Textatelier
BLOG vom: 18.12.2014

Über architektonische und andere Eroberungszeichen

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
 
Ein Begriff lässt mich nicht mehr in Ruhe, es ist das „Eroberungszeichen“. Ich erwähnte ihn in meinem Blog über den Bau der Moschee in Köln, die den Charakter des Eroberungszeichens aufweisen soll, eine Behauptung, die ich in Frage stellte. Die NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands) berichtet auf ihrer Website über einen Moscheebau in Leipzig, bei dem die dazu gehörenden Minarette als ein Zeichen des Herrschaftsanspruches des Islam gesehen werden.
 
Der Kollege Pirmin Meier, auf dessen Blog ich in meinem Artikel einging, erwähnte in einem Kommentar dazu, dass auch christliche Kathedralen, etwa nach der Entdeckung Amerikas gebaut, als solche gelten können, ebenso wie Grossbauten von Diktatoren. Die Stellungnahme des bekannten Historikers ist im Anhang im Wortlaut wiedergegeben.
 
Der Begriff „Eroberung“ ist ein Wort aus der Sprache des Militärs und bedeutet die gewaltsame Aneignung fremden Gebietes; denn Krieg zu führen, war immer schon ein übliches Mittel der Politik:
 
„Der Krieg ist eine blosse Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“
(General Carl von Clausewitz: „Vom Krieg“ I, 1, 24).
 
Die Konflikte wurden nicht durch Diplomatie ausgeräumt, sondern es wurde Krieg geführt, sei es, weil der Gegner ins eigene Staatsgebiet einmarschiert war, sei es umgekehrt. War einmal ein Territorium besetzt und erobert, mussten Zeichen der Eroberung geschaffen werden. Das reichte von Ausplünderung, der Vergewaltigung von Frauen, der Ermordung oder Versklavung und Unterdrückung der besiegten Bevölkerung bis zur Zerstörung („dem Boden gleichmachen“) ganzer Städte und Umgestaltung des gesamten Landes und der Errichtung architektonischer Bauten, die unter anderen, wie etwa Grenzbefestigungen, Burgen und Schlösser, auch religiöser Natur sein konnten, sakrale Bauten. Bekannt sind Eroberungszeichen wie das Fällen der Donar-Eiche, eines der wichtigsten germanischen Heiligtümer, durch Bonifatius und der Ausspruch Konstantins In hoc signo vinces“ („In diesem Zeichen wirst du siegen!“), womit das christliche Kreuz gemeint war.
 
Manche Eroberungszeichen, und ich meine damit nicht nur nach aussen sichtbare, beispielsweise architektonische Zeichen der Eroberung, wurden nach erneutem politischen Wechsel und Rückeroberung nie rückgängig gemacht. So hat die Verwaltungsreform Napoleons, der Code Civil 7, bis heute noch Auswirkungen in Deutschland. Es wird ihr ein Vorbildcharakter nachgesagt. Sie wurde in den von Napoleon annektierten oder als Tochterrepubliken beherrschten Gebieten eingeführt und ist dort oft über die Zeit der Einflussnahme Frankreichs hinaus gültig. Darauf ist in dem ehemaligen Geltungsbereich des Code  in Deutschland als ein Beispiel immer noch die Trennung zwischen Notaren, nur sie dürfen Immobiliengeschäfte bearbeiten, und Rechtsanwälten zurückzuführen.
 
Auch die politischen Massnahmen der Alliierten nach dem II. Weltkrieg können als Eroberungszeichen gesehen werden, die immer noch in Form von Kasernen der ehemaligen Besatzungsmächte, aber auch in der Aufteilung Deutschlands in Bundesländer mit eigenen politischen Befugnissen u. a., erkennbar sind.
 
Eroberungszeichen sind oftmals ganz klar erkennbar. Sie zeugen von einem Sieg, einer Erstbesteigung oder vergleichbarer Leistungen. Nach den ersten Schritten auf dem Mond hissten die Astronauten die amerikanische Flagge, inzwischen sollen es nach den Apollolandungen bereits 6 Flaggen sein.
 
Es sind aber nicht nur die ganz grossen „Erfolge“ der Menschheit. Im alltäglichen Leben begegnen wir ihnen auch. In einigen Ländern der Erde gibt es den Brauch, am Abend der Hochzeitsfeier das Ehepaar zum Beischlaf zu bewegen. Das durch das Durchstossen des Jungfernhäutchens mit Blut befleckte Bettlaken wird den Hochzeitsgästen als Zeichen der Eroberung gezeigt. Der frisch gebackene Ehemann hat seine Frau „in Besitz genommen“.
 
Zu siegen und zu verführen wird mit Erobern gleichgesetzt. Auf einer Website werden „Sieger-Strategien“ vorgestellt:
 
„Siegen Sie in allen Disziplinen:
Pokern, Boxen, Frauen erobern.
MAXIM-Experten verraten ihre
ultimativen Erfolgsstrategien.“
 
Medaillen und Sieger-Urkunden sind Eroberungszeichen. Ist der Ehering es auch?
 
Auf der Website eines Eheanbahnungsinstituts stellt „ein Gast“ die Frage:
 
Muss ein Mann das Gefühl haben, eine Frau erobert zu haben?“
 
Auf einer anderen Website wird der Rat erteilt:
 
„Möchtest Du eine Frau erobern, dann musst es schaffen, dass sie einen höheren Status in Dir erkennt und dann lernen einen Schritt nach dem nächsten zu gehen, um die Anziehung immer weiter zu steigern.“ Sind diese Schritte dann Zeichen der Eroberung?
 
Auch die Verführung zum Konsum verhilft zur Eroberung:
Laut der Schauspielerin Bette Midler können sogar Schuhe Eroberungszeichen sein. Sie soll einmal gesagt haben: „Gib einem Mädchen die richtigen Schuhe, und sie wird die Welt erobern!“  
 
Es geht immer um Macht, um Siege. Waren früher die Insignien der Macht das Zepter und die Krone, sind heute im Wirtschaftsleben der PS-starke Dienstwagen, ein eigener Parkplatz in der Tiefgarage sowie ein Eckbüro die Zeichen dafür, dass man sich die Führungsposition erobert hat.
 
Kommen wir wieder zu den architektonischen Eroberungszeichen zurück. Das Christentum hat in vielen Teilen der Welt oft in jedem Ort ein solches in Form von Gotteshäusern geschaffen, der Islam ebenso, um nur 2 Beispiele zu nennen.
 
Religionsgemeinschaften konkurrieren vor allem in den Ländern, in denen Religionsfreiheit ein Menschenrecht ist, was noch lange nicht überall anerkannt wird.
 
Es stellt sich also die Frage, ob diese Bauwerke unterschiedlicher Glaubensrichtungen noch als Eroberungszeichen gelten oder ob sie ein positives Zeichen davon sind, dass die Menschen frei sind, sich ihre Religion zu wählen oder zu entscheiden, ohne sie auszukommen. In den Ländern, in denen das verfassungsgemäss möglich ist, geht es dann immer noch um Sieg, Macht und Eroberung?
 
Es kommt also auf die Sichtweise an. Pluralität ist die Koexistenz der Vielfalt. Haben in einem pluralistischen Staatsgebilde architektonische Eroberungszeichen noch Geltung?
 
Anhang
Stellungnahme von Pirmin Meier
 
Mein Beitrag über Ralph Giordano war eine Interpretation Giordanos, zu dessen Gesamtprofil, wie der Artikel zeigt, ich Abstand behalte, ausser dass ich ihm Mut attestiere. Eine Eigenschaft, die für uns alle ebenfalls wünschbar wäre. Ich stellte fest, dass Ralph Giordano auch in der Wortwahl sich Derbheiten herausnehmen durfte, die bei anderen nicht als politisch korrekt gelten würden. Zu den Ausführungen von Kollege Gerd Bernardy möchte ich bestätigen, dass selbstverständlich auch die im 16. und 17. Jahrhundert in Südamerika gebauten Kathedralen Eroberungszeichen waren und architektonisch auf eventuell noch höherem Niveau waren als die Kölner Moschee. Architektonisches Niveau würde ich sogar Adolf Hitlers Architekt Albert Speer nicht grundsätzlich absprechen, die Frage ist, was es beweist. Auch Le Corbusiers Genialität ist nicht mit seinen zum Teil abstrusen politischen Vorstellungen zu verwechseln.
 
Der letzte Abschnitt des sonst bedenkenswerten und informativen Beitrags von Kollege Bernardy drückt einen Ansatz zu „Historizismus“ aus, wie es Karl Popper genannt hat, also Ergebenheit in das, was ohnehin kommt. Von dieser Art Politikdispens möchte ich nie Gebrauch machen.
 
Kommentar Pirmin Meiers zum obigen Blog
Über die Verwechslung des Code Napoleon mit einem Eroberungszeichen in der Art von Moscheen und Minaretten kann ich nur den Kopf schütteln. Natürlich geht es um langfristige Überlegungen; man vergleiche es mit der Völkerwanderung, die ebenfalls langfristig war. In der Schweiz sind im 4. und 5. Jahrhundert etwa so viele Alemannen eingewandert wie heute die Einwanderungszahl in einem Jahr ist, und selbstverständlich geht es um die Frage, wie es in der Schweiz und in Deutschland aussieht, wenn der Islam sich als stärkste Denomination (Religion) etabliert hat.
 
Und noch etwas zum Code Napoleon: Die Türkei hat Eugen Hubers Zivilgesetzbuch über weite Strecken übernommen. Das war nicht eine Hundertstelsekunde lang ein Eroberungsversuch der Schweiz, ist also mit dem Bau von Kathedralen in missionierten Gebieten nicht zu verwechseln. Natürlich kann Eugen Hubers Zivilgesetzbuch, wenn sich islamistische Kreise in der Türkei durchsetzen, jederzeit wieder ersetzt werden durch die Scharia. Es gibt jetzt schon Gerichtsurteile in Deutschland und in der Schweiz, die dem Scharia-Recht Eingewanderter teilweise entgegenkommen.
 
Der Begriff „pluralistische Gesellschaft“ ist im Übrigen vor allem ideologischer Natur. In jeder Gesellschaft hört die Toleranz meist dort auf, wo die wahren Meinungsverschiedenheiten beginnen.
 
 
Quellen
www.verfuehre-mit-persoenlichkeit.de
 
Hinweis auf die vorangegangenen Blogs über Religionsmachtsymbole
 
 
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