Textatelier
BLOG vom: 14.01.2013

Mali: Die Alt-Kolonisten und Jung-Rebellen im Wüstenstaat

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Rebellen schlecht, Al-Kaida-verdächtig, also: globale Terrorgefahr. Regierung und Regierungstruppen gut. Also braucht die Regierung in Westafrika selbstlose Unterstützung durch die westliche Wertegemeinschaft.
 
Das ist das simplifizierte Bild, das uns von den Medien über die momentanen Geschehnissen im westafrikanischen Staat Mali an den Kopf geworfen wird. Und wir sollen den Franzosen und ihrem Präsidenten François Hollande zujubeln, dass er, einer plötzlichen Eingebung (entgegen allen Ankündigungen) folgend, Truppen nach Mali zur Rebellenvernichtung gesandt hat. Die Frage, ob sich der Schuldenstaat Frankreich einen Krieg von unbestimmter Dauer überhaupt leisten kann (mit masslosen Steuererhöhungen werden die Wohlhabenden vertrieben), ist schnell beantwortet: sicher nicht. Dennoch: Der Krieg muss sich lohnen – es geht um Rohstoffe wie Uran, das Frankreich und der Westen für seine Atomwaffen und die zahlreichen Kernkraftwerke braucht. Die Uran-Abbauregion befindet sich ausgerechnet in der umstrittenen Nordregion des Landes, die Azawad genannt wird. Frankreich verfolge keine Sonderinteressen, sagte der Präsident der Grossen Nation, damit kein Verdacht aufkommt.
 
Zudem befinden sich im Grenzgebiet von Mali mit Guinea und Senegal und wiederum im Norden des Landes Erdölvorkommen. Und begehrte Phosphatabbaustätten sind ebenfalls vorhanden; Phosphat ist rar, gefragt (Dünger, Waschmittel- und Lebensmittelzusätze und industrielle Anwendungen). Hollande sprach deshalb von Mali als einem „befreundeten Staat“ – und unter Freunden hilft man sich doch.
 
Die Tuareg, die als ehemalige Landesherren schon lange für eine Anerkennung ihrer Lebensweise als Nomaden kämpfen, hatten dieses Gebiet im April 2012 als unabhängig erklärt und wurden von Islamiten verdrängt. Natürlich werden andere Beweggründe für die militärische Intervention vorgeschoben, wie etwa, dass es um die Sicherheit von Frankreich und Europa gehe, wie Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian meldete. Der Grund dafür muss zusammengebastelt werden: Mali könnte zu einer „Hochburg des internationalen Terrorismus“ werden. Die höchste Stufe Wachsamkeitsstufe „écarlate“ (akute Bedrohung) mochte aber Hollande noch nicht ausrufen. Man kann ja alles übertreiben.
 
Grossbritannien möchte auch auf Nummer Sicher gehen und sich ebenfalls einen Happen sichern, und es ist zu erwarten, dass auch aus der Kriegsnation USA Spezialeinheiten mit modernen Waffen eintreffen werden, was halt eine solche „Friedenstruppe“ eben so braucht. Eine Gelegenheit zum Drohnen-Testen obendrein. Solche Gelegenheiten wird man sich wohl nicht entgehen lassen. Die EU will Militärberater entsenden, damit die Armee schlagkräftiger wird. Die Uno hat um die Weihnachtszeit 2012 den Weg für Interventionen geebnet.
 
Ein Blick zurück
Im Gebiet des heutigen Mali (bedeutet „Nilpferd“) war der Islam bald nach seinem Entstehen stark verbreitet; das ist noch heute so: Die überwiegende Bevölkerungsmehrheit huldigt dieser Religion; die Christen sind eine verschwindende Minderheit. Vom 11. Jahrhundert bis 1893 war Mali ein islamisches Grossreich mit verschiedenen Machtzentren und wechselnden Herrschaftsdynastien. 1893 wurde es mit der Eroberung von Timbuktu zur Kolonie Frankreichs, zu Französisch-Sudan. Die Kolonialzeit dauerte bis zum 22.09.1961.
 
Mali ist ein riesiger, von rund 11 Millionen Menschen dünn besiedelter und armer Wüstenstaat. Er umfasst 1.24 Mio. km2, wovon 60 % Wüste; Mali gehört zu den trockensten Ländern Afrikas mit ausgedehnten Dürreperioden. In diesem Land leben gewissermassen als Restbestand aus dem Kolonialzeitalter noch etwa 6000 Franzosen – Frankreich hat im Rohstoff-reichen Mali grosse Investitionen getätigt. Der Staat Mali ist aus einer kolonialen, wenig einfühlsamen Grenzziehung am Reissbrett entstanden, wie sie überall zu Problemen und Unruhen geführt hat.
 
Beispielsweise bildete die neue malisch-mauretanische Grenze schon in der Mitte der 1940er-Jahre ein Streitanlass zwischen den beiden Teilen Französisch Westafrikas. Die Kolonialherren in Paris lösten die Hodh-Region von Mali und schlugen sie Mauretanien zu, wie es führende mauretanische Politiker schon lange gefordert hatten. Mali beklagte den Territorialverlust, insbesondere, weil damit wichtige Wasserstellen verloren gingen. Eine Einigung wurde anfänglich von Marokko verhindert, das an Mauretanien (unabhängig seit 28.11.1961) Gebietsforderungen stellte. Marokko organisierte von malischem Boden aus Guerillaüberfälle auf mauretanische Dörfer, und so verschlechterten sich die Beziehungen zwischen den Nachbarländern dramatisch. Das Grenzabkommen von Bamako (= Krokodilrücken); benannt nach der Hauptstadt von Mali (heute mit über 1 Mio. Einwohnern), verbesserte die Beziehung Mali/Mauretanien und isolierte Marokko.
 
Ruhe vor dem Sturm
Seither hatte man das Gefühl, Mali entwickle sich recht ordentlich zu einer Präsidialdemokratie nach französischem Muster: eine Zentralregierung mit einer Aufgliederung in 8 Regionen. Die Regierung ist mit dem Westen freundlich verbunden.
 
In den 1990er-Jahren kam es zu Aufständen der Tuareg. Und in diesem Staat der Muslime sollen vor etwa 10 Monaten zuerst die Tuareg und anschliessend „islamitische Rebellen“ zu wüten begonnen haben. Laut Hollande ist Mali einer „Aggression von terroristischen Elementen aus dem Norden“ des Landes ausgesetzt, deren „Brutalität und Fanatismus“ bekannt seien. Genannt werden 3 rebellische Gruppierungen: Ansar al-Dine, sodann die Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (Mujao) und al-Kaida im Maghreb (AQIM). Sie gelten als verspätete Trittbrettfahrer der Tuareg-Rebellen, die im März 2012 das riesige Gebiet, den Nordteil von Mali, in nur 3 Monaten erobert hatten. Die Wüstennomaden hatten das Gebiet vor dessen Kolonialisierung beherrscht. Nach der Ausrufung eines unabhängigen Staats Azawad wurden die Tuareg von den Islamistengruppen vertrieben. Diese zerstörten in der inzwischen verarmten Weltkulturerbe- und Oasenstadt Timbuktu brutal jahrhundertealte Mausoleen islamischer Gelehrter und andere Kulturschätze, Proteste aus aller Welt ignorierend. Die Scharia mit Körperstrafe, strengen Bekleidungsvorschriften, Musikverboten usf. wurde durchgesetzt. Steinzeitislamismus.
 
Die islamitischen Rebellen rückten nach Süden vor, nahmen die Stadt Konna ein. Dann überlief das Fass: Mit französischer Luftunterstützung startete die malische Armee eine Gegenoffensive, wobei Konna zurückerobert wurde. Bereits sind über 100 Opfer zu verzeichnen. Frankreich hat vorerst 550 Soldaten im Einsatz; immer mehr Länder schicken Verstärkung. Deutschland verhielt sich geschickt und liess es bei einer moralischen Unterstützung bewenden.
 
Die Heimkehr der Söldner?
Aber was sind islamitische Rebellen in einem islamitischen Staat, in dem viele unterschiedliche Volksgruppen leben? Die Gruppen: Bambara, Malinke, Peul (Fulbe), Sonrhai, Sarakollé, Tuareg, Bobo, Dogon, Senufo und Bozo.
 
„Die Welt am Sonntag“ hat in ihrem Leitartikel vom 13.01.2013 möglicherweise die Lösung gefunden. Michael Stürmer schrieb: „Die Krise spitzte sich zu, seit die geschlagenen und brotlos gewordenen Söldner Gaddafis gen Süden in die Wüste gingen und dabei alles an Waffenvorräten mitnahmen, was nicht niet- und nagelfest war. Diese Invasion traf die Republik Mali unvorbereitet. Der Norden des Landes erwies sich als leichte Beute der Islamiten. Sie errichteten, wie vor bald 20 Jahren die Taliban in Afghanistan, ein Schreckensregiment.“
 
Dann wäre es also kein Bürgerkrieg, sondern ein von aussen eingeschleppter Eroberungskrieg einer kleinen Gruppe. Aber auch das muss wahrscheinlich differenziert werden: Die meisten Söldner Muammar Gaddafis rekrutierten sich aus dem libyschen Nachbarländern Mali und Niger. Das würde bedeuten, dass den potenziellen malischen Rebellen aus ihrem Söldner-Dasein nun plötzlich Restbestände von Waffen zur Verfügung standen, die sie zur Eroberung von Nord-Mali einsetzten.
 
Solche Kriege sind in Afrika, das die Kolonialzeit noch nicht verdaut hat, keine Seltenheit. Unterschiedlich ist einzig das Interesse, das ihnen die ehemaligen Kolonialisten als Ausbeuter von Afrika entgegenbringen, je nach Rohstoff-Reichtum und ähnlichen Vorzügen. Man wird in den nächsten Tagen genau hinsehen und aufgrund der vorliegenden rudimentären Kenntnisse kritisch überprüfen müssen, was uns die eingebetteten Medien als Einheitsfrass vorwerfen werden.
 
Quellen
Pfetsch, Frank R (Herausg.): „Konflikte seit 1945. Schwarzafrika“, Verlag Ploetz, Freiburg im Breisgau und Würzburg 1990.
Verschiedene Medienberichte und Agenturmeldungen.
 
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