Textatelier
BLOG vom: 04.02.2016

Prostitution: zu tolerieren „tamquam cloaca“?

Autor: Pirmin Meier, Historiker und Schriftsteller, Beromünster LU/CH


In Schweden nahm alles seinen Anfang, mittlerweile wurde es selbst in Frankreich eifrig diskutiert: das Verbot der Prostitution. In Deutschland landete Oberfeministin Alice Schwarzer damit vor einigen Jahren einen politischen Volltreffer. Ihre Forderung: 1500 Euro Busse pro Freier und «ein Brief nach Hause», damit allenfalls auch für die mitbetroffene Ehegattin Transparenz entstehe. Es sei eine massive Verletzung der Menschenwürde, wenn sich ein Mann bloss mit Geld eine Frau gefügig mache. So wie die Sklaverei verboten gehört, deren Abschaffung man sich einst auch kaum vorstellen konnte, so sei der Prostitution der Garaus zu machen. Wohingegen das Anbieten sexueller Dienstleistungen, wenigstens durch Frauen, nicht strafbar gemacht werden dürfe. Vielmehr seien diesen Ausgebeuteten Ausstiegsprogramme zu ermöglichen. 90 Prozent der Prostituierten, so Schwarzer, wünschten, von ihrem Gewerbe wegzukommen.

Als skeptische Antwort zu dieser These vermerkte Zürichs ehemaliger Männerbeauftragter Markus Theunert (43), bei vergleichbaren Umfragen, etwa im Hinblick auf Stressabbau, würden 90 Prozent der Männer, zumal solche mit «Scheiss-Jobs», auf Anfrage ebenfalls angeben, gerne weniger arbeiten zu wollen. In der Praxis könnten es sich aber nur die wenigsten leisten. Unbestritten sind für Theunert Massnahmen gegen Menschenhandel und Zuhälterei. Unbestritten scheint, dass Globalisierung und Personenfreizügigkeit die Prostitution auf eine Art und Weise erleichtert und auch verbilligt haben, dass dieses einst versteckte Gewerbe  sich dreister breit machen könne mit immer schlechteren Bedingungen für die Anbieterinnen. Dies bedeute wiederum Morgenluft für die Zuhälterszene. Besonders dann, wenn hinter dem «Anschaffen» etwa von Osteuropäerinnen eine davon profitierende Familie oder ein Clan im Heimatland zu vermuten sei. Noch nicht gelöst sind die sexuellen Probleme der zahlreichen als Flüchtlinge firmierenden jungen Männer aus dem Nahen Osten und aus Afrika, die in den letzten Monaten und Jahren nach Europa gekommen sind. Müsste hier nicht ein vergünstigter Zugang zur Prostitution Bestandteil der Willkommenskultur werden? Ein weites Feld. Für Muslime ist in diesem Zusammenhang die Einstundenehe eine moralisch zulässige Option. Professionelle Sexarbeiterinnen bevorzugen es schneller. Sonst wäre nun mal nachzuzahlen.

Wohl am meisten Beifall fand Alice Schwarzer mit der Bemerkung, dass die von der Stadt Zürich eingerichteten «Sexboxen», welche exklusiv für Autofahrer geschaffen wurden, schon rein äusserlich an Besamungsstationen für Kühe erinnerten. Mit Menschenwürde habe dies nichts zu tun. Der Vergleich mit den Besamungsstationen hinkt aber insofern, als es beim Rindvieh nicht um sexuelle Befriedigung geht, eher schon um Fortpflanzung. Schwarzers elementarstes Menschenrecht, die Abtreibung, wird bei Kühen seltener praktiziert als bei Menschen.

Die Person ist nach Kant ethisch niemals nur «Mittel zum Zweck», sondern als Repräsentantin der Menschheit «reiner Zweck». Darum ist die Prostitution wenigstens im Prinzip Missbrauch der Person. Wie Sklavenarbeit, aber auch etwa wie Verwendung von Soldaten als «Kanonenfutter» oder jegliche Ausbeutung von Arbeitskräften. Gemäss katholischer Lehre ist das Vorenthalten des «gerechten Lohnes», der gemeine Mord und die Unterdrückung der Armen eine der «vier himmelschreienden Sünden». Damit nähern wir uns der gesellschaftspolitischen Linie von Papst Franziskus.

Wer indes die katholische Theorie und Praxis historisch überblickt, weiss, dass die Verfolgung der sexuellen Sünden mit Rücksicht auf die menschliche Schwächen wenigstens in den rein katholischen Ländern nie konsequent durchgeführt wurde. Homosexuelle Handlungen waren im Kirchenstaat nie strafbar. Man ging davon aus, dass die Aburteilung im Jenseits noch früh genug erfolge. Dies hat sich von Renaissance und Barock bis in die Gegenwart bei Künstlern und nicht zuletzt bei Klerikern, der «Schwulenlobby» (Papst Franziskus), herumgesprochen. Desgleichen wurden im Kirchenstaat, aber auch in Portugal, Spanien, Italien und Südamerika Bordelle in der Regel geduldet.

Für die Begründung musste ein praktischer Ratschlag des bedeutendsten katholischen Moraltheologen, Thomas von Aquin, herhalten. Fornicatio, die Hurerei, sei toleranda tamquam cloaca: das heisst zu dulden in der Art eines Abtrittes. Dies bedeutete, dass bei diesem Geschäft auf Diskretion zu achten sei. Primär war die Erregung öffentlichen Ärgernisses zu vermeiden. Immerhin galt die Praxis stets als schwere Sünde. Im Vergleich zu anderen Sünden, auch dies betonte von Aquin, waren die Sünden gegen die Keuschheit, sofern nicht Ehebruch oder ein Bruch des Zölibats vorlag, die vergleichsweise leichtesten unter den schweren Sünden. Die traditionelle Sexualmoral der katholischen Kirche ist – zumindest in der Praxis – im Vergleich zum Protestantismus also viel puritanischer, rigider. Nicht zufällig gehört auch die Fasnacht zum katholischen Brauchtum. Sigmund Freud charakterisierte sie als „erlaubte Orgie“.

Es mutet in diesem Sinne widerchristlich an, alles, was Sünde ist, gleich noch durch das staatliche Gesetz verbieten zu wollen. Hurer und Ehebrecher sind jedoch, genauso wie Ausbeuter und Abzocker, im Gottesdienst vom Sakramentenempfang ausgeschlossen. Hätten sie ein Bedürfnis nach dem Empfang, blieb ihnen nichts anders übrig, als die geistige Kommunion: sich auf die Betrachtung der Hostie zu beschränken wie einst Bruder Klaus. Es sei denn, sie würden in sich gehen, im katholischen Sinn beichten und Busse tun.

Wer die heilige Hostie empfangen will, sollte nicht nur seit der letzten Beichte keine Hure besucht oder als solche gearbeitet haben, sondern auch keine ungerechtfertigten Gewinne einstreichen, nicht nur als Zuhälter oder als Wucherer. Die Aburteilung der Freier wie auch derjenigen, die ihre eigene Frau kaufen statt mit ihr im Sakrament verbunden zu sein, sollte man dem Gericht oder der Gnade Gottes überlassen. Andererseits droht sonst auch den Homosexuellen wieder Verfolgung. Bei diesen ist die Prostitution wie auch der sexuellen Kontakt mit häufig wechselnden Partnern nicht selten ein Bestandteil moralisch nicht verurteilter sexueller Entfaltung. Das Verbot der Prostitution wird auf Dauer zu einer Verfolgung und Kriminalisierung führen, welche auch die Errungenschaften eines angstfreien Lebens für Homosexuelle in Frage stellen wird. Insgesamt aber hat man eigentlich am wenigsten Ärger im Leben, wenn es einem gelingt, nach den Empfehlungen der Zehn Gebote zu leben. Das ist zwar alles andere als einfach, bringt klar mehr Lebensqualität als das Verbot der Prostitution.

 
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