Textatelier
BLOG vom: 10.01.2013

Die Intarsie: Das aus dünnstem Holz geschaffene Bild

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
 
Wieder einmal erlebte ich, wie Faszination aufkommt, wenn Primo Lorenzetti seine Furnierschätze ausbreitet. Die Verantwortliche, die eine Bild-Ausstellung seiner Intarsien plant und begleiteten wird, war in die Werkstatt gekommen.
 
Noch unter der Tür stehend, bemerkte ich ihr begeistertes „Oh“, als sie das kreative Chaos wahrnahm. Obwohl der Raum klein und verstellt ist, strahlt er aus. Und viele Objekte, die hier zu sehen sind, weisen den Künstler auch als Tüftler aus. Fertiges und Angefangenes steht oder liegt nebeneinander. Nur weil hier keine sterile Ordnung herrschen muss, können sich Experimente entwickeln. Ähnlich wie Hefe, die Zeit und Geduld fordert, wenn sie aufgehen soll.
 
Einige Intarsien hatte Frau R. schon gesehen. Nun wollte sie wissen, wie solche hergestellt werden.
 
Der Bildinhalt dieser Holzflächenkunst wird mit Furnieren gestaltet. Im Furnierwerk werden Bäume zu feinsten Blättern geschnitten. So dick wie dünner Karton. In den 1950er-Jahren waren diese noch 2‒3 mm dick. Heute arbeitet Primo mit Blättern aus 6/10 mm, also etwas mehr als einem halben Millimeter Dicke. Frau R. reagierte begeistert auf die verschiedenen Holzfarben und auch auf die Art des Furniers, wie es geschnitten wird: hauptsächlich längs durch den Baumstamm, aber auch geschält, wenn die Holzsubstanz wie Papier ab einer Rolle abgezogen wird. Birkenfurnier wird oft so hergestellt.
 
Und dann die Farben: Wer nicht verschiedene Hölzer nebeneinander sehen kann, ist sich gar nicht bewusst, wie farbenreich die Facetten sind, besonders von Bäumen aus anderen Erdteilen. Noch vor dem rücksichtslosen Abholzen der Regenwälder wurden Hölzer aus diesen Gebieten wie Edelsteine behandelt.
 
An diesem Morgen leuchtete aus allen andern das violette Furnier des Amaranth-Holzes hervor, im deutschen Sprachraum als Violetta gehandelt. Viel beachtet ist auch das rot-orange Padouk, das wir auch Korallenholz nennen.
 
Ist es da verständlich, dass mit diesen Farben gespielt wird? In seiner über 50-jährigen Tätigkeit als Möbelschreiner und Holzgestalter hat sich Lorenzetti, ergänzend zu den präzisen Wünschen der Kundschaft, immer auch mit den Furnier- und Holzabschnitten beschäftigt. Äste, knorrige Teile, auch Reststücke von besonderen Farben oder Maserierungen regten ihn an, ihre Schönheit in Intarsien darzustellen.
 
War die ursprüngliche Form der Intarsie früher immer einem bestimmten Bildinhalt gewidmet, fällt diese heute dahin. Man stellte Landschaften, Gebäude, Persönlichkeiten, Pflanzen, auch Symbole dar. Dafür ist heute die Fotografie zuständig.
 
Lorenzetti-Intarsien sind mehrheitlich zufällige Kompositionen, ein Spiel mit vorhandenem Abschnittmaterial, auf der Suche nach Rhythmen und Perspektiven. Auch als eine Art Gespräch mit den Hölzern und mit Fragen an sie, ob sie bereit und fähig seien, Räumlichkeiten zu gestalten. Und daraus entwickeln sich manchmal Offenbarungen. Diese Intarsienart wirkt auf jede Person individuell. Sie spricht innere Bilder ihres Gegenübers an.
 
Für eine Intarsienkomposition müssen die einzelnen Furnierstücke fugenlos zusammengefügt und mit papierenen Klebstreifen festgehalten werden. Diese so entstandene Fläche wird dann auf eine entsprechend grosse Trägerplatte geleimt, also furniert. Anschliessend geschliffen und lackiert.
 
Und noch ein Blick zurück: Es ist bekannt, dass schon die Ägypter die Intarsie kannten. Und in Italien sind viele Intarsienarbeiten aus der Renaissancezeit gut erhalten. Dass sie überhaupt hergestellt werden konnten, setzte die Leimherstellung voraus. Fischer von damals sollen im erkalteten Fischsud die schwabblige Sulz entdeckt und bemerkt haben, dass diese aushärtet. Aus solcher Sulz (Sülze) als Grundmaterial entstanden nach und nach die Leime für Papiere, Hölzer, Leder und Stoffe.
 
Vor Jahrzehnten, als ich wieder einmal in die Werkstatt kam, öffnete Primo 2 Schränke und zeigte mir seine Schätze. Er sagte dazu: Hier siehst Du, woran ich jeweils arbeite, wenn der Chef nicht da ist. Er, der selbständig Erwerbende, sein eigener Chef.
 
Es waren alles Intarsien, mit denen er sich damals von der traditionellen Darstellung verabschiedete. Auch er hatte ursprünglich gegenständliche Intarsien geschaffen. Z. B. das Grossmünster, eine Flusslandschaft, der Tierkreis auf dem Esstisch einer Kundschaft usw. Als ich diese neuen Bilder sah, spürte ich seinen Drang, dem Holz zu mehr Geltung zu verhelfen. Nicht in erster Linie dem Bild, sondern dem Material, mit dem es gestaltet worden ist. Und noch heute möchte er Möglichkeiten aufzeigen, die die nüchterne Innenarchitektur auf schlichte Art bereichern kann. Und dafür arbeitet er immer noch.
 
Hinweis auf einen Textatelier.com-Bericht über P. Lorenzettis Werkstatt
 
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