Textatelier
BLOG vom: 23.07.2014

Verdauung und Toilette: Der neu entdeckte Darm-Charme

Autor: Walter Hess, Publizist (Textatelier.com), Biberstein AG/CH
 
 
Die Verdauung mit ihrem von der Leber und Konsorten unterstützten Geschehen im Gedärme und Umgebung bis zur Ausscheidung gehört zum normalen Tagesablauf; sie ist sozusagen der Motor des menschlichen Lebens. Diese Vorgänge sollte man nicht einer Schandecke zuweisen, sondern sich darüber freuen, wenn sie tadellos funktionieren, der Darm und der Magen nicht zum Reizdarm bzw. Reizmagen werden und somit ihren natürlichen Reiz behalten. Ein Facharzt für Innere Medizin, den ich kürzlich traf, sagte mir, der Darm sei das wichtigste menschliche Organ überhaupt, seines Erachtens noch bedeutsamer gar als das Gehirn.
 
Die junge Doktorandin Guilia Enders (24), die zwischen Mannheim und Frankfurt am Main pendelt, kam zu ähnlichen Erkenntnissen. Sie gesteht dem Darm ein eigenes Darmhirn (auch Bauchhirn genannt) zu, das sich im Kleinkindesalter parallel mit dem Kopfhirn entwickelt. Gemeint sind damit wahrscheinlich die über 100 Millionen Nervenzellen, die von der Speiseröhre bis zum After (Darmausgang) vorhanden sind, losgelöst vom Kopfhirn arbeiten und die wichtigsten Verdauungsabläufe steuern; die Informationsträger sind die Nervenbotenstoffe. Giulia Enders liess den Därmen jedenfalls ihre volle Aufmerksamkeit angedeihen und schrieb in einer erfrischend lockeren und betont allgemeinverständlichen, wenn auch vereinfachenden Art das Buch „Darm mit Charme. Alles über ein unterschätztes Organ“. Ihre Schwester Jill Enders steuerte schnell hingeworfene, auflockernde, karikierende Zeichnungen bei.
 
Die Zuneigung zur Verdauung im umfassenden Sinne mutet wie eine vollkommen neue Zeiterscheinung an, die sehr begrüssenswert ist; denn die Kenntnisse über die Stoffwechselvorgänge im Körper und das bevorzugte Bakterientummelfeld Darm (rund 100 Billionen davon sind dort zu Gast, zugehörig zu 500 bis 1000 Arten, wie eine Forschergruppe um Henrik Bjørn Nielsen von Dänemarks Technischer Universität in Lyngby bei Kopenhagen nachgewiesen haben, sind die Grundlage der Gesundheitserhaltung, die nur das Individuum massgeschneidert beeinflussen kann; Kenntnisse und Beobachtungen sind die Voraussetzungen dazu. Nur schon eine Verstopfung oder ein Durchfall können belastend sein. Und der Titel eines Buchs von Ilja Metschnikow stellt lapidar fest: „Der Tod sitzt im Darm!“ Die Bakterienheere leisten derart nützliche Dienste, dass beim Fehlen bestimmter Rassen mit einer Fäkaltransplantation von einem gesunden auf den kranken Menschen eine Wiederbesiedlung in Szene gesetzt wird, so etwa bei Colitis ulcerosa, einer entzündlichen Darmerkrankung (Quelle: Dr. Simon Feldhaus, Paramed-Zentrum, Baar ZG).
 
Die entgleiste Fäkalsprache
Der Aufschluss der Nahrung im Verdauungstrakt ist ein komplexer Vorgang von grundlegender Bedeutung; doch darüber sind sich die meisten Menschen nicht im Klaren. Die Fäkalsprache belegt, dass alles, was mit der Verstoffwechselung zusammenhängt, von Abscheu begleitet ist; es wird als negativ, verwerflich empfunden, eine unverzeihliche Fehleinschätzung. Der englische Vulgärausdruck Fuck (oder Shit) für Scheisse (das äquivalente deutsche Vulgärwort), das auch ficken oder vögeln bedeuten kann, sodann Ausdrücke der Verachtung wie Leck mich am Arsch oder Arschloch zeigen, wie abgrundtief die Verachtung für alles ist, was sich im Darm und an dessen Ausgang abspielt. Demgegenüber fiele es niemandem, nicht einmal dem einfältigsten Laferi, ein, abschätzig vom Mund als Schnorrenloch zu palavern.
 
Obschon ich ein grosses Interesse für alle sprachlichen Aspekte habe, war es mir meiner Lebtag zu primitiv, die Fäkalsprache bei Gesprächen und in Schriftstücken anzuwenden. Die Vulgarismen leiten sich, wie man sah, von Zerrbildern ab, arbeiten mit dem Ekel und vermeintlich Ekelhaften; wer sprachlich davon Gebrauch macht, offenbart einen primitiven Charakter. Doch offensichtlich grassiert die Krankheit der Koprolalie epidemienhaft: Mit dem medizinischen Fachausdruck wird die krankhafte Neigung zum Aussprechen unanständiger, obszöner Wörter (meist aus dem analen Bereich)“ – so der Duden – bezeichnet; der Stinkefinger gehört zu diesen kommunikativen Entgleisungen. Auch in der Literatur (so etwa bei Henry Miller) ist dieselbe Seuche zunehmend verbreitet, was auf Gehirnstörungen zurückzuführen ist und mit Tics (dem Tourette-Syndrom) in Zusammenhang gebracht wird. Man kann ja auch das Schneuzen (Reinigen der Nase) oder das Wasserlösen gleichermassen in den sprachlichen Dreck ziehen. Bei Seich (Harn) ist das der Fall, auch beim Schnuder (Helvetismus für Nasenschleim), der für Kombinationen wie Schnuderbueb oder Schnuderi (für einen frechen Knaben) herhalten muss, ebenso für den Schnuderblätz (Taschentuch). Das alles hat mit Ausscheidungen zu tun.
 
Die fluchenden Russen
In einem Twitter-Beitrag habe ich vom „Humor-Austicker“ gelesen:
 
Neues Gesetz in Russland: Putin verbietet Schimpfwörter …. Richtig so, weg mit all den fucking Schimpfwörtern, verdammte Scheisse …“.
 
Die entsprechende Meldung hat die Gratiszeitung „20 Minuten“ am 02.07.2014 verbreitet. Das Bemühen in Russland, wo das Fluchen besonders beliebt ist, der Verbreitung westlicher Dekadenz den Riegel zu schieben, kann ich verstehen, auch wenn behördliche Einmischungen in belangarme persönliche Verhaltensweisen nicht eben unserem Freiheitsverständnis entsprechen.
 
Der „Spiegel“ benannte die konkreten Folgen des Verbots aus Moskau: „Wer Schimpfwörter in Medien, Filmen, im Theater oder in der Kunst in Russland verbreitet, dem droht eine Geldstrafe bis zu 50 000 Rubel (knapp 1300 CHF). Wiederholungstäter müssen sogar mit einem Berufsverbot rechnen.“
 
Der russische Altphilologe, Kulturhistoriker, Publizist und Hochschullehrer Gasan Gusejnov nahm das in seinem Land besonders beliebte Fluchen in Schutz: Die Gesellschaft braucht Schimpfwörter: Sie haben eine politische und soziale Funktion. Im Alltag ist die Vulgärsprache immer ein Ausdruck tiefer Frustration, eines Gefühls der Wertlosigkeit. Wenn man nicht wirklich wählen und sich nicht am politischen Kampf beteiligen kann, wenn gewöhnliche Worte keine Macht haben, taucht man ein ins Verbotene, ins Tabuisierte. Mit der Sprache beschäftigen sich Etymologen und Historiker. Unsere Aufgabe ist es, zu verstehen, warum die einen fluchen und die anderen die massive Verwendung von Schimpfwörtern ausnutzen, um repressive Gesetze einzuführen.“
 
Man mag dem zustimmen: Ein Fluch zur rechten Zeit kann mithelfen, Dampf abzulassen, und er kann der Entspannung dienen. Früher stammten die meisten Flüche aus dem religiösen Repertoire („Herrgott-Sakrament“, oder „Hol’s der Teufel!“), heute bevorzugt aus dem Analbereich. Sie werden zu verzerrenden Metaphern; die Bezüge sind also ungeschickt ausgewählt.
 
Unser betagter Closomat
Was der Mensch verachtet, eignet sich als Fluch-Thematik, und umgekehrt erlaubt dies Rückschlüsse auf den Intellekt des Fluchers; schliesslich gelangen Signale aus dem Darm über den Nervus Vagus in verschiedene ganz oben angesiedelte Hirnbereiche. Stress, Angst und Depressionen können die Ausscheidung hemmen oder auch befördern. Erst wenn die Ausscheidung nicht mehr funktioniert, wird deren Bedeutung erkannt, und vielleicht ist das ein Anstoss, seine Wortwahl anzupassen.
 
Für uns bedeutete es schon eine Einschränkung, als unser Closomat (Dusch-WC), den wir 1972 in unser damals entstandenes Haus hatten installieren lassen, seinen Dienst kürzlich teilweise versagte, indem die Duschdüse nicht mehr ausfuhr. Es gelang mir nicht, sie mit kalklösenden Mitteln aus der Verklemmung zu befreien. Also setzte ich mich mit der 1958 gegründeten Firma Closema AG in CH-8423 Embrach ZH in Verbindung. Da wir sozusagen das Pioniermodell besitzen – damals eine Weltneuheit –, sind keine Bestandteile mehr erhältlich, eine Reparatur unmöglich.
 
Hans Maurer hatte diese Toilettenanlage erfunden und setzte damit Weltmassstäbe. Unser Modell hat sich während 42 Jahren bewährt, auch wenn es in dem WC inzwischen einige kleinere, altersbedingte Defekte wie ein leicht undichter Spülkastenauslauf und zerbrochene Gummipuffer für die Klobrille gibt, so dass ein Ersatz des ganzen Geräts gerechtfertigt ist.
 
So fuhr ich denn also am 02.07.2014 zur Hardhofstrasse 21 in Embrach, um die neuen Modelle anzuschauen. Zum Glück gibt es diese Firma noch: Nach einer Krise im Jahr 2007 (Konkurs wegen der rund 3 Mio. CHF kostenden Entwicklung eines neuen Modells, das nicht richtig funktionieren wollte) ist die Closema unter der Leitung von Peter Maurer, dem Sohn des Entwicklers, neu auferstanden und arbeitet qualitätsbewusst und entsprechend erfolgreich. Die Verkaufsleiterin Katja Hugenschmidt nahm sich alle Zeit, um mir die neue WC-Welt für Warmduscher vorzustellen und mir ein anständiges Angebot zu machen. Die Bestellung für den Folgethron habe ich gleich aufgegeben.
 
Deckel zu
Als kleines Geschenk verabreichte mir Frau Hugenschmidt die Broschüre „Thronreden und Cabinettgeschichten“, in dem eine kleine Auswahl von 863 Beiträgen aus Nutzerkreisen versammelt ist. Ich sagte ihr, in dem Werk sei auf Seite 120 eine Geschichte von mir („Deckel zu“) abgedruckt. Es handelt sich um eine leicht gekürzte Fassung meines Feng-Shui-Beitrags im Textatelier.com.
 
Es geht darum, durch das Deckelschliessen nach getaner Arbeit am stillen Örtchen zu verhindern, dass das Chi (die Lebensenergie) durch die Toilette entschwindet ... dafür gibt es schliesslich den Deckel. Eine seiner Rechtfertigungen besteht auch darin, dass eine WC-Anlage bei geschlossenem Deckel ordentlicher, aufgeräumter aussieht, und die Ordnung ist ein wesentliches Element der Feng-Shui-Philosophie, die aus dem alten Asien stammt und für Ruhe und Harmonie zwischen Mensch und seiner Beziehung zum Raum sorgt.
 
Und in aufgeräumter Stimmung fühlt sich auch derjenige, dessen Geschehen in einer intakten Umgebung und bei einem tadellos funktionierenden Verdauungssektor, der keine Verklemmungen und Lecks kennt, funktioniert. Dann erübrigt sich auch das Fluchen; man kennt ja auch eine Hygiene geistiger Natur.
 
 
Hinweis auf weitere Arbeiten über die Toilette aus dem Textatelier.com
 
Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
Auf Pilzpirsch: Essbare von giftigen Pilzen erkennen
Ein bärenstarkes Museum in Gersbach
Barfuss über die Alpen
Foto-Blog: Auf geht`s zur Hohen Möhr
Foto-Blog: Vom Kleinen Rhein zum Altrhein
Fotoblog über den Schönauer Philosophenweg
Rote Bete (Rande), eines der gesündesten Gemüse
Hermann-Löns-Grab im Wacholderhain
Lüneburger Heide: Salzsau und Heidschnucken
Kutschenmuseum in Wiechs ist ein Schmuckstück
Canna verleihen einen Hauch karibisches Flair
Artenreiche Streuobstwiesen stark gefährdet
Liebe zu den Kräutern in die Wiege gelegt
Eine Hütte mit Fleischsuppe im Namen
Rätsel um die Russenbänke in Präg gelöst