Textatelier
BLOG vom: 30.09.2013

Das Klettergerüst: Das ständige Auf und Ab im Leben

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Ein altes, eisernes Klettergerüst steht verlassen in einem Winkel des Gartens. Brennnesseln sind unter ihm in die Höhe geschossen. Die Winde klettert an ihr hoch. Zuoberst überdecken Tannenzweige den Turm. Meine Söhne und Nachbarkinder verweilten im Gerüst am liebsten ganz oben. Das Klettergerüst gewährte ihnen Aussicht und war, während der Fussballspiele, dem Schiedsrichter vorbehalten. In der Mitte ist eine Stange angekettet, auf der die Kinder hin und her schwangen. Der blaue Anstrich ist inzwischen grösstenteils abgeblättert und durch Rost ersetzt. Einst schlug ich vor, dieses nutzlose Gerät zu entsorgen. Meine erwachsenen Söhne wollten davon nichts wissen. Die Kletterstange war und bleibt ein Teil ihrer Kindheit.
 
Für mich gab es als Kind ebenfalls ein Klettergerüst: Die querliegenden Stangen auf der rechten und linken Seite waren für die Wäsche bestimmt. An Waschtagen flatterten dort Hemden, Hosen, Socken und Bettwäsche, durch hölzerne Wäscheklammern vor dem Wind gesichert. Ich hielt die Seilspule, wenn mein Vater das Seil auf beiden Seiten rund um die Haken wickelte. Und war die Wäsche trocken und versorgt, oblag es mir, das Seil wieder ordentlich auf die Spule zu wickeln, einsatzbereit für den nächsten Waschtag. Auch ich sass gerne oben auf der Stange oder turnte recht waghalsig auf ihr herum, rund herum, hin und her. Ich war ein Akrobat. Manchmal scheint mir, dass ich ein Akrobat geblieben bin – heute im Wortgerüst.
*
Wir alle klettern in unserem Leben wie auf einem imaginären Klettergerüst. Nur ist dieses Klettern nicht mehr so lustig wie damals. Es ist mit Pflichten verbunden, zuerst in der Schule und später im Berufsleben. Jedem wird davon ein Teil aufgebunden.
 
Das dreieckige Klettergerüst im Garten hat 3 Treppen mit je 6 Stufen in Form von Stangen und verengt sich nach oben. Querleisten sichern die Konstruktion. 3 gegen das Zentrum des Gerüsts gebogene Stangen bieten Sitzplätze für 3 Knirpse.
 
Ehrgeizige klettern zielbewusst an ihrer Kletterstange hoch – Karriere genannt. Längst nicht jeder Aufsteiger erreicht den obersten Sitz. Sie müssen sich mit der 1. oder 2. Stufe begnügen.
 
Die Mehrzahl klettert überhaupt nicht. Sie verdienen redlich ihren Lebensunterhalt und bescheiden sich. Das genügt ihnen. Zum Glück bleiben höhere Positionen nicht allein den Ehrgeizigen vorbehalten.
 
Es liegt an uns, wie wir uns auszeichnen wollen. Nicht jeder Orchesterspieler wird ein Solist. Das mag vom Talent abhängig oder kann von Umständen bestimmt sein. Die Freude am Zusammenspiel an sich ist befriedigend. Glücklich und bevorzugt ist jeder, der seiner Aufgabe, gleich welcher Art, Freude abgewinnt. Er gehört zu den Privilegierten.
 
Ich bin dankbar, dass mir Fortuna im Beruf zugeblinzelt hat. Aber am glücklichsten bin ich in meinen Tummelplatz als Wortschmied. Eben wie heute, wie ich diesen Text beschliesse. Das bedingt nur eine wesentliche Triebfeder: Die Neugier, verbunden mit dem Drang, sachbezogenes Wissen und Kenntnisse zu gewinnen. Damit ist kein Geheimnis ausgeplaudert.
 
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