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BLOG vom: 29.01.2016

Meister Eckhart in der Schweiz

Autor: Pirmin Meier, Historiker und Schriftsteller, Beromünster LU/CH


Meister Eckhart (1260 – 1328) gilt allgemein als der bedeutendste europäische Mystiker. Für den ebenfalls berühmten Thurgauer Mystiker Heinrich Seuse (1295  -1366), mit Einfluss auf Klaus von Flüe, blieb der "heilige meister Eckart" eine Orientierungsgrösse. Von Seuse wäre übrigens diese Woche (26. Januar) der 650. Todestag zu feiern gewesen. Dabei war Eckhart von Hochheim (ca. 1260 – 1328)  nach seiner kirchlichen Verurteilung als Ketzer durch die Bulle In agro dominico vom 27. März 1329 kaum mehr direkt zitierbar. Die Nonnenviten in Adelhausen, Colmar, Weiler bei Esslingen, St. Katharinenthal bei Diessenhofen, Töss bei Winterthur, Oetenbach (Zürich) und St. Gallen sind trotzdem Strahlungsstätten seines Einflusses geworden. Dass er die meisten dieser Frauenklöster in seiner Strassburger Zeit, da er nicht verurteilt war, aufsuchte, bleibt aus spärlichen Überlieferungen grundsätzlich nachweisbar.

Von einem Aufenthalt Eckharts im Inselkloster Konstanz ist zwar nirgends die Rede, aber angesichts weitgehend gesicherter Belege aus St. Katharinenthal, Töss und Oetenbach bleibt ein direkter Kontakt mit einem der bedeutendsten Männerklöster seines Ordens wahrscheinlich. Zu den bedeutenden Lektoren in Konstanz gehörte nebst Seuse der Dominikaner Hugo von Stauffenberg, der wie Seuse in St. Katharinenthal, Töss und Oetenbach seelsorgerisch tätig war. Dies hat auch die Möglichkeit eines geistigen Austausches mit Eckhart nicht ausgeschlossen.

Zwei der bedeutendsten mystischen Schwestern des 13. Jahrhunderts haben sich auf Eckart berufen: Elsbet von Oye aus Zürich und Anna Ramschwag in St. Katharinenthal, beide adliger Abstammung und mit lateinischer Bildung. Eine mystische Handschrift der Elsbet von Oye, auch Elisabeth von Eiken (bei Rheinfelden) genannt, befindet sich in der Universitätsbibliothek von Wroclaw (Polen), dem einstigen Breslau. Im St. Katharinenthaler Schwesternbuch sind mehrere mystisch begnadete Nonnen aus dem Bodenseeraum dokumentiert, so die Novizenmeisterin Diemut von Lindau, die mutmassliche Konstanzerin Mia Goldast, Agnes und Mechthild von Wangen (mutmasslich Höri). Erwähnung verdient swester Kathrin von Vberlingen, deren kurze Lebensgeschichte dem Schema einer heiligen Patientin entspricht. Bemerkenswert und dem spirituell-fasnächtlichen Geist von Seuse und Überlingen entsprechend bleiben ihre letzten Worte zur alten „siechenmeisterin“ Adelhait: Do disu salig swester Kathrin sterben wolt, do seit (erzählte) ir ein swester von dem himelrich. Do sprach si: „Ist das war, das du mir geseit hast, wenn denn min sel von minem lib scheidet, so wil ich lachen.“

Jenseits dieses Überlinger Zeugnisses von einer Art Osterlachen belegt die Vita Nr. 41 von St. Katharinenthal über sant Anna von Ramswag, wie sie kühn als Heilige genannt wird, die Schwerverständlichkeit wie auch Umstrittenheit von Meister Eckhart. Der Besuch in Diessenhofen wird von Walter Muschg um 1324 angesetzt, erscheint aber um 1318 wahrscheinlicher. Eckhart kam um jene Zeit, von Strassburg aus, dem Vorort der dominikanischen Ordensprovinz Teutonia, die Betreuung und Oberaufsicht der süddeutschen Frauenklöster zu. Aus diesen Jahren stammt die Widmung des Hauptwerks (1329  in einigen Sätzen verurteilt) Liber benedictus oder „Buch der göttlichen Tröstung“ an die Königin von Ungarn. Entgegen der in der Literatur gängigen Annahme, es handle sich damit um Agnes von Ungarn, die in Königsfelden bei Brugg residierte, gehe ich – als Adressatin des Eckhartschen Trostbuches – bei meinen Mystikforschungen von der im Ruf der Heiligkeit stehenden Stieftochter von Agnes und Tösser Dominikanernonne Elisabeth von Ungarn aus. Diese im Vergleich zu ihrer Stiefmutter tatsächlich depressive hochreligiöse geistliche Person wird  in ihren Biographien ihrerseits milte künigin genannt, wiewohl sie „nur“ Prinzessin war. Eine Anekdote über einen anonymen Mönch, vielleicht Meister Eckhart, erzählt: Als einst ein fremder Mönch das Kloster besuchte und sie fragte, wer und woher sie sei, gab sie bescheiden zur Antwort: „Elisabeth aus Ofen“. Als der Mönch Zweifel äusserte über ihren früheren Lebenswandel, da sie aus solcher Ferne in ein so armes Klösterlein gekommen, eilte sie stillschweigend in die Kirche und überliess Gott ihre Rechtfertigung. (Helvetia Sancta Bd. I 1864, S. 163)

Über Anna Ramswag berichtet das St. Kathrinenthaler Schwesternbuch in der wissenschaftlichen Edition von Ruth Meyer (Tübingen 1995):

Meister Eckart was ze einer Zeit bi uns. Do kam disu salig swester zu im heimlich in das byhtuenster (Beichtfenster). Darnach fraget ich si, was die sach were, darumb si zu im kam. Da wolt sie mir da von nit sagen won fünf wort (Nur fünf Worte wollte sie sagen.)  Darnach uber lang zit, kurtzlichen vor ir tot, do kam si mit rechtem ernst an, das si mir das seiti. In der Folge gesteht Anna, dass sehr schwer zu sagen sei, was Eckhart ihr anvertraut hätte. Die Chronistin ist, wie Walter Muschg (Die Mystik in der Schweiz, Leipzig 1934) hervorhebt, nicht in der Lage, diese Geheimnisse zu verstehen: Was ir beschach, das seit sie mir und dieses was von als gar so hohen unbegriffenlichen dingen, das ich sin wenig verstund (…), das ich leider des liehtes nit enhab in dem ir das zu verstand und zu empfinden ward gegeben.  (Ich habe diese unbegreiflichen Dinge nicht verstanden.)

Entgegen dem Eingeständnis der anonymen Chronistin, dass die Gedanken Eckharts zur Wiedergabe nicht geeignet seien, enthält die „Vita“ der Anna von Ramswag Motive der Eckhartschen und – weil leichter verständlich – vor allem der Seuseschen Mystik. Als eckhartisch gilt nach Ruth Meyer die Stelle so neige ich mich under alle creatur, was aber vor Eckhart bereits in Formeln von Margarethe Ebner und Mechthild von Magdeburg vorkommt, jedoch bei Meister Eckhart in Predigt 54b vertieft: daz wir süln gan in demüeticheit under alle creaturen.“ (Meister Eckhart, DW 2, S. 564) Anna Ramswag entstammt wie Heinrich Seuse aus thurgauischem Adel. Von ihrem hohen Rang her wohl am wahrscheinlichsten von der Burg Ramschwag in Hättenschwil an der Sitter. Ein naher Verwandter von Anna Ramschwag, Heinrich von Ramschwag, soll 1278 in der Schlacht bei Dürrkrut dem König Rudolf von Habsburg das Leben gerettet haben. Die Adligen von Ramschwag sind später nach Vorarlberg verzogen, im Mannesstamm im 19. Jahrhundert ausgestorben.

Ein mystisches Motiv, das man in St. Katharinenthal und in Überlingen besser verstand als die Rätselworte Eckharts, ist die für das spirituelle Leben von Heinrich Seuse kennzeichnende Rose. Eine Variante der Blutmystik, die bis zu den Gedichten von Annette von Droste-Hülshoff in ihrem ethischen Gehalt die Einheit von Lieben und Leiden ausdrückt. Eine geistliche Tochter von Seuse sieht in dem geiste einen schönen rosbom (Rosenbaum) schön gezieret mit roten rosen, und uf dem rosbome erscheint das kindli JESUS mit einem roten rosenschapelin. Under dem rosbom sah si sizzen den diener. Mit dem Diener ist Seuse, der Diener der ewigen Weisheit, gemeint.

In diesem Sinn ist dieser Beitrag auch eine Hommage auf Heinrich Seuse zu dessen 650. Todestag von dieser Woche. Gerne hoffe ich, dass man beim nächstjährigen Jubiläum "700 Jahre Bruder Klaus von Flüe" auch an Seuse denkt, den Verfasser des berühmten Gebetes "Herr gib mich ganz zu eigen dir". Bemerkenswert bleibt, dass eine verbotene Schrift von Meister Eckhart im 17. Jahrhundert gedruckt wurde unter dem Namen "Nikolaus von Unterwalden". Es war der berühmte "Traktat von der Abgeschiedenheit", in seiner intellektuellen Dialektik freilich unmöglich das Werk eines analphabetischen Schweizer Bergbauern. Eckhart galt als der grösste "Lesemeister" in der Geschichte der Mystik. Klaus von Flüe wurde als "Lebemeister" bezeichnet, also einer, der die Abschiedenheit lebte, übrigens in Rufweite seiner Familie, die in diesem Sinn von Klaus von Flüe nie verlassen wurde. Demgegenüber lebte der Ritter Johann von Aarwangen (gest. um 1350), ein Zeitgenosse von Meister Eckhart, als Einsiedler rund 40 Kilometer von seiner Frau entfernt im heutigen Wallfahrtsort Heiligkreuz im Entlebuch. Nach damaligem Kirchenrecht musste ein verheirateter Einsiedler von seiner Frau formell für diese Lebensweise freigegeben werden. Dies war zum Beispiel im 14. Jahrhundert beim Strassburger Bankier Rulman Merswin der Fall, auch "Gottesfreund im Oberland" genannt. Er gehörte zu den wohl wichtigsten Lesern von Meister Eckhart, Heinrich Seuse und noch dem dritten Meister der  Mystik, in der damaligen Zeit, Johannes Tauler (1300 - 1361).

 

PS. Zu den Projekten von Pirmin Meier gehört u.a. ein Buch über die Mystik in der Schweiz, das jedoch als Lebenswerk kaum vor 2020 erscheinen kann. Verwiesen sei auf die Erfolgsbiographie des Verfassers, "Ich Bruder Klaus von Flüe", Zürich, 3. Auflage 2013.

 

Literaturhinweis:
Meyer, Ruth: Das „St. Katharinentaler Schwesternbuch“ – Unersuchung – Edition – Kommentar, Tübingen 1995

 

 

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