Textatelier
BLOG vom: 13.06.2014

Versagst Du, lacht man Dich aus! Gedanken über Fussball

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
 
„Fussball interessiert mich nicht!“
 
Dieses Bekenntnis schliesst mich in diesen Tagen von den meisten Gesprächen aus. Ich bin ein Aussenseiter, der versucht, im Fernsehen die Sender zu finden, die nicht dem sogenannten „WM-Fieber“ verfallen sind.
 
Die Fussball-WM schürt den Nationalismus. Wenn die Spieler, die zu Repräsentanten der Nation ernannt werden, ein Spiel gewinnen, fühlen sich Millionen Bürger dieser Nation als etwas Besseres. Man ist Bürger einer Siegernation. Die verlierende Mannschaft aber wird mit Spott überhäuft: Nieten seien sie, unfähig, so wie die Nation, für die sie spielen.
 
Und darum geht es in erster Linie, ums Geld. Die Investitionen in die Spiele müssen sich amortisieren. Da wird auf Teufel komm’ raus um Rechte gefeilscht, Übertragungsrechte, Werberechte und vieles mehr.
 
Wer am längeren Hebel sitzt, wie etwa die FIFA, kassiert. Der die Spiele austragende Staat will das auch. Seine Politiker haben das Recht dazu gekauft, nicht immer ohne Schmiergelder, Absprachen und Korruption.
 
Bei den unteren Bevölkerungsschichten des Landes, in der gespielt wird, kommt vom Geld wenig an. Alle Bürger werden noch Jahre danach einen Steueranteil an den dann verfallenden und leerstehenden Spielstätten abzuzahlen haben.
 
Dafür steht das Land eine kurze Zeit im Rampenlicht. In Brasilien ist das Licht abgetaucht. Nicht nur Vorfreude und Jubel, sondern immer lauter wird die Kritik am Pomp, wie vor jeder Weltmeisterschaft. Schliesslich darf das Land nicht zurückstecken, weniger zeigen als der Vorgänger 4 Jahre vorher; festgefügte Rituale wiederholen sich. Das Image eines Entwicklungslands muss dadurch überwunden werden; man ist plötzlich Aufsteiger, die Nation ist „wer“. Und so soll sich die Bevölkerung auch fühlen und benehmen, das wird von ihr erwartet. Auch wenn sie darbt. Also muss der Protest unterdrückt werden. Alle Welt schaut schliesslich auf diese Nation.
 
Und nicht nur auf den Fussball. Doch die Kritik und der Protest werden zur Nebensache erklärt. Warum schaut denn die Welt zu? Alle teilnehmenden Nationen wollen sich als Avataren der Fussballhelden fühlen.
 
Die Verantwortung lastet auf den Spielern schwer. Die Gegner werden im Voraus kleingeredet. Natürlich wird man sie besiegen! Die Chance, die Weltmeisterschaft zu erlangen, ist gegeben, und sie muss genutzt werden.
 
Sieg! Sieg! Sieg! Der Pöbel auf den Strassen wird jubeln. Mit von Stolz geschwellter Brust werden sich die Begeisterten mit Alkohol volllaufen lassen, Fastfood essen. Die Getränkehersteller haben sich lange darauf vorbereitet. Die Lager sind gefüllt. Hoffentlich hält die Mannschaft möglichst lange durch! Sollte sie früh ausscheiden, wird man auf dem Vorrat sitzen bleiben, womöglich Kurzarbeit anmelden müssen.
 
Das soll Sport sein, Leibesertüchtigung, wie er früher hiess? Aufmerksame Beobachter können nichts davon entdecken. Egal, das Volk braucht „den Kick“, den Ausnahmezustand, die andere Seite des langweiligen täglichen Abrackerns. Das soll in den Hintergrund treten, für 90 Minuten Spannung, und, wenn die Mannschaft siegt, für das Besäufnis, das nicht selten in die Bewusstlosigkeit führt.
 
Es ist schön, dieses Gefühl, Sieger zu sein. Nur einer kann es sein, der „champion of the world“. Wer will schon als Verlierer, als Versager dastehen?
 
Ich frage mich, braucht eine Nation dieses Gefühl der Überheblichkeit? Warum soll oder muss oder will man besser sein als der Nachbar? Ist das menschlich?
 
Wie heisst es in der Operette „Die Zirkusprinzessin“ in dem Lied „Zwei Märchenaugen“ mit der Musik von Emmerich Kálmán: 
„Wieder hinaus ins strahlende Licht,
Wieder hinaus mit frohem Gesicht!
Grell wie ein Clown, das weisse Antlitz bemalt!
Zeig’ Deine Kunst, denn du wirst ja bezahlt!
Bist nur ein Gauckler, ein Spielball des Glücks.
Zeig’ Deine Kunst, zeig’ Deine Tricks!
Tust Du es recht, der Menge, winkt Dir Applaus!
Wenn Du versagst, lacht man Dich aus!“ 
Das zu ertragen, kann schwer sein, am nationalen Selbstbewusstsein nagen. Wer will das schon?
 
Und wenn mich der Trubel ganz und gar nicht interessiert? Nationalstolz liegt mir fern. Bin ich dann kein Bürger meines Landes? Er kann lehrreich sein, der Blick von aussen!
 
Quelle
http://www.operettenfuehrer.de/nach-dem-komponisten/emmerich-kalman/die-zirkusprinzessin/45-operettenlieder/246-zwei-maerchenaugen
 
 
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