Textatelier
BLOG vom: 05.08.2014

Körperliche Schwäche und die schwachsinnigen Folgen

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
 
Beim Lesen dieser Zeitungsmeldung musste ich an die Blogs meiner Kollegen und von ihren Freunden denken, die gerne wandern und Berge besteigen, die oft steil sind und den Körper anstrengen. Ich weiss, dass die Wanderfreunde schon ein gewisses Alter erreicht haben. Sie alle sind gesund und munter, sonst würden sie sich nicht auf die Berge begeben. Sicherlich wird es das eine oder andere Mal vorkommen, dass eine Person der Gruppe „aus der Puste gerät“ und pausieren muss, um wieder zu Kräften zu kommen. Das dauert manchmal einige Zeit, und dann kann es weiter vorangehen. Es mag vorkommen, dass der Erschöpfungsgrad so hoch ist, dass ärztliche Hilfe gefragt sein könnte. Aber das wird selten der Fall sein, und vor allem, diese Person wird das in der Regel auch selbst beurteilen können. Sie wird sich vermutlich vehement dagegen wehren, wenn man dies über ihren Kopf hinweg entscheiden würde.
 
Die besagte Zeitungsmeldung in der Rheinischen Post vom 25.07.2014 hat die Überschrift: Feuerwehr rettet „Strömungsschwimmer.” Der Artikel ist namentlich gekennzeichnet, also nicht von einer Agentur übernommen worden.
 
Dem Bericht ist zu entnehmen, dass ein 74-jähriger Mann aus Krefeld, einem Ort am Niederrhein/NRW, der sich selbst als „Strömungsschwimmer“ bezeichnete, an einem schönen sonnigen Tag ins Wasser des Rheins stieg und vorhatte, mit der Strömung, also flussabwärts, 11 Kilometer zu schwimmen. Die Luft war warm, er hatte nur eine Badehose an. Auf seine weitere Kleidung sollte „ein Kumpel“, also ein Freund, aufpassen.
 
Nach einiger Zeit begann er zu frieren, und seine Kräfte liessen nach. Er reagierte richtig und schwamm in einem kleinen Hafen ans Ufer, erreichte es und setzte sich. Sein Pech war es, dass dieser Uferabschnitt zu einer Schiffswerft gehört und dass hier ein absolutes Schwimmverbot gilt. Das hatte er nicht gewusst und erkannt, aber er hätte sich wahrscheinlich gesagt: „Was soll's, ich muss mich ausruhen, sonst könnte es mir schlecht ergehen.“
 
Wie man so sagt, ein Unglück kommt selten allein. Er hatte nämlich nicht mit einem Angestellten der Werft gerechnet, der das aus seinem Bürofenster beobachtet hatte. Oder war es ein besorgter Spaziergänger oder Passant? Die Frage bleibt unbeantwortet. Ihm fiel nicht etwa ein, zu dem Schwimmer zu gehen und zu fragen, ob alles in Ordnung sei. Nein, er rief die Feuerwehr an. Im Artikel steht nur, dass gegen 10.40 Uhr der Notruf einging, nicht aber, was am Telefon gesagt worden ist. Das rief beträchtliche Aktivitäten hervor.
 
Die Feuerwehr setzte ein Schlauchboot ein. Die Besatzung fand den Schwimmer, der „ansprechbar und bei klarem Verstand“ war und zog ihn ins Boot. Von dort aus rief sie einen Rettungswagen an. Die Retter fuhren ein Stück zu einem Anleger der Werft, an dem sonst die Schiffe, die gewartet und repariert werden müssen, fest machen. Nicht weit davon war inzwischen der Rettungswagen eingetroffen. Mitgekommen war auch gleich ein Notarzt. Die Feuerwehrleute im Schlauchboot erstatteten Bericht. Der Mann leide unter einem „starken Erschöpfungszustand und einer Unterkühlung“.
 
Den Artikel „schmückt“ ein unscharfes Foto, auf dem man ein Schlauchboot an einem Kai sieht. 3 Personen bemühen sich um etwas, was nicht näher erkennbar ist.
 
Wenn ein bei der Feuerwehr oder der Polizei gemeldeter Notfall nicht abschätzbar ist, werden alle vermeintlich erforderlichen Kräfte mobilisiert. So auch hier. Gleichzeitig mit dem Unfallwagen war auch noch ein Löschzug der Feuerwehr vor Ort. Wieso und warum, und was dieser denn löschen sollte, wurde im Artikel nicht erwähnt. Den Mann etwa? Da war nichts zu löschen, ausser vielleicht der möglicherweise inzwischen eingetretene Durst auf ein heisses Getränk.
 
Der Senior wurde „geborgen“. Was das jetzt genau bedeutet, geht aus dem Artikel ebenfalls nicht hervor. Möglicherweise – mit oder gegen seinen Willen - hat ihn der Unfallwagen noch in ein Krankenhaus zur Untersuchung gebracht.
 
In einem solchen Artikel darf natürlich die Verurteilung nicht fehlen. Der Sprecher der Feuerwehr sagte dem Reporter der Zeitung: „Was der Mann gestern veranstaltet hat, war die pure Unvernunft!“ Der Schwimmer habe die Kraft der Strömung unterschätzt und verkannt.
 
Das wird seine Meinung gewesen sein, nicht unbedingt die des Schwimmers. Wenn dieser sich selbst als „Strömungsschwimmer“ bezeichnet, wird er genau gewusst haben, dass ein gewisser Aufwand erforderlich ist, um die Strecke zu bewältigen.
 
Dass es vorkommen kann, dass Kräfte bei extremer Belastung schwinden, ist meines Erachtens nichts Besonderes. Da bleibt nichts anderes übrig, als kürzer zu treten und eine Erholung bringende Unterbrechung einzulegen. Meistens kann es danach wieder weitergehen.
 
Vermutlich hatte der Schwimmer genau das vorgehabt. Wenn da nicht einer gewesen wäre, der höchstwahrscheinlich überreagiert hat und den „Lebensretter“ spielen wollte.
 
Es ist möglich, dass nach diesem Pech noch mehr auf den Schwimmer zukommen könnte. Es muss nämlich jetzt darüber entschieden werden, wer denn den ganzen Einsatz der Hilfskräfte bezahlen muss. Dass ihm das als eigentlich unfreiwilliger Hauptakteur „aufgebrummt“ wird, ist durchaus auch noch möglich.
 
Ob der betagte Herr noch einmal in den Rhein steigt? Ich bezweifele es. Und ich finde es schade. Denn wer ein Risiko nicht scheut, hat mehr vom Leben. Denn dabei merkt mancher erst, dass er noch lebt! Und wer kann schon immer genau sagen, was risikoreich ist und wo der Leichtsinn anfängt!
 
Der Anrufer wird sich sagen, er habe nur helfen wollen. Ein Gespräch mit dem Erschöpften wäre völlig ausreichend gewesen!
 
Ich würde den Anrufer zur Kasse bitten! Wie heisst es so schön: „Wer die Musik (hier das Tatütata der Sirenen) bestellt, der zahlt!“
 
 
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