit Regierungssitz der deutschsprachigen Gemeinschaft“; die Regierung tagt in einem Residenzgebäude aus dem 18. Jahrhundert.
 
Der Deutsch-Belgische Naturpark hat etwa die Form der Bundesrepublik im Kleinen, aber gespiegelt betrachtet. Er ist riesig, 2700 km2 gross. Ein Teil davon gehört zu Belgien, das „Hohe Venn“ (frz. Hautes Fagnes), das 4500 ha umfasst. Venn, Feen (ndl. Veen) bedeutet Moor, und hier handelt es sich um ein Hochmoor.
 
An diesem sonnigen Herbsttag starten wir unsere Wanderung 694 m über Normalnull (NN, bis 1992 amtliche Bezugsfläche für Höhen über dem Meeresspiegel in Deutschland) und damit an der höchsten Erhebung in Belgien, in Botrange.
 
Am Signal de Botrange befinden sich ein Restaurant und ein grosser Parkplatz. Die Dame im Touristenbüro nebenan empfiehlt uns eine 9 km lange Wanderung.
 
Das Gedicht von Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) kommt mir in den Sinn: 
Der Knabe im Moor
O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt,
O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!“
 
Gar nicht „schaurig“ ist’s! Es hatte zwar noch am Morgen und in den letzten Tagen geregnet, aber heute Vormittag ist es klar und sonnig. Im dichten Nebel wäre es ein wenig unheimlich, wenn man kaum die Hand vor den Augen sieht und darauf achten muss, auf dem Weg zu bleiben.
 
Auf den Weg achten muss man aber auch am helllichten klaren Tag. Zwar ist ein Grossteil des Wegs mit einem hölzernen Steg versehen. In den Boden wurden Pfähle gerammt und darauf gesägte Holzbalken gelegt.
 
An manchen breiteren Stellen sind diese sogar durch Längsbalken abgegrenzt. Es gibt aber auch schmalere Stege. Manchmal sind die Hölzer durchgebrochen oder der Steg hört abrupt auf. Dann muss man sich auf einem matschigen, mit Pfützen versehenen Waldboden einigermassen trockene Stücke suchen. Es kann schon vorkommen, dass man bis zum Knöchel im Matsch stecken bleibt. Deshalb sind Wanderschuhe oder -stiefel sehr zu empfehlen.
 
Die Wege sind meistens gut ausgeschildert; nur ab und zu muss man ein wenig raten, wo es weitergeht. Rechts von uns ist das Fagne Wallonne. Der Blick geht über ein riesiges leicht hügeliges Gebiet mit Torfmoos und mir Wollgras bewachsen; die Gräser sind dunkel-sandig-gelb und schwanken im Wind, ab und zu erheben sich daraus vereinzelte Waldweiden, Birken oder Fichten. Im letzten Jahr hatte es gebrannt, was man nur noch an einigen verkohlten Baumresten erkennen kann.
 
Tiere sind nicht sichtbar, mit Ausnahme von ein paar dicken, braunen, haarigen Raupen, die auf den Balken laufen, ungeachtet der Gefahr, von den Wanderern zertreten zu werden. Ein paar Vögel kreisen über dem Gelände.
 
Dafür sind am Waldrand verschiedene Stellen mit Pilzen zu entdecken: eine Dreiergruppe wunderschöner junger kugeliger Fliegenpilze, Steinpilze, Stockschwämmchen, Schwefelköpfchen, Helmlinge und Korallenpilze.
 
Es gibt Heidelbeer-, Preiselbeer- und Rauschbeersträucher. Wollgräser sind für Torfmoore typische Pflanzen mit weissen Büscheln aus seidigen Haaren, an denen die Samen befestigt sind, ja „die Ranke häkelt am Strauche“.
 
An einzelnen Stellen rauscht es unter dem Steg; der Bach darunter versteckt sich unter den Gräsern. Der Boden ist schwarz und nass. Würde man sich darauf wagen, könnte man sehen, wie „unter jedem Tritte ein Quellchen springt.“
 
Dabei heisst es auf einer der am Wegesrand stehenden Tafeln, dass sich das Torfmoor noch im Entstehen befindet. Es ist ein saurer Boden, der wenig Bakterien enthält. Die Torfmoore und Gräser werden teilweise zersetzt und sammeln sich in Schichten an, hier momentan etwa 80 cm dick. Sie nehmen pro Jahr um zirka 1 mm zu und können bis zu 7 m Dicke erreichen.
 
Die Gegend sah vor dem 17. Jahrhundert noch ganz anders aus. Sie war ein riesiger Buchenwald, der für die Nutzung als Bauholz und Holzkohle abgeholzt worden ist. Grenzsteine aus dem 18. Jahrhundert zeigen Grenzverläufe zwischen Luxemburg, Limburg und Stavelot an. Damals gehörte das Gebiet unter Kaiserin Maria-Theresia zu Österreich.
 
Das Wasser ist sauer und enthält wenig Mineralstoffe, ausreichend nur für wenige Algen und kleine Wirbellose.
 
Auf den kleinen Tümpeln und an Wasserläufen bilden sich Schaumkronen, keine Wasserverschmutzung, sondern pflanzliche Saponine (ungesäuerte Fettsäuren), die im Wasser enthalten sind. Der weisse Schaum fühlt sich fettig an.
 
Der Blick über die Landschaft ist umwerfend schön. Weit hinten sieht man die Begrenzung durch Wald. Wir geniessen die Stille. Von der lärmenden Durchgangsstrasse etwas weiter weg ist es ganz ruhig, nur der Wind „knistert mit dem Röhricht im Hauche“.
 
Etwa zur Hälfte der Wanderung muss die Strasse überquert werden. Auch hier bei La Baraque Michel, gibt es das gleichnamige Restaurant, in dem man leckere „belgische Fritten“ essen kann, aber auch Kaffee und Patisserie sowie belgische Törtchen erhält. Man kann auch „Spa-Wasser“ trinken; der Ort Spa ist nicht sehr weit von hier entfernt und gehört ebenfalls zur Provinz.
 
Vorbei geht es an einer kleinen Kapelle und wieder hinaus ins Venn, das sich beidseitig des Weges erstreckt, soweit das Auge reicht. Der Steg ist so schmal, dass man die Wanderer, die uns begegnen, an „Nothaltebuchten“ vorbeilassen muss.
 
Das letzte Stück führt durch einen kleinen Fichtenwald, bevor man wieder den Parkplatz erreicht.
 
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