Textatelier
BLOG vom: 17.09.2014

Hallwilersee: Grosser Bogen ums geschützte Boniswil-Ried

Autor: Walter Hess, Publizist (Textatelier.com), Biberstein AG/CH
 
Auf einem 22 Kilometer langen, anspruchslosen Weg kann der Hallwilersee in einer 4 bis 5 Stunden dauernden Wanderung umrundet werden. Ich habe das in verschiedenen Etappen getan. Ich musste die Strecke unterteilen, weil ich viele Halte einlege, um alles genau anzusehen, was das Ufer des 8.4 km langen und 1.5 km breiten Sees mit seiner 10.3 km2 Fläche zu bieten hat.
 
Es fehlte mir nur noch die Strecke um den unteren (nördlichen) Seeteil, wo sich das Boniswiler Ried befindet. Der Zutritt zu diesem Naturschutzgebiet ist verboten; doch hatte ich im Januar 2010 die Möglichkeit, den Naturschutzbeauftragten René Berner aus Boniswil auf einem seiner Kontrollgänge zu begleiten (Blog vom 01.02.2010: Am Boniswiler- und Seengermoos: Gesänge über den Sumpf). Der mit den gelben Wanderwegweisern gut ausgeschilderte Seeuferweg macht einen grossen Bogen um dieses schutzbedürftige Naturreservat, und eben diese Strecke fehlte mir noch im meiner Etappen-Sammlung.
 
Vom Schloss Hallwyl nach Boniswil
Wer mit dem eigenen Auto anreist, kann es für 1 CHF/h in der Nähe des Schlosses Hallwyl, bei der Strasse Boniswil–Seengen, abstellen. Beim Schloss führt der Wanderweg am Wassergraben des Schlosses vorbei. Das Schloss muss man im Gegenuhrzeigersinn halbwegs umgehen, damit man auf die linksufrige Seite des Aabachs gelangt; es handelt sich bei diesem um den Hallwilerseeausfluss. Dieser Aabach und damit die Höhe des Sees werden durch ein neues Wehr beim Wassergraben (direkt neben und unter der Ortsverbindungsstrasse) per Computerbefehlen reguliert; das alte Wehr aus massiven Holzbrettern und mit der Handkurbel war nicht mehr sicher und nur mühsam zu bedienen. Ein neuer Durchgang für Landtiere auf die andere Strassenseite reduziert für diese die Gefahr, überfahren zu werden.
 
Das neue Wehr ist auf einen Pegelstand zwischen 448.55 und 448.80 m ü. M. ausgerichtet. Bei der Regulation der Seeoberflächenhöhe werden verschiedene Ansprüche befriedigt. Im Frühjahr kommt es im Interesse der im Schilf laichenden Fische zu einem Höherstau um 10 cm. Später wird der Wasserabfluss um etwa 1 m3 pro Sekunde (normal sind 3–4 m3) erhöht, damit möglichst viele der auf eine Überdüngung hinweisenden Burgunderblutalgen mit dem Oberflächenwasser weggespült werden; monatlich wird man so etwa 100 Tonnen Algen los. Im Sommer erfolgt eine leichte Absendung des Seepegels, damit die Riedflächen von den Bauern leichter gemäht werden können. Dieses Mähen ist nötig, damit der See nicht verlandet und zu Wald wird, sondern das Feuchtgebiet als solches erhalten bleibt. Mindestens 1 m3/sec. Wasser muss immer abfliessen; denn auch der Aabach hat seine Bedürfnisse.
 
Bei der Rundwanderung zeigt sich das Schloss mit seinen Zinnen auf der Krone der Umgebungsmauern, das als schönstes Wasserschloss der Schweiz gilt, aus verschiedenen Perspektiven. Von hier aus folgt der Wanderweg dem Aabach, wobei sich schönen Bilder von der wild wuchernden Natur im Feuchtwald ergeben, dessen Boden schattig ist; die heimischen Lianen und der Hopfen streben dem Licht zu. Mooreidechsen finden hier ebenfalls einen günstigen Lebensraum. Der Weg entfernt sich bald einmal vom Aabach und steuert dem Dorf Boniswil (Bezirk Lenzburg) zu. Wassergräben begrenzen das Ried und sind von farbprächtigen Spierstaudenfluren besiedelt (Blütezeit: Juni bis August; man spricht auch von Zuckerwattenblüten). Der Name Aspirin leitet sich von der Spierstaude (Mädesüss) ab; die Spirsäure (Salicylsäure) kann auch aus dem Saft der Spierstaude gewonnen werden. Der Weg steuert, an 2 Kopfweiden vorbei, in der Folge landwirtschaftlichem Gebiet zu, wobei der Futtermais bei meiner Wanderung vom 11.09.2014 die dominante Grösse war. Manchmal ergibt sich ein Durchblick auf die bräunliche Riedlandschaft vor dem Blau des lieblichen Sees und dem Grün der Lindenberg-Kulisse.
 
Als ich Boniswil zusteuerte, kamen mir wohl 200 junge, freundlich grüssende Schüler entgegen, die ihren Sporttag absolvierten und die U-förmge Strecke von Birrwil bis Meisterschwanden im zügigen Tempo bewältigten. So viele Wanderer auf einem Haufen trifft man dort wahrscheinlich selten.
 
Der Weg führt an Obsthainen mit reifen Äpfeln und an Schafstallungen vorbei und erreicht dann das Boniswiler Einfamilienhausquartier Bachmatt, verläuft weiter ins Landesinnere, um dann nach Süden, dem Hallwilerssee-Verlauf folgend, zu den Weilern Aliswil und Schwaderhof abzudrehen und sich damit wieder dem See zu nähern, Richtung Birrwil, Beinwil am See bis zum luzernischen Mosen. 5/6 des friedlichen Gewässers liegen im Aargau, 1/6 im Kanton Luzern.
 
In Boniswil kehrte ich um, da sich graue Wolkentürme zwischen Stierenberg, Homberg (Nähe Reinach AG) und Egg (oberhalb Leutwil) aufzubauen begannen; doch fiel im Seetal vorderhand noch kein befruchtender Regen, ohne den es ja auch keine Seen gäbe. Ich blieb trocken.
 
Fische in der „Seerose“
Vor der nachmittäglichen Wanderung hatte ich in der „Seerose“ am östlichen (rechten) Seeufer südlich von Meisterschwanden zu Mittag gegessen. Ich möchte auch solche touristische Angebote erkunden, zumal die Gastronomie in Ausflugsregionen einen wichtigen Stellenwert hat. Die „Seerose“ ist ein opulentes Konglomerat aus Restaurants (worunter ein Thailand-Restaurant) und Hotel-, Gesundheits- und Wellnessangeboten (SPA ist vom belgischen Badeort Spa abgeleitet).
 
Am Donnerstagmittag war nur das Restaurant „Seerose“ geöffnet, dessen Interieur mir sofort gefiel: im Grunde klassisch, mit Schiffsboden, kassettenartiger Decke, doch gleichzeitig mit naturhaften Elementen wie stehenden, unförmigen, weiss getünchten, verholzen Staudenästen und Türen und einer Theke aus uraltem Holz, das nur noch einmal durch die Hobelmaschine gestossen worden war. Vor der Toilette hat man das Gefühl, in eine Alphütte einzutreten und ist dann erstaunt, allen modernen Komfort zu finden. Unterländer Älplerleben für Verwöhnte.
 
„Am und aus dem See“ lautet die Devise der schweizerisch-französischen Küche, so dass es mir als gegebene Lösung vorkam, mich für den 4-gängigen „Fischschmaus“ zu entscheiden (62 CHF). Verschiedene nette Damen erfüllten meine Wünsche. Zuerst wurden 4 verschiedene frische Brötchen mit Premium-Butter und einem Schälchen mit hochwertigem Olivenöl aufgetragen, was zum Chardonnay-Weisswein von Fehr & Engeli in Ueken AG passte, dem kein Fassausbau die schöne mineralische Note überlagerte.
 
Der Nüsslisalat Mimosa mit französischer Sauce war kein Ausbund an Kreativität, aber frisch, und das gehackte Freilandei, das mit etwas Rahm verfeinert war, wie ich vermute, bewies Sorgfalt.
 
Klassisch waren auch die in Butter gebratenen Eglifilets (Serviererin: „Sie stammen irgendwo aus der Schweiz“), waren nicht ganz entgrätet; doch hatte ich ja Zeit, diese Operation selber vorzunehmen. Sie waren ungesalzen, so dass ich um eine Salzmühle anhielt. Das Peugeot-Modell erschien mit grosser Geschwindigkeit, und beim Mahlen fiel mir die dunkle Färbung der feinen Körnchen auf. Mir war versehentlich die Pfeffermühle zugetragen worden. Eine Dame vom Service sagte, die Mühle sei leider falsch angeschrieben. Druckfehler gibt es also auch in der Gastronomie; das kann in den besten Müllereien passieren. Die zart gerösteten Mandelscheiben gaben dem Fisch etwas Pfiff. Dazu wurden Trockenreis und ein Minitomätchen gereicht, welch letzteres häufig für den roten Punkt auf dem Teller zu sorgen hat. Eine Minitomate tauchte auch bei den im Bierteig knusprig gebackenen Felchenfilets aus dem Sempachersee wieder auf. Ein Schälchen mit Tartarsauce und gute Salzkartoffeln waren ebenfalls dabei, in beiden Fällen etwas kleingeratene Zitronenstückchen.
 
Die Wartezeit zwischen den Gängen war allzu reichlich bemessen, so dass ich etwas Druck aufsetzte. Die Serviererin Christine Gerber aus Trubschachen im Emmental BE, die personifizierte Liebenswürdigkeit, entschuldigte sich für die Verzögerungen ... „dafür mit viel Liebi“. So viel Herzlichkeit findet man sonst selten.
 
In dieser Atmosphäre der Zuneigung schmeckte die Bayerische Creme, auch Crème bavaroise oder gesulzte Creme genannt, umso besser. Das in einer Tasse geformte Köpfchen bestand aus Milch, Eigelb, Zucker und Schlagrahm, die mit Gelatine gebunden und mit wenig Vanille aromatisiert war. Somit kann ich mich, über alles betrachtet, also nicht über einen Eiweissmangel beklagen.
 
Begegnungen
Die anschliessende Wanderung, wie sie eingangs beschrieben ist, machte ich nach der Rückfahrt zum Schloss Hallwyl (aus dem späten 12. Jahrhundert) gemächlichen Schritts, damit die Verdauung einigermassen erschütterungsfrei ablaufen konnte. Die Stockenten im Aabach übten sich in Gefiederpflege. Und ein gesprächiger pensionierter Mann aus Boniswil erzählte mir von der Schriftenmalerei und insbesondere von der Kalligraphie, und er beklagte die oberflächlich gewordene moderne Zeit.
 
Also wollte ich mich für eine Viertelstunde in die Vergangenheit zurückversetzen und im Schlosscafé einen Kaffee trinken. Das Café befindet sich im Schlosshof. Ich müsse 3 CF Hofeintritt bezahlen, sagte die nette Dame im Museumsladen, der auch als Entrée fürs Schlossinnere dient. Dieser Aufpreis zum Kaffee schien mir doch eher ungerechtfertigt, so dass ich es vorzog, heimzufahren und das belebende Getränk dort zu trinken. Aktives Sparen, heisst das. Die Herren von Hallwyl hätten mich für mein unbotmässiges Verhalten wahrscheinlich dem Niedergericht zugeführt.
 
Meine ungebrochene Begeisterung über das Seetal und den Hallwilersee hätte wahrscheinlich mildernde Umstände bewirkt.
 
 
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