Textatelier
BLOG vom: 31.03.2014

Lang Holz aa! Bäume und Holz: nicht nur Werkstoffe

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
 
Gerade als ich auf die Werkstatt zuging, fuhr ein Lastwagen hinter mir her. Er überholte mich. Die Fahrbahn zwischen Häuserzeilen und einer Hochhausbaustelle verlangt hier von jedem Chauffeur volle Konzentration. Er hielt sein Gefährt an. Ich erwartete schon etwas Ungeduld, weil vor dem Werkstatteingang ein fertig gestellter Esstisch stand. Primo wollte ihn noch fotografieren, bevor er abgeholt wurde. Der Chauffeur stieg aus seinem Gefährt, gab sich als „ursprünglich auch Schreiner“ zu erkennen. Er wollte den Tisch bewundern, rief schon, als er aus dem Auto stieg: „Eine solche Arbeit möchte ich auch einmal gemacht haben!“
 
Wir erlebten in diesem Augenblick sein Heimweh nach dem handwerklichen Beruf. Er strich über die Oberfläche, als wollte er das Material liebkosen. Diese Berührungen – Primo nennt sie gern haptisch – erlebten wir früher oft, als noch in der grossen Werkstatt gearbeitet wurde. Die Kunden fühlten sich angezogen einerseits von der Schönheit des Holzes, aber auch vom Duft im Umfeld der Hobelmaschine. Sie schauten, berührten das Holz, manchmal fast traumwandlerisch. Und wühlten in den Hobelspänen.
 
Von einer mit uns befreundeten Schreiner-Familie im Engadin (Kanton Graubünden) erhielten wir zu Weihnachten einen Stern und eine Packung Hobelspäne – beide aus Arvenholz. Diese Späne bestimmen auch nach 3 Monaten immer noch das Raumklima unserer Stube mit. In einer offenen Schale liegend, verströmen sie ihr unvergleichlich starkes Aroma. Manchmal halte ich die Schale vors Gesicht und atme den Duft genüsslich ein.
 
Dem Holz wird auch eine Schutzfunktion nachgesagt. Ich beobachte schon lange, dass im Holz eine geheime, ausgleichende Kraft leben muss. Es ist fähig, die Menschen friedlich zu stimmen und die Gesundheit zu unterstützen. Und es fängt, besonders wenn der Innenausbau oder Möbel aus Nadelholz geschaffen worden sind, Lärm auf. Es schluckt ihn. Es schwingt. Und andererseits ist ein Glaube mit dem Holz verbunden, dass es vor Unglück schützen könne. Einige mögen diese Aussage als Aberglaube schlecht machen. Wahr ist aber, dass immer noch viele Menschen in unserer Gegenwart rufen Lang Holz aa! (Berühre Holz!), wenn sie sich vor Unbill schützen wollen. Immer dann, wenn sie eine sehr gute Nachricht ausgesprochen haben und verhindern wollen, dass diese ins Gegenteil kippt.
 
Es freute mich darum, als ich in der Sonntagszeitung vom 23.03.2014 las, dass der CEO der Edelweiss Air (Schweizerische Fluggesellschaft) diesen Ausspruch verwendete, als er in einem Interview davon sprach, dass sie seit der Gründung 1995 keinen Unfall habe beklagen müssen. Auch er wollte offensichtlich das Schicksal nicht herausfordern und fügte an: Holz aalange! Solche Menschen sind mir sympathisch.
 
Gefreut habe ich mich dieser Tage auch, als ich eine Kolumne von Glennyce Eckersley las, einer Autorin, die spirituelle Geschichten verfasst. Dabei fand ich eine Erklärung zum obigen Thema. Sie berichtete, im Mittelalter sei es üblich gewesen, sich an die Naturgeister zu wenden, um Unglück abzuwehren. Dreimal auf den Stamm eines Baumes klopfen, bedeutete um Hilfe rufen. Wurde die Bitte erfüllt, kam man später zum Baum zurück und klopfte noch einmal auf den Stamm, um zu danken.
 
Holz wird von Primo täglich berührt, ohne dass er um Hilfe ruft. Vielleicht spüren Bäume und Holz seine Faszination ihnen gegenüber. Manchmal denke ich, es sei eine echte Liebesbeziehung mit viel Verständnis für einander. Er bewundert sie, spielt mit ihren Farben und Formen, und sie machen mit, weil er ihre Schönheit ans Licht bringt.
 
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