Textatelier
BLOG vom: 15.07.2015

Rumänien (2): Die Geschichte Siebenbürgens

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland


Die Rumänienreise liegt hinter uns. Wir haben nur einen kleinen Teil des Landes bereist, sind von Bukarest aus nach in rumänischer Sprache: Ardeal, auf Deutsch: Transsilvanien oder Siebenbürgen (im siebenbürgisch-sächsisch: Siweberjen), in Ungarisch: Erdély, gefahren.

Die Vielfalt der Namen zeigt an, dass verschiedene Volksstämme hier lebten und leben.

Wir waren in Orten, deren Ortsschilder zweisprachig sind, rumänisch und deutsch oder rumänisch und ungarisch. Je nach Zugehörigkeit waren wir in Sibiu (Hermannstadt), Medias (Mediasch), Biertan (Birhalm), Mälancrav (Malmkrog), Sighisoara (Schässburg), Odorheiu Seculesc (Hofmarkt), Darjlu Viscri (Deutschweisskirch), Homorod (Hamruden), Brasov (Kronstadt), Rasnov (Rosenau), und zuletzt in Sinaia und natürlich in Bucuresti (Bukarest). Das war nur ein Teil der Orte, für andere hat die Zeit gefehlt, wie z.B. für Cisnadie (Heltau), Blaj (Blasendorf), Agnita (Agnetheim), Valea Villor (Wurmloch), Cluj-Napoca (Klausenburg), Gheorgheni (Nikolausmarkt), Alba Iulia (Karlsburg), Apold (Trappold) und andere.

Wir haben mit Rumänen, Siebenbürger Sachsen, einer Angehörigen der Siebenbürger Landler (ursprünglich aus Österreich) und einem Mann aus dem Szeklerland mit ungarischen Vorfahren gesprochen. Roma (in Rumänien heissen sie einfach „Zigeuner“) kamen öfters an unseren Tisch im Restaurant, um zu betteln. Sie alle sprechen natürlich rumänisch.

Man sieht schon daran, dass Rumänien ein Vielvölkerstaat ist. Wir bekamen aber den Eindruck, dass die Einwohner eine rumänische Identität haben, sie fühlen sich vornehmlich als Rumänier. Auch wenn es in früheren Jahrhunderten nicht so war, sprechen viele Rumänier mindestens 2 Sprachen. Wir haben mit rumänischen Frauen gesprochen, die fliessend, akzent- und fehlerfrei deutsch sprechen, und uns sagten, sie hätten keine deutschen Vorfahren. Wir haben mit einer rumänischen Frau gesprochen, deren Mann Vorfahren unter den Siebenbürger Sachsen hat, aber mit seinem Sohn nicht deutsch sprechen will. Noch vor 100 Jahren wohnten in Siebenbürgen nur etwas mehr als 50% Rumänen, aber 30% Ungarn und 11% Deutsche, heute sind es in dieser Reihenfolge 75%, 21% und etwas mehr als 1%. Hinzu kommen weitere Minderheiten, wie Roma (etwa 1%), Ukrainer und Serben.

Die Geschichte der letzten 1000 Jahre ist so vielfältig und wechselhaft wie in anderen Ländern auch, mit dem Unterschied, dass es in Siebenbürgen und anderen Gebieten des heutigen Rumäniens (Banat) zu Besiedlungen unterschiedlicher Völker kam, ab dem Jahr 896 die Magyaren (Ungarn), ab dem 12./13. Jahrhundert deutsche Siedler zum Schutze der Grenzen und zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung. Sie erhielten durch das ungarische Königtum Privilegien. Sie wurden „Sachsen“ genannt, weil dieser Name für den ungarischen König die Bezeichnung für das damalige deutsche Gebiet war. Dabei kamen die Siedler zum überwiegenden Teil aus dem Mosel-Saar-Ruwer-Gebiet im Bereich der heutigen deutsch-luxemburgischen Grenze und dem nördlichen Saarland (D), und nicht aus dem Sächsischen. Infolge der Schwächung des ungarischen Herrschergeschlechtes entwickelten sich die Städte rasch, Handwerker bildeten Zünfte und der Gold-, Silber- und Salzabbau wurde ausgedehnt. Im 15. Jahrhundert gab es einen Bauernaufstand und darauf schlossen sich der ungarische Adel, die Sachsen und die Szekler (ursprünglich aus Ungarn stammend) zur sog. Nationsuniversität zusammen, andere „Nationen“, darunter auch die Rumänen, wurden nur toleriert.

Die Rumänen haben das bis heute nicht vergessen. Im 15. Jahrhundert musste man Tributzahlungen an den osmanischen Sultan Mehmed I. zahlen. Nach Machtkämpfen wurden die Osmanen 1456 geschlagen. In dieser Zeit soll auch Vlad Tepes Dracula gelebt haben und Herrscher gewesen sein. Die Osmanen waren aber noch nicht vertrieben, Siebenbürgen löste sich im 16. Jahrhundert zwar von den Ungarn, geriet aber unter die Vorherrschaft des Sultans. So ging es hin und her und erst 1859 wurde das ganze Land unter dem Namen Rumänien vereinigt und Bukarest wurde zur Hauptstadt.

Im 2. Weltkrieg schlug sich Rumänien zunächst auf die deutsche Seite, Ende 1944 nach einem Regierungswechsel erfolgte jedoch auch ein Wechsel auf die Seite der Alliierten. Die Sowjets besetzten das Land, Rumänien erhielt jedoch das „Altreich“ zurück, verlor aber die Nord Bukowina (heute Ukraine) und Ost-Bessarabien (heute Moldawien) damals an Russland.

Aus einigen Siedlungsgebieten wurden die ehemals deutschen Siedler vertrieben, jedoch nicht aus Siebenbürgen. Unter der Herrschaft Ceausescus (1965 – 1989) erhielten die Siebenbürger Sachsen jedoch die Möglichkeit, gegen Zahlung einer bestimmten Summe der deutschen Regierung, in die Bundesrepublik auszureisen, was viele auch taten. Die Nobelpreisträgerin Herta Müller durfte 1987 nach Berlin ausreisen und hat die schwierige Lage der deutschstämmigen Bevölkerung und deren Ausreisewillen in einem Roman thematisiert: „Der Mensch ist ein grosser Fasan auf der Welt“. Sie erzählt die Geschichte einer Familie, der Vater ist Kürschner, die erst dann die notwendigen Papiere erhält, als die Tochter dem Verlangen des Bürgermeisters und des Pfarrers nachgibt, mit ihnen zu schlafen, und das in der Kirche mit Blick auf den Altar.

So weit ein paar Hinweise auf die wechselhafte Geschichte. Die Siebenbürger Sachsen waren eine feste Grösse. In dem Buch „Bilder aus dem Sächsischen Bauernleben in Siebenbürgen – Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte“ von dem evangelischen Pfarrer Fr. Fr. Fronius aus Agnetheim schreibt der Autor 1883, also kurz nach Gründung des Staates Rumänien:

Und so wollen wir denn die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Zeit der Anfeindung und der dadurch hervorgerufenen Missstimmung und Verbitterung, vergehen und jene andere herbeikommen werde, in der ein gesunderes und gerechteres Urtheil sich bilden muss über die zu Unrecht verdächtigte Vaterlandsliebe unseres Volkes und seine Stellung zum ungarischen Staat.

Niemand hat ein Recht, es ihm übel zu nehmen, dass es in willigem Anschluss an alle wahrhaft fördernden und erhaltenen Kräfte im Lande mit redlicher Mitarbeit an der Festigung des Staates auch jenen ‚gesunden Egoismus’ verbindet, der es, wie bisher, auch in Zukunft vor gedankenloser Verflüchtigung des eigenen Wesens, vor dem Verfall seines Familienlebens und damit vor dem Verfall seines deutschen Volksthums bewahren soll.

Hätten wir diesen edlen Egoismus nicht ins ungarische Vaterland bei unserer Einwanderung schon mitgebracht, wir hätten ihn von unseren magyarischen Brüdern lernen müssen. Was dem einen Recht ist, sei den Andern doch mindestens heilig!“

Der Autor endet sein Vorwort mit dem Wunsche: „Gott wolle uns erhalten bei den Sitten unserer Nation und bei unseren Häusern, und seinen Segen bescheiden unseren Höfen und unserer Gemeinde.“

So erscheinen noch heute (unter anderen auch in München) deutschsprachige Zeitungen der Siebenbürger Sachsen und der Banater Siedler, die „Allgemeine deutsche Zeitung für Rumänien“, die „Banater Zeitung“, die „Karpatenrundschau“, die „Hermannstädter Zeitung“, und der „Schäßburger Gemeindebrief“ der evangelischen Kirche in Sighisoara. In Deutschland selbst sind die ehemals aus Rumänien Ausgewanderten auch aktiv, in München erscheint die „Kronstädter Zeitung“, usw.

Wenn man als Tourist durch Siebenbürgen fährt, fallen vor allem die Kirchenburgen auf. Auch die Höfe in den Dörfern haben eine bemerkenswerte Architektur. Darüber will ich im Teil 3 berichten.

 
Quellen:

Baedeker Reiseführer Rumänien, Verlag Baedeker, Ostfildern, 2009.

Siebenbürgisch-sächsische Volksbücher, Fr. Fr. Fronius, Bilder aus dem sächsischen Bauernleben in Siebenbürgen, Wien 1883, Vorwort zur 2. Auflage.

Müller, Herta, Der Mensch ist ein grosser Fasan auf der Welt, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, August 2009, 2. Auflage.

 

Hinweis auf weitere Blogs von Richard Bernardy

Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
Auf Pilzpirsch: Essbare von giftigen Pilzen erkennen
Ein bärenstarkes Museum in Gersbach
Barfuss über die Alpen
Foto-Blog: Auf geht`s zur Hohen Möhr
Foto-Blog: Vom Kleinen Rhein zum Altrhein
Fotoblog über den Schönauer Philosophenweg
Rote Bete (Rande), eines der gesündesten Gemüse
Hermann-Löns-Grab im Wacholderhain
Lüneburger Heide: Salzsau und Heidschnucken
Kutschenmuseum in Wiechs ist ein Schmuckstück
Canna verleihen einen Hauch karibisches Flair
Artenreiche Streuobstwiesen stark gefährdet
Liebe zu den Kräutern in die Wiege gelegt
Eine Hütte mit Fleischsuppe im Namen
Rätsel um die Russenbänke in Präg gelöst