Textatelier
BLOG vom: 27.06.2014

Der gläserne Mensch: Gedanken über die Fremdsteuerung

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein
 
 
Was ich weiss: Wenn ich bei Google eine Anfrage starte, erhalte ich bald darauf Werbemails, die zur Anfrage passen. Ähnlich läuft es mit Facebook, Whatsapp, LinkedIn oder anderen Netzwerken. Im Internet bleibt nichts unbekannt. Daten werden verarbeitet. Amazon registriert, welche Art Buch mich interessiert und stellt mir andere Bücher vor, die fremde Anfrager im Zusammenhang mit meiner Frage sich auch angeschaut haben. Das wird gespeichert und bleibt es auch. Gehe ich irgendwann später wieder auf die Website, werde ich damit konfrontiert. Ähnlich verläuft es mit eBay und anderen Verkäufern im Netz.
 
Facebook-Einträge, das Hochladen von Texten, Fotos und Videos, werden nicht nur von sogenannten Freunden registriert. Alles findet über Routinen und Algorithmen statt.
 
Dabei gehen Warenanbieter und alle anderen Interessenten wie Geheimdienste usw., davon aus, dass Menschen Gewohnheiten haben. Sie stehen in der Regel täglich zur gleichen Zeit auf, frühstücken auf die gleiche Art und Weise, bevorzugen eine Automarke, geben Geld für bestimmte Produkte aus, usw. Es geht darum, diese Routinen zu erkennen, manchmal auch, sie aufzuweichen, die Konsumenten für neue Produkte empfänglich zu machen, Gedankengänge und mögliche Veränderungen zu registrieren, die sich gegen die Interessen der Kontrolleure richten könnten.
 
Längst ist klar, dass (das Sammeln und Verarbeiten von Daten) auch für die Arbeitswelt gilt. Jeder Handgriff, jede Bewegung, jedes Nicken des Kopfes produziert ein Wissen, von dessen Auslegung man selbst nichts ahnt; jeder Gedanke, jeder Satz, jede E-Mail produziert ein Narrativ, das man erst begreift, wenn es einem wie von einem Untersuchungsrichter als Geschichte des eigenen Tuns und Handelns präsentiert wird. Dann werden Krankheitstage mit Codes für Gefühle, Bewegung und bald auch Blicke, Körpersprache und Mimik verbunden – denn Googles letzte Erfindung, die Datenbrille Google Glass, wird Apps anziehen, die die Authenzität des Lächelns und die Botschaft der Körpersprache entziffern.“
 
Nichts, rein gar nichts, wird mehr geheim bleiben. Die Menschen werden erforscht bis ins Kleinste und manipuliert, ohne dass dies ihnen das bewusst ist.
 
Jede Nachrichtensendung, jede über die Medien verbreitete Information ist gezielt ausgesucht. Oft wissen die Medienanbieter selbst nicht, dass sie damit manipulieren, erhalten sie die Informationen doch von grossen Agenturen, die von Regierungen, Meinungsmachern, Wirtschaftsinstituten, Geheimdiensten und wer weiss wem noch gesteuert werden.
 
Mir, und ich gehe davon aus, dass das auch vielen anderen kritischen Mediennutzern so geht, wird das oft bewusst. Ich frage mich, wie einseitig unsere Berichterstattung ist, ob das wirklich die Wahrheit ist, was wir präsentiert bekommen. Warum hören wir so wenig über Afrika? Warum erfahren wir nicht, warum Afrikaner unter Einsatz ihres Lebens versuchen, den Kontinent zu verlassen? Warum wird Russland als der böse Staat präsentiert und die USA als der gerechte? Wieso wird der katholischen Kirche soviel Sendezeit gewidmet, obwohl es immer weniger Kirchenmitglieder gibt? Warum werden viele Ereignisse, die rund um die Weltmeisterschaft passieren, in den Medien totgeschwiegen? Wieso lese ich so wenig darüber, was es bedeutet, dass die Staaten in aller Welt so hoch verschuldet sind und welche Konsequenzen das für die Zukunft bedeutet? Warum lesen wir so wenig über Nachteile der Globalisierung?  Das sind nur einige Fragen, die ich mir stelle.
 
Ich werde immer skeptischer, weiss nicht mehr, was ich denken soll und was nicht, welche Schlussforderungen ich daraus ziehen kann. Ich suche mir im Internet kritisch eingestellte Webseiten, alternative Meinungen und Auslegungen der Ereignisse und stelle fest, dass nichts stimmt oder glaubwürdig ist.
 
Mir bleibt nichts anderes übrig, als damit zu leben. Alle Angebote, die ich im Internet erhalte, seien es Versicherungen, Waren, Reiseangebote oder sonstige Dienstleistungen, landen bei mir im Spam-Ordner. Sie werden von mir gelöscht, ohne sie geöffnet zu haben. Wahrscheinlich ist auch das schon irgendwo von irgendwem registriert. Ebenso, dass ich häufiger alternative Seiten aufrufe, Blogs schreibe usw.
 
Ich bin davon überzeugt, dass wir alle gläserne Menschen sind, und was noch nicht erfasst ist, daran wird gearbeitet, das auch noch erkennbar zu machen.
 
Damit ist der Mensch selbst zum Werkstück im Informationszeitalter geworden, das seinen Wert erst durch Verarbeitung und Tausch bekommt.“
 
Ich habe die Auffassung, da irre der leider früh verstorbene Herausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher. Es gibt noch etwas ausserhalb der politischen und wirtschaftlichen Verwertbarkeit. Das ist das Selbstverständnis, mit dem der Mensch in der Gemeinschaft steht, das ist die Liebe und Zuneigung, die er seinen Vertrauten schenkt, das ist die Bereitschaft, selbstlos zu helfen, wenn es erforderlich ist, ohne Eigen- und Fremdnutzen. Wir mögen fremdgesteuert sein, aber niemals ganz!
 
Quelle
Schirrmacher, Frank: „EGO Das Spiel des Lebens“, Karl Blessing Verlag München 2013, S.236ff und 252ff.
 
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