Textatelier
BLOG vom: 17.06.2013

Volksaufstand in der DDR: 60 Jahre nach dem 17.06.1953

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
In diesen Tagen „begehen“ wir den 60. Jahrestag des Aufstandes. Ich kann mich an diesen in der Bundesrepublik begangenen „Feiertag“ erinnern. Eine Zeitlang wurden „zur Mahnung“ und „als Zeichen der Gedanken an die Brüder und Schwestern“ in der sogenannten ‚Deutschen Demokratischen Republik’ (DDR) überall in der Bundesrepublik Kerzen ins Fenster gestellt.
 
Der Tag wurde in Zeiten des Kalten Kriegs von der DDR-Führung als „konterrevolutionärer Putsch“ bezeichnet. Dabei war es zuerst einmal ein Aufstand gegen verschärfte Arbeitsnormen, niedrige Löhne, erhöhte Preise, ungenügende Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln. Erst danach gab es die Forderung nach freien Wahlen und einer anderen Regierung. Die Konsequenz war ein Eingreifen des sowjetischen Militärs, denn im Grunde war die SED-Führung nichts anderes als eine Marionette der Sowjetunion. Sie hatte „vom Westen“ auch nichts zu befürchten, wie Günter Grass betont: Beim Eingreifen der sowjetischen Panzer am 17. Juni habe man gewiss sein können, „dass von amerikanischer, britischer und französischer Seite nichts geschehen würde wie 1956 beim Posener Aufstand in Polen und beim ungarischen Volksaufstand, 1961 beim Bau der Mauer und 1968 in der Tschechoslowakei". „Jedes Mal hat der Westen den Status quo respektiert nichts ist geschehen.“
 
Gewiss, die SED-Führung hat eine Wiedervereinigung auch schon direkt nach dem Krieg abgelehnt und – siehe oben – ablehnen müssen.
 
Diesen Tag in der Bundesrepublik „Tag der deutschen Einheit“ zu nennen, dem könnte man noch zustimmen, denn es wurde auch die Forderung nach gesamtdeutschen Wahlen erhoben, wenn auch erst an nachrangiger Stelle. Jedenfalls kann man die Tage des Aufstands nicht als Revolution bezeichnen.
 
Vergleiche hinken immer, aber die derzeitige Auseinandersetzung der türkischen Bevölkerung mit ihrer Regierung kann man auch als Aufstand bezeichnen. Was als Protest gegen die Überbauung des Parks in der Nähe des Taksim-Platzes in Istanbul begann, steigerte sich zur Forderung nach mehr Demokratie. Die staatliche Macht schlägt zurück, wie sie es schon immer und überall bei Aufständen getan hat, aus welchen Gründen sie auch immer ausgebrochen sind. Ob diese Erhebung nach Ablösung der derzeitigen Regierung in der Türkei auch ein Feiertag wird? Ich wage das zu bezweifeln!
 
Den Führern und Akteuren der berechtigten Aufstände ist immer Respekt zu zollen, wenn sie sich nicht von fremden Mächten manipulieren lassen (Syrien). Sie kämpfen für ihre Interessen und Rechte. Viele verloren dafür ihre Freiheit, ihre Gesundheit, manchmal sogar ihr Leben.
 
Dass der 17. Juni 1953 in der Bundesrepublik ein Feiertag wurde, ist vor allem der Tatsache der Auseinandersetzung zweier Gesellschaftssysteme, die sich im feindlichen „Wettbewerb“ gegenüber standen, zu verdanken. Einer Anerkennung als Volksaufstand, wie der Bundespräsident Joachim Gauck sich das wünscht, ist nichts entgegenzusetzen.
 
Aber warum 60 Jahre danach die Deutschen den Akteuren noch „Beistand schuldig“ sein sollen und dieser Tag als „Signal für viele Freiheitsbewegungen“ zu gelten hat, erschliesst sich mir nicht. Ebenso wenig wie die Aussage des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, der Tag sei „ein Schlüsseldatum der europäischen Geschichte“.
 
Es wäre interessant, mitzuerleben, wie Joachim Gauck reagieren würde, wenn die Deutschen in diesem Jahr einen Volksaufstand machten, der sich gegen soziale Ungerechtigkeit, Schuldenmachen, Lohndumping und andere Missstände im Lande erheben würde. Ob er auch zustimmen würde? Wird durch die Aufwertung des 17.06. als Gedenktag, lange nach der Beendigung des Kalten Kriegs und der DDR, die Freiheit, dass sich die Bevölkerung gegen die Politik ihrer Regierung erheben kann, ebenso legitimiert?
 
Quellen
 
 
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