Textatelier
BLOG vom: 19.01.2015

Euro-Stützung: Beduselte Diskussionen nach Schnapsidee

Autor: Walter Hess, Publizist (Textatelier.com), Biberstein AG/CH
 
 
Eine starke Währung wie der Schweizer Franken ist ein Kompliment für ein Land. Sie deutet auf eine florierende Wirtschaft und das Vertrauen hin, das dem Land und seiner Währung international entgegengebracht wird. Mit einer starken Währung kann im Ausland günstig eingekauft werden. Das ist dann von Vorteil, wenn beim Handel mit einem Währungsraum ein Handelsbilanzdefizit vorliegt, das heisst, wenn die Wareneinfuhren (die Importe) die Warenausfuhren (Exporte) übersteigen, wenn also ein Importüberschuss besteht. Das ist bei der Schweiz gegenüber dem Euroraum der Fall: Wir kaufen von dort mehr als wir dorthin verkaufen.
 
Die unterlassenen Warnsignale
Bei den Diskussionen über die Franken-Stärke gegenüber dem zerbröselnden Euro, dem wegen der wirtschaftlichen Zerfallserscheinungen im Euroraum keine goldene Zukunft prophezeit werden kann, wird das in aller Regel übersehen, ausgeklammert. Die Diskussionen und Jeremiaden spielen sich deshalb in einer verhängnisvollen Einseitigkeit ab. Sie übersehen das Wesentliche, und diese Bretter vor dem Kopf verbarrikadieren intelligente Massnahmen. So wird im Moment praktisch allein über die tatsächlich verheerenden Folgen der aufgegebenen Euro-Kurs-Stützung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) mit Bezug auf die Exportindustrie (z. B. Maschinenindustrie), den besonders leidenden Tourismus (die Schweiz wird für Gäste aus der Eurozone noch teurer) und allenfalls die Uhrenindustrie (Nick Hayek: „ein Tsunami“) diskutiert. Sie wurden durch den abrupten Nationalbank-Entscheid im Mark getroffen, zumal die SNB auch unter der heutigen Leitung von Thomas Jordan immer so getan hatte, als ob die Euro-Stützung noch lange weitergetrieben würde, koste das die Schweiz, was es wolle. Irgendwelche Signale, dass das Ende dieser im September 2011 von Philipp Hildebrand, dem gestrauchelten und gestürzten damaligen SNB-Präsidenten, eingeleiteten Aktion jederzeit ankommen könnte, gab es nicht, auch wenn jeder vernünftige Mensch damit rechnen musste. Denn die zwar wohlhabende, aber doch kleine Schweiz würde die von Schwächeanfällen befallene Eurozone nicht auf ewige Zeit mit Milliarden-CHF-Einsätzen stützen können; im Moment wird gerade das Griechenland-Loch wieder sichtbar, und die EZB sieht sich erneut zum Eingreifen veranlasst.
 
Der Traum von der Währungsstabilität
Natürlich sind möglichst konstante Währungsverhältnisse im Interesse eines ungestörten, kontinuierlichen Waren- und Dienstleistungsflusses, also im Interesse der Stabilität, erwünscht. Und deshalb gab es aus wirtschaftspolitischen Gründen Massnahmen zur Abwertung des Schweizer Frankens schon früher. Ein Beispiel: Nachdem Frankreich im Herbst 1936 seine Währung abgewertet hatte, fasste der schweizerische Bundesrat den Beschluss, den Franken ebenfalls abzuwerten, und diese Abwertung des Frankens war besonders markant: rund um 30 %. Dies bewirkte einen Zustrom ausländischer Gelder in die Schweiz, die Zinssätze gingen zurück, aber die schweizerische Konkurrenzfähigkeit im Exportmarkt verbesserte sich. Im „Handbuch des Bank-, Geld und Börsenwesens der Schweiz“ (Umschlag mit Goldprägung auf Kunstleder), erschienen 1964 im Ott Verlag, Thun, kommentiert Ernst Ackermann dazu: „Zusammenfassend kann nachträglich gesagt werden, dass nicht alle Hoffnungen der Abwertungsfreunde, aber auch nicht alle Befürchtungen der Abwertungsgegner eingetroffen sind.“
 
Bei Angst und Panik auslösenden, abrupten Gleichgewichtsstörungen, wie sie die SNB in diesen Tagen bewirkt hat, stellen sich Spekulations- und Fluchtbewegungen ein. Das war sofort als Run der Schweizer auf den um rund 18‒20 % billiger gewordenen Euro und dem einsetzenden Einkaufstourismus in den grenznahen Gebieten der benachbarten Euro-Länder festzustellen, in denen man sich die Hände vor klingelnden Kassen rieb.
 
Die unterschlagenen positiven Seiten eines starken Frankens
Bemerkenswert an dieser Situation ist die Erkenntnis, dass die kleinen, privaten Verbraucher, die ihre Vorrats- und Medizinalschränke mit ausländischen Waren günstig auffüllen, die Zusammenhänge sofort richtig erkannt haben: Einkäufe im Euro-Ausland werden billiger. Das gilt selbstverständlich nicht allein für die ausländischen Produkte des täglichen Bedarfs, sondern für überhaupt alle Einkäufe im Euroland, also auch für die grossen, industriell benötigten Posten. Nach dem neuerlichen Dollar-Niedergang trifft das auch auf Einkäufe in den USA zu.
 
Es erstaunt mich zutiefst, dass bei der gegenwärtigen, oberflächlichen, vor allem in den Medien geführten Diskussionen genau dieser Sachverhalt keine oder höchstens eine marginale Rolle spielt; gerade noch Oswald Grübel, bis 2011 CEO (Konzernchef) der UBS, wies in der SRF-„Arena“ vom 16.01.2015 darauf hin, allerdings ohne Resonanz zu finden. Die festgefahrene Diskussion war für diese wesentlichen Aspekte offensichtlich nicht reif. Grübel empfand die Euro-Stützung seit je als „Schnapsidee“.
 
Die SNB ist immer wieder für einen Fehlentscheid gut, so etwa, als sie ab dem Jahr 2000 schrittweise 1550 Tonnen Gold, mehr als die Hälfte ihrer Reserven, zum dümmsten Zeitpunkt buchstäblich verschleuderte und dadurch Volksvermögen zerstörte.
 
Wir kaufen mehr aus der EU als wir dorthin verkaufen
Ich habe schon mehrmals mit Bankfachleuten gesprochen, die nicht wussten, dass die Schweiz aus den Ländern der Eurozone deutlich mehr importiert als sie dorthin exportiert. 2013 beliefen sich die Einfuhren auf 118 Milliarden Franken, die Ausfuhren auf 93 Milliarden Franken. Das heisst, dass unser Land für 25 Milliarden CHF mehr aus dem Eurogebiet kaufte als es dorthin verkaufte. Und für diese 25 Milliarden CHF bekommt die Schweiz, beziehungsweise unsere Wirtschaft, wesentlich mehr Waren. Jedes mathematisch rudimentär gebildete Schulkind kann die Überlegung nachvollziehen, dass bei diesem Sachverhalt ein gegenüber dem Euro starker Franken umso mehr Vorteile für die Schweiz bringt, je stärker er ist. Selbstverständlich sind die Branchen unterschiedlich betroffen, was aber durch einen Ausgleichstopf, der sich ständig mehr füllen wäre, abzufedern wäre.
 
Ich habe genau aus diesen Gründen in einem ausführlichen Blog vom 08.09.2011 vom „grenzenlosen Unsinn des grenzenlosen Euro-Kaufs“ geschrieben, 2 Tage nach dem Beginn der Stützungskäufe der SNB, die der politischen Linken noch viel zu wenig weit gingen, welche die Schweiz in den Ruin treiben wollte. Mein Kommentar von damals gilt noch heute:
 
„Die ganze Finanzwissenschaft und Politik scheinen gerade vergessen zu haben, dass der EU-Raum in eine nicht mehr zu behebende, existenzbedrohende Schuldenkrise geraten ist und der Euro-Crash absehbar ist. Die Währungsunion, die als solche nicht funktionieren kann, ist am Zerbrechen. Verschlampte Länder wie Griechenland werden vorerst noch gerettet.“ (...) „Ja, die Schweiz ist in ihrer heiligen Einfalt wieder einen Schritt näher an die EU herangerückt: ,Willkommen im Euro-Club’ titelte das deutsche ,Handelsblatt’".
 
Die SNB-Feuerwehr hat gewirkt. Sie sitzt auf Milliardenbergen von zerfallenden Euros und hat nach der Rückkehr zu den Zuständen vor dem Herbst 2011 einen gewaltigen Wasser- und Flurschaden hinterlassen. Marktmanipulationen grossen Stils schlagen früher oder später zurück. Obschon Jordan das Debakel viel zu spät beendete, wird er jetzt gelobt: „Befreiungsschlag.“ Sogar Grübel lobte: „Anpassung an die Realität.“ Es ist wie bei einem Gestrauchelten, der den Pfad der Tugend endlich wiedergefunden hat.
 
Metallfreie Währungen sind nach dem Abschied vom Goldstandard, auch mit Hilfe leistungsfähiger Gelddruckmaschinen, leicht zu manipulieren. Die Abschaffung der Golddeckung erfolgte in der Schweiz nach den US-Vorgaben auf Druck des Internationalen Währungsfonds IWF in den 1970er-Jahren, auf dass die Amerikaner unbeschränkt Dollars drucken und ihre Schuldenwirtschaft auf die übrige Welt abschieben konnten.
 
Wo versickern die Währungsgewinne?
Die irregeleitete Diskussion und die Schweizer Währungshüter aller Stufen müssten jetzt endlich genau hinsehen und sich damit befassen, ob die Gewinne aus den wesentlich günstiger geworden Einkaufsmöglichkeiten in den EU-Ländern ans Volk weitergegeben werden oder aber – der Normalfall –, ob sie in dunklen Kanälen versickern. Verbilligungen gab es in der Schweiz nach dem Fall der Euro-Untergrenze zwar sofort, so bei Kleidern, Möbel und Gemüse, obschon das meiste davon noch zum höheren Eurokurs eingekauft worden war. Viele Händler tun alles, um ihre Klientel in der Schweiz zurückzuhalten, gehen bis an die Schmerzgrenze.
 
Wenn die rund 120 Mia. CHF für Güter aus dem Euroraum um nur durchschnittlich 10 % billiger eingekauft werden könnten, ergäbe sich daraus eine Verbilligung um rund 12 Mia. CHF pro Jahr, die auf irgendwelchen Wegen den Konsumenten zugutekommen müssten. Doch weiss man aus der Pharmabranche als Paradebeispiel schon längst, dass in der Schweiz extrem hohe Rechnungen gestellt werden, ein reiner Diebstahl, der Konsumenten zu Direktimporten zwingt, zum Einkaufstourismus eben. Ähnliche Feststellungen gelten über den Euroraum hinaus. Beispiel: Erdöl-Derivate (Benzin, Heizöl usf.). Kursveränderungen sind immer ein Nullsummengeschäft: Jemand verliert, jemand gewinnt.
 
Auf solchen Hintergründen ist bei den Preisentwicklungen eine ausgeprägte Skepsis am Platz. Im grenzübergreifenden Warenhandel werden riesige Währungsgeschäfte gemacht, währenddem Branchen, die nicht ausweichen können, nur Verluste zu tragen haben. Die auf Abwege geratene Diskussion verhindert den Zugang zu den entscheidenden Fragen, die unbedingt gelöst werden müssten.
 
Die Ausblenderin
In einem bemerkenswert nichtssagenden Interview mit der „Schweiz am Sonntag“ vom 18.01.2015 stand Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf hinter den Massnahmen der SNB, sprach Thomas Jordan nicht nur das „volle“, sondern gleich das „vollste Vertrauen“ aus. Voller geht‘s nimmer. Verunsicherte Anleger sollten bitte „Ruhe bewahren“, sagte die Bundesrätin.
 
Die Chancen, die der gestärkte Franken in sich birgt, tönte sie nicht einmal an. Das würde ja auch nicht zur Unterordnung unter die EU-Herrschaft passen. Diese EU wird einfach als grösste Kundin dargestellt. Dass sie eine noch grössere Lieferantin für die Schweiz ist, mag man niemand erzählen. EWS ist diesbezüglich in guter Gesellschaft. Falls man die als „gut“ bezeichnen darf.
 
 
Anhang
Der Handel der Schweiz mit den grössten EU-Ländern
Die offizielle Handelsbilanz-Statistik Schweiz-EU findet sich unter:
 
Weltweit betragen die Einfuhren der Schweiz 2013 insgesamt 177 642 Mio. CHF und die Ausfuhren 201 213 Mio. Hier wirkt sich die CHF-Stärke je nach den Devisenkursen der beiden beteiligten Länder ungünstig aus (der CHF hat sich nach der Beendigung der Euro-Stützung gegenüber dem USD massiv aufgewertet). Anders aber verhält es sich wegen des Handelsbilanzdefizits mit Bezug auf den Euroraum (und um diesen geht es beim Abschied von den Euro-Stützungskäufen schliesslich):
 
-- Aus bzw. nach Deutschland führte die Schweiz 2013 (die Zahlen für 2014 liegen noch nicht vor) für 52.4 Mia. CHF ein und für 39.3 Mia. CHF aus. Im Handel mit unserem nördlichen Nachbarn ist ein starker Franken infolgedessen besonders günstig.
 
-- Aus Italien führte die Schweiz Waren im Wert von 18.8. Mia. CHF ein, ins südliche Nachbarland gingen Güter für 15 Mia. CHF.
 
-- Für Frankreich lauten die entsprechenden Zahlen: 15.5 Mia. CHF (Einfuhren) und 14.9 Mia. CHF (Ausfuhren).
 
-- Selbst aus Österreich führen wir mehr ein als aus: Ein 8.0, Aus 6.6 Mia. CHF.
 
Die neue Geschichte
Im kürzlich erschienen „Historischen Lexikon der Schweiz“ ist der Sachverhalt zutreffend dargestellt:
http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D26217.php
 
Man findet eine sehr starke Verankerung (der Schweiz, WH) in Westeuropa, die auf der Importseite noch ausgeprägter ist als auf der Exportseite. Seit Ende der 1950er- Jahre stammten nicht weniger als 30 % der schweizerischen Einfuhren allein aus der (alten und neuen) Bundesrepublik Deutschland, gefolgt von Frankreich und Italien mit je rund 10 %. 2005 kamen 82,3 % aller schweizerischen Einfuhren aus der EU. Die Abnehmer von Schweizer Waren waren etwas breiter gestreut, jedoch ist auch hier eine starke Konzentration auf Westeuropa sichtbar: 2005 gingen 62,9 % aller Exporte in diesen Wirtschaftsraum, davon 19,9% nach Deutschland. Weitere wichtige Absatzmärkte für Schweizer Exportprodukte waren die USA, der Ferne Osten und Schwellenländer.“
 
 
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