Textatelier
BLOG vom: 25.05.2015

Endinger Büchermarkt: Stöbern vor historischen Kulissen

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
 
Am Kaiserstuhl liegt ein bezauberndes Städtchen mit einer historischen Altstadt. Hier sind romantische Winkel und Plätze auszumachen. Aber nicht nur das: Die Augen der Besucher erblicken ein Kornhaus von 1617, das seit 1979 als Rathaus genutzt wird, sehenswerte Kirchen, ein Stadttor von 1319 und ältere Bürgerhäuser.
 
Es handelt sich hier um das Städtchen Endingen D am Kaiserstuhl. Für die Schönheiten des Orts zeigten Jürgen und ich am 17.05.2015 nur am Rande Interesse, weil wir als Bücherfreunde den jährlich stattfindenden Büchermarkt in der Altstadt von Endingen aufsuchten.
 
Die „Badische Zeitung“ berichtete in einem Artikel 2 Tage vorher vollmundig von einer „Stadt der träumenden Bücher“. Laut dieser Zeitung sollen 200 private und professionelle Händler aus der Schweiz, dem Elsass, der Pfalz und Baden-Württemberg zugesagt haben.
 
Ich las zwar den Bericht, aber mir kam nicht in den Sinn, dorthin zu fahren. Mein Gedanke war, da sei doch ein unglaublicher Rummel zu erwarten, und man könne nicht in Ruhe in den Büchern stöbern. Aber als Bücherfreund reizte mich diese Veranstaltung schon.
 
Schon früher wühlte ich gerne in alten Büchern auf Flohmärkten, Antiquariaten in Basel und Freiburg und auch in Brockenstuben. Dabei entdeckte ich so manches Schnäppchen, wie ein stockfleckiges Büchlein von Albert Schweitzer, 2 Bücher von Sebastian Kneipp und diverse ältere Heilpflanzenbücher.
 
Dann kam ein Anruf mit Einladung zu einer Entdeckungsreise. Initiator war Jürgen, der mich zu einer Fahrt nach Endingen einlud (unsere Frauen waren an diesem Tag anderweitig beschäftigt). Da konnte ich nicht nein sagen. Wir fuhren innert 1 Stunde von Schopfheim D auf der Autobahn an Freiburg im Breisgau vorbei und nahmen dann die Ausfahrt Riegel nach Endingen. Vor der Altstadt waren alle Parkplätze belegt. Wir suchten dann einen Feldweg, aber auch hier standen die Vehikel in einer langen Reihe. Jürgen fand eine Lücke, in der er seinen Wagen parkierte. Die Altstadt war etwa 1 km entfernt.
 
Als wir am Rande der Altstadt ankamen, sahen wir schon viele Menschen an den ersten Bücherständen stehen. Wir entschieden uns, zunächst die Bücherstände auf der linken Seite der Strassen in Augenschein zu nehmen; später wollten wir an den rechts stehenden Tischen vorbeiflanieren. Sonst würde man ja wirr im Kopf werden, wenn man laufend von der einen auf die andere Seite wechselt.
 
In aller Ruhe schlenderten wir von Stand zu Stand. Oft mussten wir eine Lücke in der Menschentraube ergattern, um Einblick in die Bücherschätze zu bekommen.
 
Das Angebot reichte von modernen, gebrauchten und antiquarischen Büchern und Zeitschriften von anno dazumal bis hin zu alten CDs und Schallplatten. Was mir auffiel, waren auch Bestseller der letzten Jahre, die hier verramscht wurden. Als Beispiel möchte ich das Buch „Schossgebete“ von Charlotte Roche erwähnen, welches man für 2 Euro erstehen konnte. Viele Romane neueren Datums wurden regelrecht verschleudert. Aber auch dafür gab es Interessenten. Es waren junge Frauen, die hier stöberten und dann kauften.
 
Medizinische Wälzer
Ein Ehepaar bot unter anderen Büchern dicke medizinische Wälzer aus der Vorkriegszeit an. Vom Verkäufer wollte ich wissen, ob er Mediziner sei, weil er doch solche Bücher präsentierte. „Die Bücher sind von meinem Grossvater, der Mediziner war.“ Ähnliche Antworten hörte ich schon öfter. Die Nachfahren der früheren Besitzer haben oft nicht mehr das Interesse an so alten Schwarten oder sind dran, ihre Bücherregale auszuräumen. Teilweise habe ich auch das schon getan. Es fällt einem jedoch schwer, das eine oder andere Buch aus den Regalen zu entfernen. In Schopfheim lieferte ich Bücher kostenlos an die „Buchschachtel“. Interessierte können dann das eine oder andere Werk dort kostenlos erstehen. Vor einigen Jahren gelang es mir, etwa 150 Bücher auszusortieren und an einen Händler für 50 Euro zu verkaufen.
 
An einem Stand wurde ich fündig. Ich entdeckte das Buch „Goethe in der Anekdote“ von Edwin Zellweker aus dem Jahre 1947. Die Verkäuferin hatte noch mehr Bücher über Johann Wolfgang von Goethe. Wie ich erfuhr, war sie eine leidenschaftliche Sammlerin solcher Werke. Nun wolle sie ihr Lager ausräumen. Dann verkündete sie stolz, sie habe soeben ein grösseres Portrait von Goethe an einen Händler verkauft. „Wieviel haben Sie dafür bekommen?“, wollte ich erfahren. Dann sagte sie nach einigem Zögern: „15 Euro“.
 
„Wollen Sie ein Buch? Hier gibt es interessante Werke“. So bot ein hagerer, grossgewachsener, älterer, grauhaariger Mann, den ich als Professor einschätzte, seine Bücher an. Auf Nachfrage erfuhr ich, dass er als Ingenieur tätig war und jetzt einige seiner Bücher verscherbeln wolle. „Ich habe schon einige Bücher in meinen Rucksack zurück gepackt“, sagte er mir. Es fiel ihm offensichtlich schwer, sich von seinen Büchern zu trennen.
 
„Biblische Kindererziehung“
Sie werden es nicht glauben, welche Bücher ich antraf (aber nicht kaufte). So gab es ein Büchlein mit dem Titel „Biblische Kindererziehung“, dann weitere, wie die „Keuschheitslegende“, das „Anti-Management Handbuch“,  „Du, dein Fahrrad, deine Kamera“, „Oh je, wie doch die Zeit vergeht“ und „Das neue Lexikon der Niederlagen“. Aber auch Bücher über Künstler wie „Thoma, der Malerpoet“ und „Heinrich Hansjakob“ (Festschrift zum 150. Geburtstag), „Deutsche Trachten“, Bücher über den Zweiten Weltkrieg, Reiseführer und viele Kochbücher waren im Angebot.
 
Es gab auch Bücher mit Übergewicht, also dicke Schwarten von anno dazumal. Da fiel mir ein Spruch des Aphoristikers Rupert Schützbach ein, der einmal sagte: „Nicht nur viele Menschen, auch viele Bücher leiden an Übergewicht.“ An diesem Tage sah ich jedoch viele schlanke Menschen, dafür dicke Bücher.
 
Ein weiteres Schnäppchen habe ich doch noch ergattert. Am Stand vom Antiquariat Tröger sah ich das Buch „Alte Buchkunst“ (Kunstreihe „Erlesene Liebhabereien“) von Alan G. Thomas. Das englische Original heisst „Fine Books“. Die deutsche Übersetzung erschien 1974 im Parkland Verlag, Stuttgart. Das Buch war mit 8 Euro ausgezeichnet. Mir fiel auf, dass etliche Bücher am Nachmittag mit Rabatt angeboten wurden. „Bekomme ich auch Rabatt?“ wollte ich wissen. Der Händler zeigte sich grosszügig und verkaufte mir das Buch für 4 Euro.
 
„Wie geht das Geschäft?“, wollte ich von einer Händlerin wissen. Sie meinte, dass man früher Bücher besser verkaufen konnte als heute. Sie vertrat die Ansicht, in unserer Zeit würden Jüngere weniger lesen. Das mag wohl stimmen. Das hat auch die Prorektorin für Studium und Lehre an der Uni Freiburg, Juliane Besters-Dilger, erkannt. Sie beobachtete bei Studenten Defizite in Mathematik und beim Lesen längerer Texte. Als Hauptgrund wird der intensive Umgang mit den digitalen Medien genannt.
 
Gehören die Bücherfreaks zur aussterbenden Rasse? Wohl nicht, denn für viele sind Bücher noch etwas Schönes und Erbauliches. Das Zitat von Kathleen Norris hat wohl heute noch bei einigen Bücherlesern Gültigkeit: „Zu wissen, dass am Ende eines langen Tages ein gutes Buch auf einen wartet, macht den Tag fröhlicher.“
 
Über das Lesen hatte Jürgen einen guten Spruch, den ich hier einfüge:
 
„Wer viel liest, weiss viel,
wer viel weiss, vergisst viel.
Wer viel vergisst, weiss nichts.
Warum überhaupt dann lesen.“
 
Zum Trost, wir lesen trotzdem viel, besonders die ausführlichen Blogs im Textatelier.com.
 
Ein „armer Schlucker“ handelte
Bei dieser Gelegenheit fiel mir eine Episode ein, die ich schon in meinem Blog am 29.10.2005 „Das Flair der Flohmärkte: Trödel, Bücher, Kuhglocken“ erwähnte. Ein mir bekannter Industrieller aus Bad Säckingen, der mehrfacher Millionär war, suchte anlässlich eines Flohmarkts in der Stadthalle Schopfheim nach Büchern. An einem Bücherstand suchte er 3 Kunstbücher heraus. Zur Verkäuferin gewandt, sagte er sehr bestimmend: „Kucken Sie mal, wieviel die kosten. Mehr als 20 Mark zahle ich nicht!“
 
Als die Frau die Preise zusammengezählt hatte und 40 Euro verlangte, rief er ihr in einem unwirschen Ton zu: „20 Mark!“ Die Frau zögerte, hatte jedoch mit dem etwas ärmlich gekleideten Mann Erbarmen und gab ihm die Bücher für diesen Preis. Als er am Nachbarstand wieder handelte, was das Zeug hielt, meinte eine Besucherin zur 1. Verkäuferin gewandt: „Muss das ein armer Schlucker sein!“ Ich dachte mir im Stillen: „Von Reichen kann man sparen und handeln lernen.“
 
Nun, mir liegt das Handeln nicht so. Bei Büchern kann ich jedoch über meinen Schatten springen, wenn ich bemerke, dass die Preise überhöht sind.
 
Bei unserem Rundgang wurde mir bei dem sehr warmen Frühlingswetter die Kehle gehörig trocken. Ich wollte unbedingt meinen Durst stillen, aber weit und breit war kein Getränkestand zu sehen. Wir kauften dann in einer italienischen Eisdiele einige Eiskugeln, die vorzüglich schmeckten.
 
Nicht nur Bücher, sondern auch Musikalisches wurde vom Veranstalter aufgeboten. So die Swingband „Blue Moon“, ein Jazzduo aus Freiburg und eine Dreierband, die vor einer Wirtschaft für Stimmung sorgte. Auch die Jüngsten hatten ihren Spass mit Kinderrallye, Hüpfburg, Kinderschminken und das Stapeln von Spielbauklötzen.
 
Später als wir am Marktplatz ankamen, wurden Getränke von Vereinen und Wirtschafen angeboten. Danach wanderten wir auf derselben Strecke wieder zurück, nahmen von nun an die Bücherstände auf der anderen Seite in Augenschein. Dann hatten wir genug. Mit vielen Eindrücken versehen, fuhren wir wieder heimwärts.
 
Das „Laubenmännli“
Noch ein kleiner Rückblick. Während unserer Tour nahm ich mir etwas Zeit, einige Sehenswürdigkeiten in Augenschein zu nehmen und zu fotografieren. So das Königschaffhauser Stadttor von 1319 (Ausbau 1581), das als einziges von 4 Toren erhalten geblieben ist. Es diente lange Zeit als Stadtgefängnis. Heute wird der Turm des Tors von der Endinger Narrenzunft als Zunft- und Museumsraum genutzt.
 
Das Kornhaus am höchsten Punkt des Marktplatzes wurde im spätgotischen Stil mit Staffelgiebeln 1617 erbaut. Im Internet las ich, dass das dreistöckige Haus vom „Laubenmännli“ bekrönt ist. Das fiel mir beim flüchtigen Betrachten des markanten Hauses nicht auf. Aber auf einem Foto entdeckte ich dann dieses Männli.
 
Auf unserem Weg zurück kamen wir am Franz-Vollherbst-Gässli vorbei. Auf einem blauen Schild an einem Haus war das Folgende zu lesen:
 
„Franz Vollherbst (1925-1998), Druckunternehmer, langjähriger Oberzunftmeister der Endinger Narrenzunft, Wegbereiter der Beziehungen zu La Colonia Tovar in Venezuela.“ Darüber wollte ich Näheres herausfinden. Colonia Tovar ist eine 14 000 Einwohner zählende Gemeinde, 70 km von Caracas entfernt. 1843 wanderten 358 Bürger von Endingen und einigen anderen Gemeinden am Kaiserstuhl aus.
 
Wir werden wiederkommen, um die schöne Altstadt ohne Bücher näher kennenzulernen.
 
 
Internet
 
 
Hinweis auf weitere Blogs mit Bezug zu Flohmärkten
14.09.2005: „Schweizerreise ‚Zum alten Knochen’ mit ‚Herrgöttchen’“
05.06.2005: „Der Ziertisch – oder: Die chinesische Geduldsprobe“
16.04.2005: „Fundstücke: Zufälle vermehren die Sammlerfreuden“
 
Hinweis auf Blogs über das Sammeln
 
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